Samstag, 20. April 2024

Archiv


Haut

Michael Wallner liebt das Ungewöhnliche. Seine bisher erschienenen Romane sind wie gut geschüttelte Cocktaildrinks: Ein gelungener Mix aus Alltagserfahrungen und phantastischen Begebenheiten. In seinem neuen Roman `Haut' erhebt Wallner den menschlichen Körper zum Mittelpunkt der Geschichte.

Claudia Cosmo | 25.06.2002
    Das ist ja kein Buch über Körperkult. Das ist ein Buch über Bilder. Wir werden gefüttert mit Bildern. Wir haben Bilder von der Welt wie sie sein soll, relativ wenige wie sie ist. Und ich behaupte, diese Bilder setzen sich fest und führen vielleicht zu so einem gewissen Realitätsverlust. Dieses Bildhafte ins` Extrem zu steigern ist das Thema des Buches. Es wird so sehr gesteigert, das ich mich in ein Bild soweit hineinsteigere, dass ich mich sogar in den Körper der Person hineinbegebe. Und die Katastrophe plötzlich mit fremden Augen zu beobachten, das ist eine Versuchsanordnung, die mich neugierig gemacht hat.

    Karo ist nicht besonders attraktiv und ziemlich dick. Die klassische Frustesserin. Sie liebt sich nicht, sie himmelt den Synchronsprecher Schatz an und würde gerne so toll aussehen wie die blonde Moderatorin Michaela Masur.

    Auf die Form des Fleisches, das Aussehen des Körpers kommt es ihr an. Als Masseurin knetet Karo die menschliche Masse in Richtung Perfektion und abends ergötzt sie sich am perfekten Äußeren der Moderatorin. Karo ist verliebt in Michaelas Erscheinung, in das TV- gerecht gestylte Abbild einer makellosen Frau.

    "Sie wünschen sich, schlank zu sein, wollen aber aufs Essen nicht verzichten, sagt die angenehme Stimme. - "Oh !", macht Karo. "Michaela Masur. Sie ist schön", denkt sie. Gibt es solche Frauen wirklich ?Kann man ihnen auf der Straße begegnen, im Supermarkt? Mischen sie sich unter gewöhnliche Menschen? Leute, die hinken, weil ihre Füße geschwollen sind. Menschen mit Glatzen, Narben, Warzen, Amputationen. Die dort oben scheinen nichts von alledem zu kennen. Wellig fällt das blonde Haar vom Scheitel bis über die Schulter. Ebenmäßig schwingen sich die Brauen über freundlichen grünen Augen. Die Nase könnte feiner nicht sein, Lippen zum Verlieben. Sportliche Schultern, hohe brüste unter dem Pulli, kein BH zu erkennen. Feine Arme, sprechende Hände. Karo blickt auf ihre eigenen Unterarme nieder. Rosa Pusteln. Härchen wie Schweineborsten. Gerötete Hände, kurz geschnittene Nägel. Fleisch. Denkt Karo."

    Michael Wallners Protagonisten sind wie in der Commedia dell` Arte stereotyp angelegt: Karo die unzufriedene Hässliche, die jedoch menschliche Wärme ausstrahlt. Ihre anorexische Freundin Inga, die sich ihre Minderwertigkeitskomplexe aus dem Leib kotzt, Michaela Masur, die perfekte TV- Puppe ohne Tiefgang, und Schatz, der frustrierte Synchronsprecher, der unter seiner Anonymität leidet. Und alle träumen wie Sibylle Bergs Figuren vom großen Glück und tragen einen Makel mir sich herum.

    Es ist nicht so, dass wir mit unserem Geist nur unseren Körper beeinflussen, sondern die Vorgabe eines Körpers beeinflusst die Art unseres Lebens. Der Körper ist ein ganz wichtiger Faktor.

    Wie im Märchen sucht Karo eine Art `Wizard of Oz`, einen Zauberer, der ihrem schönen Geist eine schöne Hülle verpassen soll. Karo findet ihren Guru im exzentrischen Doktor Shin Raafi, dessen Praxis sich in einem gespenstigen Schloß befindet. Michael Wallner inszeniert seine Geschichte wie einen expressionistischen Film.

    Karo rennt. Eine Nacht im Warteraum. Was sind das für Leute ?! Fünf Birnen, ein hartes Lager und immerwährendes Licht. Sie läuft durch die Flure, keine Türen, Schächte ohne Ende, überall das leuchtende Grau. Kurven, Ausblicke auf Gänge in noch hellerem Grau. Sie hält an. Ruft. Nach dem Doktor. "Shin Raafi", hallt es vom Beton zurück. Ruhe, Grau, Licht. Ich habe den Weg verloren, gesteht sie sich ein. Zieht ihren Pulli aus...schlägt mit Fäusten gegen Wände, tritt und trampelt...Ein winziges Geräusch, Karo fährt herum. Kurzes tappen hört sie. Innehalten jetzt, ein Huschen. Sie läuft in die Richtung. Erreicht die Stelle...nichts als Grau.

    Michael Wallner arbeitet in `Haut` auf das unglaubliche Ereignis hin. Er setzt auf den klassischen Wendepunkt, er zielt auf den Effekt ab. Einen Effekt, den der Leser allzu leicht durchschaut.

    So vollbringt Shin Raafi das Unglaubliche und beamt Karos Bewusstsein in den Körper von Michaela Masur. Karo ist Michaela und Michaelas Bewusstsein findet sich in Karos dickem Körper wieder.

    "Was mich fasziniert, ist die Vorstellung, dass das Bewusstsein etwas ist, dass Ströme aussendet. Dass das Bewusstsein etwas ist, dass wie ein Radiosender funktioniert. Und dass sich Bewusstseinsströme überschneiden können."

    Neben dem Spaß an Spiel ist Wallners Roman auch eine humorvolle Kritik an medial inszenierter Wirklichkeit. Das Schauen in den Spiegel und in die die Mattscheibe ersetzt nicht - es ist der Blick in die Realität. Alle Figuren des Buches überprüfen ständig ihr Äußeres und vergleichen es mit gängigen Idealen. Die Diskrepanz zwischen Innen und Außen, zwischen Seele und Körper wird immer größer.

    Ich glaube, Körper ist unterschätzte Identität. Der Körper ist ein Heim und wir denken, der Körper verändert sich nicht. Wir wollen das aber nicht wahrhaben, weil wir generiert sind durch Bilder, die eine Zeitlosigkeit suggerieren. Und ich erinnere mich da an einen Satz von Cindy Crawford: "Alle Leute wollen aussehen wie Cindy Crawford. Nicht mal ich sehe aus wie Cindy Crawford."

    Karo empfindet Michaelas Körper als Gefängnis. Ihr eigenes Ich verschwindet in einem makellosen Körper. Das Märchen vom hässlichen Entlein, das zum schönen Schwan wurde, entpuppt sich als Alptraum. Michael Wallner erzählt in schnellem Tempo eine keineswegs neue Geschichte über Identitätssuche und die Macht des Bildes.

    Was Wallners Buch `Haut` jedoch zu einer ausreichend originellen Lektüre macht, ist die vom Autor angewandte Technik des Erzählens. Sein Buch ist eine Collage aus Märchenelementen, Science Fiction- Sequenzen und expressionistischer Malerei. Außerdem merkt man, dass Michael Wallner auch Drehbuchautor ist, der seine Leser gerne auf rasante Kamerafahrten mitnimmt.