Donnerstag, 25. April 2024

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Heidemarie Wieczorek-Zeul

Hohrmann: Nach dem Scheitern der Welthandelskonferenz vergangenen Sonntag im mexikanischen Cancún ist eine lebhafte Diskussion über Ursachen und Folgen des enttäuschenden Ausgangs dieses WTO-Ministertreffens in Gang gekommen. Wie, Frau Wieczorek-Zeul, sehen Sie die Ursachen, aber auch den Fortgang und die Erfolgsaussichten der sogenannten Entwicklungsrunde der WTO, die ja bis Anfang 2005 in ‚trockenen Tüchern’ sein sollte?

21.09.2003
    Wieczorek-Zeul: Die Ursachen sind sicher vielschichtig. Insgesamt, glaube ich, hängt es damit zusammen, dass es ein tiefes Misstrauen – das zum guten Teil auch berechtigt ist – der Entwicklungsländer gegenüber den Industrieländern gibt, die ihnen zwar über Jahre hinweg zugesagt haben, Agrarsubventionen, die handelsverzerrend sind, zu streichen und zu reduzieren, in der Praxis die aber sogar gesteigert haben. Und dann irgendwann gibt es einen Punkt, wo manche vielleicht das Gefühl haben, sie fühlen sich auch mit anderen Problemen und anderen Vorschlägen der Industrieländer für Verhandlungen überfordert. Ich denke, das spielt eine Rolle – einerseits, wie kann es weitergehen. Ich bin dafür, dass die Fragen, zumal soweit sie den Agrarhandel und vor allen Dingen dem engeren Sinne entwicklungspolitischen Fragen anlangt, dass die jetzt in allen Verhandlungen als allererstes behandelt werden und dann auch da abgeschlossen werden. Es gibt eine Bringschuld auch der Industrieländer.

    Hohrmann: Der Direktor der WTO, Supachai Panitchpakdi, hat in einer Bilanz in der NEW YORK TIMES gesagt, nicht alles sei verloren. Immerhin sei in Cancún beschlossen worden der Zugang der ärmsten Länder zu wichtigen Medikamenten gegen Aids und TBC und Malaria. Kann man sagen, dass es doch so etwas wie erste Ergebnisse gibt, die in die richtige Richtung laufen?

    Wieczorek-Zeul: Das kann man deshalb nicht so sagen, weil diese Einigung zur Frage des Zugangs zu Generika bei den Medikamenten gegen die großen Epidemien für die armen Entwicklungsländer ja eine Einigung im Vorfeld von Cancún war. Und das hat auch Bestand, und das ist natürlich außerordentlich wichtig, gerade für die Rettung vielleicht von Hunderttausenden von Menschen in Entwicklungsländern. Und natürlich hat es ja auch Verhandlungsstadien gegeben, an denen auch wieder angeschlossen werden kann. Hohrmann: Dann hat er darauf hingewiesen, dass es doch schon ein Erfolg gewesen sei, dass die sogenannte ‚Baumwollinitiative’ der vier westafrikanischen Staaten Benin, Burkina Faso, Tschad und Mali, der Sie ja auch Unterstützung gegeben haben durch Ihre Anwesenheit, immerhin auf die Tagesordnung gekommen sei. Ist das ein Fortschritt in der Amtssprache solcher internationalen Gremien?

    Wieczorek-Zeul: Nun ja, ich bin keine besondere Liebhaberin von Amtssprache, sondern mehr von dem realen Leben. Man muss einfach wissen: In den vier westafrikanischen Ländern Mali, Benin, Tschad und Burkina Faso, die sich mit ihrer Baumwollinitiative an die WTO und auch an uns um Unterstützung gewandt haben, da leiden etwa 10 Millionen Menschen, die von der Baumwollproduktion abhängig sind, unter den massiven Subventionen, die zum Beispiel die USA ihren eigenen Großfarmern geben. Und es ist gut, dass das auf die Tagesordnung kam. Ich habe das auch sehr unterstützt, habe die Länder auch sehr unterstützt. Aber es muss jetzt auch Konsequenzen geben. Und so lange bis ans Ende aller Verhandlungstage können die Länder auch nicht warten, denn die Armut steigt. Und die internationale Gemeinschaft hat sich ja vorgenommen, bis zum Jahr 2015 die Armut drastisch zu reduzieren. Da werden wir doch nicht zusehen können, wie die Armut steigt.

    Hohrmann: Die Industriestaaten subventionieren Landwirtschaft, auch Baumwollanbau, mit großen Summen. Auch die EU ist, wenigstens ins Sachen Spanien und Griechenland, dabei und müsste doch eigentlich, wenn man die Idee der Welthandelsordnung wahrnimmt, abbauen, und zwar massiv abbauen.

    Wieczorek-Zeul: Ich meine, das ist ja das, was die Wut und den Ärger der Entwicklungsländer auch auslöst. Und deshalb ist es im Übrigen wirklich sehr zu loben, dass zum ersten mal sich eine größere Gruppe von Schwellen- und Entwicklungs-ländern unter der Leitung von Brasilien organisiert hat und ihre Interessen wahrgenommen hat und damit auch ein Signal für einen gerechteren Welthandel gesetzt hat. Durch die Subventionierung der Baumwolle in den USA der US-Farmer im Umfang von rund 3,7 Milliarden US-Dollar – in der EU ist es weit geringer, da sind es 0,7 Milliarden – ist es faktisch so, dass in den letzten fünf Jahren die Baumwollpreise auf dem Weltmarkt um 40 Prozent gesunken sind, so dass die US-Farmer immer noch billiger lagen und immer bessere Chancen hatten, als die Baumwollprodukte der durch die internationale Gemeinschaft ja ursprünglich auch geförderten vier afrikanischen Länder. Und das ist natürlich pervers, denn das ist für viele dieser Länder die eigentlich einzige Einkommensquelle – und übrigens auch die Basis für die Entwicklung von industrieller Produktion. Ein Land wie Mali zum Beispiel hat im Jahr 2001 durch die Schuldenerlassinitiative 41 Millionen US-Dollar Schulden erlassen bekommen; der Verlust aus den Erlösen aus dem Baumwollhandel betrug 43 Millionen US-Dollar.

    Hohrmann: Von vielen Kommentatoren wurde die Gefahr geschildert, dass es nun im Blick auf die Vereinigten Staaten zum Beispiel und ihre Bestrebungen zu Freihandelszonen zu mehr Bilateralismus kommen könnte und diese multilaterale Idee einer Welthandelsordnung damit unterlaufen werden könnte. Wie gefährlich schätzen Sie diese Entwicklung ein?

    Wieczorek-Zeul: Das ist schon eine Gefahr. Wir haben ja auch in anderer Beziehung darauf hingewiesen, dass eigentlich der Zukunft der Welt im 21. Jahrhundert eben nur multilaterale Strukturen und Organisationsformen entsprechen, wenn es darum geht, alle zu beteiligen. Deshalb gehöre ich auch zu denjenigen, die sagen, die WTO muss reformiert werden. Es müssen eben vor allen Dingen diese krassen Ungerechtigkeiten beseitigt werden, die heute eben noch ihre Handelsbeziehungen prägen. Aber generell darf niemand ohne Not multilaterale Strukturen beiseite schieben. Wir müssten sogar eigentlich – und das sollte uns Cancún auch zum Anlass sein – über die Frage gemeinsam nachdenken. Sehen Sie, wir haben jetzt zum Beispiel am Wochenende die laufenden Tagungen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds und die UN-Generalversammlung, die dann in der Woche folgt. Es ist eigentlich notwendig, dass zwischen diesen verschiedenen Elementen es eine Abstimmung in den zentralen ökonomischen, ökologischen, sozialen Fragen gibt – hochrangig, bei der alle Gruppen wirklich auch angemessen vertreten sind, so etwas, was die Entwicklungsländer nennen ein ‚UN-security council for economic and social policy’. Das ist vielleicht noch in weiter Ferne, aber es muss vorgedacht werden.

    Hohrmann: Denn das, was der Europäische Handelskommissar Lamy als ‚mittelalterliche Entscheidungsprozeduren’ bezeichnet hat, das gibt es nicht nur bei der WTO, das gibt es auch bei der Weltbank und beim Internationalen Währungsfonds. Werden Sie diesmal in Dubai initiativ, um eine Demokratisierung der Verfahren dort einzufordern?

    Wieczorek-Zeul: Bei der Welthandelsorganisation gibt es doch die völlige Gleichberechtigung – grundsätzliche Gleichberechtigung – aller Mitglieder. So stellen zum Beispiel die Entwicklungsländer die übergroße Mehrheit aller WTO-Mitgliedsländer. Und das ist ja auch eine Chance, die genutzt werden kann. Bei der Weltbank: Die Weltbank ist nun eine Bank, wie der Name schon sagt, und infolge dessen ist klar, dass es dort nicht nach dem Prinzip ‚ein Land – eine Stimme’ gehen kann, sondern es ist einfach auch das Prinzip, dass die Kapitaleigner natürlich eine bestimmte Gewichtung von Stimmrechten haben. Aber in der Tat, da haben Sie sehr recht, es gibt eigentlich über die Jahre hinweg, über die Jahrzehnte hinweg, ein Absinken der Basisstimmrechte, die ursprünglich den Entwicklungsländern bei Gründung der Bretton-Woods-Institutionen zugesagt waren und die auch existierten. Die lagen bei rund elf Prozent, die sind schrittweise abgesunken. Und unser Vorschlag ist auch jetzt in den Diskussionen des Entwicklungsausschusses der Weltbank, die Frage der Wiedererhöhung der Basisstimmrechte voranzubringen, so dass die Entwicklungsländer bessere Möglichkeiten auch der Einflussnahme haben.

    Hohrmann: Was könnte das aber positiv bewirken bei der finanziellen Ausstattung von Entwicklungszusammenarbeit zur Armutsbekämpfung. Das Ziel 2015 steht ja an: Halbierung der Armut, Zugang zu sauberem Wasser für mehr Menschen in den Entwicklungsländern. Das kostet ja Geld. Würde ein größerer Einfluss der Entwicklungsländer bei der Weltbank automatisch zu einer besseren Ausstattung der Hilfe führen?

    Wieczorek-Zeul: Theoretisch nur dann, wenn sozusagen die entsprechenden Anteilseigner auch Anteile erhöhen. Aber es geht gar nicht primär um die Frage, gibt es jetzt in diesem Bereich mehr Finanzmittel, sondern was unser Ansatz dabei ist, ist: Wir haben ja in der Weltbank mittlerweile, und das ist ein Fortschritt, erreicht – Stichwort Armutsbekämpfung –, dass die Armutsbekämpfungsprogramme, die die Entwicklungs-länder vorlegen und die Voraussetzung dafür sind, dass sie auch die Entschuldung durch Beschluss von Weltbank und IWF erhalten, dass diese Armutsbekämpfungs-programme natürlich im Land selbst diskutiert werden mit der Zivilgesellschaft und anschließend aber in den Gremien der Weltbank beraten und diskutiert werden und quasi auch entschieden werden. Und uns geht es einfach um mehr Eigenverantwortung in den Partnerländern, weniger – wenn man so will – washingtonlastig, also im Sinne der internationalen Finanzinstitution, weniger washingtonlastig und mehr orientiert vielleicht auch an den eher manchmal auch anderen wirtschaftspolitischen Konzepten, die Entwicklungsländer haben. Es wäre eigentlich das Allerwichtigste, dass die Realität in den betroffenen Ländern von der Weltbank zur Kenntnis genommen wird und dass das nicht so sehr nur aus der Zentrale gesehen wird.

    Hohrmann: Könnte so etwas auch manche Fehlentscheidung der Weltbank verhindern, die ich zum Beispiel – und viele andere – darin sehen, dass die Weltbank Vietnam vorgeschlagen hat, Kaffee anzubauen, und dass seitdem, weil er dort so wunderbar wächst, der Kaffeeüberschuss zu weit gefallenen Kaffeepreisen führt, was dann wieder allen zum Schaden gereicht?

    Wieczorek-Zeul: Also, da muss in der Tat auch immer natürlich genau überprüft werden bei solchen Empfehlungen, die dann Ökonomen oder andere geben. Man muss in der Tat auch sagen, dass die Weltbank – und in diesem Sinne übrigens auch der Internationale Währungsfonds – durchaus Lernprozesse vollzogen haben. Zum Beispiel haben wir bei der Entschuldungsinitiative mit dafür gesorgt, dass die traditionellen Strukturanpassungsprogramme für die ärmsten Entwicklungsländer beendet wurden. Mit denen sind also arme Entwicklungsländer noch ärmer beraten worden. Trotzdem, dieser Lernprozess muss fortgesetzt werden, und so verstehe ich meine Arbeit auch als Gouverneurin der Weltbank.

    Hohrmann: Wo Sie die internationale Schuldenerlassinitiative ansprechen, die ja beim G 7-Gipfel in Köln 1999 initiiert worden war von Ihrer Regierung und auch schon dazu geführt hat, dass einige der 42 ärmsten Länder entschuldet worden sind: Da gibt es Sorge zum Beispiel beim Evangelischen Entwicklungsdienst – am Donnerstag in Bonn geäußert –, dass Weltbank und Internationaler Währungsfonds den überschuldeten ärmsten Ländern die kalte Schulter zeigten und keine neue Initiative zur Entschuldung in Dubai zu erwarten sei, die aber dringend geboten sei.

    Wieczorek-Zeul: Erstens: Die Entschuldungsinitiative ist eine wegweisende Initiative, die im Übrigen viel dazu beigetragen hat, dass in den Entwicklungsländern – und bisher profitieren 26 dieser Entwicklungsländer von den Beschlüssen zur Entschuldung –, dass dort sehr viel mehr auch die Bevölkerung und auch die Zivilgesellschaft einbezogen worden ist in Planungsprozesse. Wir haben immer gesagt – es ist ja ganz klar, dass die ursprünglichen Programme, die die Länder selber auch bei den Wachstumsraten festgelegt haben – ist klar, dass über die Jahre hinweg angesichts gesunkener Wachstumsraten natürlich Anpassungen notwendig sind. Und wir haben immer gesagt: Es muss notfalls noch einen Nachschlag bei der Entschuldung am Ende des Entschuldungszeitraumes geben. Insofern wäre ein solches Urteil, wie es da geäußert worden ist, vorschnell, denn das steht ja jeweils auch noch aus – die weitere Entschuldung. Und ich komme noch mal zurück auf das, was ich zu Anfang sagte. Es muss die Entschuldung verbunden sein einmal natürlich mit Leistungen der Entwicklungszusammenarbeit, aber vor allen Dingen auch mit gerechteren Handelsbeziehungen, damit die Länder selber Einkommen erzeugen können. Man muss immer noch mal daran erinnern, dass im Umfang von rund 300 Milliarden US-Dollar weltweit die Industriestaaten ihre Agrarmärkte abschotten. Man kann sich ausrechnen also, wie viel Einkommen diese Entwicklungsländer hätten, wenn sie von ihren komparativen Vorteilen Gebrauch machen könnten. Die wollten vielleicht gar keine Entwicklungshilfe, wenn sie in die weltwirtschaftlichen Beziehungen viel besser einbezogen wären.

    Hohrmann: Dennoch sagt der Bericht über die menschliche Entwicklung der UN-Entwicklungsorganisation, der jüngste, dass doppelt so viel Entwicklungshilfe finanzieller Art, wie zur Zeit von den Industriestaaten gegeben wird, nämlich nicht 50 – sage ich jetzt mal rund –, sondern 100 Milliarden notwendig wären, um die Millenniumsziele 2015 zu erreichen. Und da schlagen verschiedene Leute in Anlehnung an einen Vorschlag des britischen Finanzministers eine internationale Finanzfazilität vor, also Anleihen, die von den Geberländern gezeichnet würden, die ihnen aus ihrem engen Haushaltsprokrustesbett heraushelfen könnten. Was halten Sie von dieser Initiative, die nach Angaben von VENRO (Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen) auch von Frankreich und England unterstützt wird?

    Wieczorek-Zeul: Man muss natürlich alle Möglichkeiten prüfen, was gemacht werden kann, damit die Armutbekämpfungsziele erreicht werden, damit weniger Menschen in Armut sind, dass alle Kinder die Chance haben, wenigstens bis zum 14. Lebensjahr in die Schule gehen zu können, dass die Müttersterblichkeit gesenkt wird, dass Aids bekämpft wird. Das alles muss man überprüfen. Man muss sehen, wie weitere und zusätzliche Finanzmittel – auch übrigens in Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft – mobilisiert werden können. Wir sind ja auch dabei, zum Beispiel Investitionen zu mobilisieren. Das ist ja auch ein wichtiges Instrument der Finanzierung in den Partnerländern. Also da müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Blaupausen gibt es weder, noch sind sie dabei hilfreich. Und auch da noch mal zur Erinnerung: Wenn es jetzt positive Beschlüsse in Cancún gegeben hätte, so hat die Weltbank prognostiziert, wären etwa durch die Ergebnisse rund 144 Millionen Menschen weltweit aus der Armut herausgekommen. Das heißt: Ich dränge trotzdem noch einmal darauf, wirklich die handelspolitischen Fragen in den Mittelpunkt zu stellen, und auch die Zusagen, die jetzt den Entwicklungsländern gemacht werden, dann auch wirklich einzulösen.

    Hohrmann: Droht nicht, dass all diese ehrenwerten Vorsätze überlagert werden durch so kurzfristige Dinge, wie jetzt Irak, vorher Afghanistan? Es gibt eine Geber-Konferenz Ende Oktober. Zunächst war die Bundesregierung etwas zögernd, jetzt hat der Bundeskanzler – haben Sie – zugesagt, dort teilzunehmen. Und es gibt wohl auch schon erste Projektvorstellungen. Unter welchen Bedingungen kann man dort mit Aussicht auf Erfolg den Wiederaufbau befördern?

    Wieczorek-Zeul: Also, zunächst einmal ist es in der Tat so: In der Welt, in der sehr häufig zerfallene staatliche Strukturen aus vielerlei Gründen bestehen und Konflikte jedenfalls nicht grundsätzlich abgenommen haben – zumal innerstaatliche Konflikte –, ist Entwicklungszusammenarbeit in vielen Fällen eben auch unmittelbares Tätigwerden, also Stichwort Afghanistan zum Beispiel – also auch kurzfristig. Wir müssen und dürfen darüber aber trotzdem die langfristigen Perspektiven nicht aus dem Auge verlieren. Und vor allen Dingen: Neue Aufgaben erfordern auch neue Finanzierungsnotwendigkeiten. In bezug auf den Irak – denke ich – ist das Allerwichtigste, dass die Sicherheit so ist, dass dort tatsächlich auch geholfen werden kann vor Ort. Bisher hat jedenfalls die UN immer noch das gesamte Gebiet des Irak als unsicheres Gebiet bezeichnet, und die Weltbank hat auch ihre Mitarbeiter eben aus dem Gebiet des Irak zurückgezogen. Um helfen zu können, muss man aber natürlich in der Tat vor Ort in einem Land sein und kann das nicht ganz von außerhalb machen. Das ist das eine. Und das Zweite ist: Bei allem, was an Fonds zum Beispiel – es gibt ja diesen sogenannten Entwicklungsfonds für den Irak – wichtig ist, ist klar – Stichwort Geberkonferenz: Wenn es da einen gemeinsamen Fonds gibt, dann wird der von allen Gebern entschieden und über ihn entschieden, und zwar unter der Eigenverantwortung des Irak und der irakischen Bevölkerung. Und dann kann es nicht Paul Bremer sein, der dann in letzter Konsequenz über die Frage des Einsatzes der Finanzmittel entscheidet. Das ist unakzeptabel. Und es braucht auch ein breiteres UN-Mandat für den Wiederaufbau.

    Hohrmann: Sie haben so eine Art ‚Petersbergprozess’ für den Irak angeregt und gefordert. Der hat sich ja in Afghanistan – mit allen Einschränkungen – bewährt. Nun hat sich allerdings der Wiederaufbauminister Amin Fahang dem Handelsblatt gegenüber sehr besorgt gezeigt, dass a) nicht alle Geber sich zu ihren Zusagen der Geberkonferenz von Tokio bekennen und dass manche Entwicklungshelfer sich doch sehr protzig zeigten – in ihren Gehältern, in ihren Autos – und die Preise in Kabul verdürben. Sie waren jüngst in Afghanistan. Wie sehen Sie die Chancen des Wiederaufbaus?

    Wieczorek-Zeul: Ich hatte einen wirklich guten Vergleich – oder jedenfalls einen Vergleich, der mir eine Beurteilung sehr gut möglich macht. Ich war am Ende – am unmittelbaren Ende – der Talibanherrschaft in Kabul in Afghanistan und jetzt praktisch eineinhalb Jahre danach wieder. Und man stellt eben doch dann fest, welche wirklich großen Fortschritte in der Zwischenzeit stattgefunden haben, zum Beispiel eben auch bei der Frage der Frauenrechte. Da ist eben natürlich noch viel zu tun und es gibt auch immer herbe Rückschläge – aber auch zum Beispiel, dass Kinder jetzt wirklich also Hunderttausende von Kindern, zumal von Mädchen, in die Schule gehen können. Und ich denke, das, was an Stabilität doch für Kabul auch erreicht war, das muss ja jetzt im Grunde auch in die einzelnen Landesteile übertragen werden, denn in Afghanistan geht es ja – die Menschen erwarten das von uns – darum, dass wir dauerhaft diesen Prozess mit unterstützen. Der Terrorismus hatte sich da eingenistet in einem Land, in dem praktisch alle sozusagen weggesehen haben. Und das darf man niemals mehr zulassen. Es geht in Afghanistan also auch darum, ob die internationale Gemeinschaft zu ihren Zusagen steht und den Terrorismus wirklich entschlossen zurückweist und auch entschlossen zurückdrängt. Und es geht um die Frage eines staatlichen Wiederaufbaus nach über 20 Jahren Krieg und Bürgerkrieg. Also, ich bewundere zum Beispiel diejenigen, die da auch diese Wiederaufbauarbeit leisten. Das ist beeindruckend. Wir unterstützen zum Beispiel – machen eine gemeinsame Initiative einer Investitionsagentur, die eben auch Arbeit und Einkommen und Investitionen im Land selber anregen soll, denn das ist das Allerwichtigste. Die Menschen in Afghanistan wollen spüren und müssen auch spüren, dass sich Frieden lohnt und nicht, wie über Jahrzehnte hinweg, Gewalt.