Mittwoch, 24. April 2024

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Heidi-Specker-Ausstellung in Berlin
Von der Stadtfotografin zur Stadtporträtistin

Heidi Specker war als Stadtfotografin bekannt geworden. Dabei sind ihre Fotografien alles andere als Stadtromantik oder Verklärung von moderner Schroffheit. Ihre Bilder von Gebäuden, Pflanzen, Tieren und Menschen zeigen sich fast wie Porträts. Die Berlinische Galerie zeigt nun eine Serie von 70 Bildern der Niedersächsin.

Von Carsten Probst | 14.03.2016
    Die Berlinische Galerie - Museum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur.
    Berlinische Galerie - Museum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur. (dpa / Tim Brakemeier)
    So genau, so nah hat man einer Taube womöglich noch nie ins Angesicht gesehen. Ihr rechtes, deutlich braun gefärbtes Auge blickt einen unmittelbar an. Man erkennt jedes Detail des verhornten, nicht sehr eleganten Schnabels und der Augenpartie, das feine Gefieder, das den Kopf umkleidet und mit all dem weiteren Federkleid einen Farbverlauf aus Grau, Violett, Grün bis hinab zum Ansatz der Flügel bildet, die wiederum weiß-grau gefleckt sind. Die eigentümliche Vertrautheit dieser direkten Begegnung wird aber vor allem dadurch erzeugt, dass sich um den Nacken der Taube wie schützend eine Hand legt. Zeige- Mittel- und Ringfinger wölben sich sanft um das Tier und der Daumen ragt direkt am Kopf empor, ohne dass dieses zu erschrecken scheint. Man erkennt auch an dieser Hand alle Unregelmäßigkeiten der Haut, der Fingernägel, der Gelenke und ist unweigerlich gebannt von der Landschaft dieser Oberflächen, die Heidi Specker mit so scheinbar beiläufiger Intensität in ihren Bildern erzeugt.
    Alles andere als Stadtromantik
    Eigentlich kennt man die gebürtige Niedersächsin als Stadtfotografin. Bekannt wurde sie in den Neunzigerjahren mit den sogenannten "speckergruppen", Detail-Bildern von zumeist modernen Stadt-Fassaden, die wie abstrakte Ornamente erscheinen, das Spiel mit den Oberflächen aber schon anstoßen. So auch in Speckers 2003/2004 in Berlin entstandene Serie "Im Garten", die hier in der Berlinischen Galerie nun ihre ganz neu entstandenen, eigentümlichen Porträtbilder - wie jenes mit der Taube - einrahmt. Bei "Im Garten" sieht man Details von Pflanzen vor Fassadendetails, mit Teleobjektiv aufgenommen, sodass eine erstaunliche Flächigkeit der Aufnahmen entsteht, als wären Pflanzenhaut und Hausfassade Teil ein- und derselben Oberfläche.
    Speckers Fotografien sind dabei alles andere als Stadtromantik, Verklärung von moderner Schroffheit. Schon ihre Architekturaufnahmen zeigen sich hier fast wie Porträts, so als sei die Fassade eines Hauses dessen Gesicht. Ähnliches gilt für Pflanzen, für Tiere und - für Menschen. Erst mal nun widmet sich Specker dem Porträt im klassischen Sinn des Wortes, indem sie Freunde und Bekannte in ihr Studio bittet und dort Aufnahmen von ihnen macht. Aber was sind das für Porträts. Auf den ersten Blick wirken sie wie das, was vermeintlich professionelle Porträtisten als Probe- oder Fehlschüsse sofort löschen würden. Gesichter wirken abwesend, Haltungen ungelenk und linkisch, manche sind von schräg oder hinten eingefangen oder in spontanen Posen, keineswegs immer zum Vorteil der Abgebildeten. Manche Bilder enthalten nur Ausschnitte, schlaff herabhängende Hände, verschränkte Arme oder eben jene Hand mit der Taube; oder sie zeigen seltsame Accessoires wie eine Wollmütze, in die eine Perücke gestopft wurde.
    Specker interessiert das Ungeordnete hinter der Fassade
    Doch allen Bildern gemeinsam ist derselbe insistierende Blick der Fotografin. Keines dieser Bilder ist ein Fehlschuss, sondern exakt so gewollt, mit der Fokussierung auf das scheinbar randständige Detail, das zugleich die Faszination der Oberfläche eröffnet. Manche dieser Aufnahmen zeigen die Portraitierten oder nur ihre Hände, wie sie Kunstpostkarten mit historischen Vorbildern der klassischen Porträtkunst halten, so als wolle sich die Fotografin bewusst von diesen abgrenzen. Die Fassade des Menschen, seine Haut, seine Kleidung, sein Gesicht und seine Haltungen sprechen eine eigene Sprache, und je genauer, je interessierter man hinsieht, desto deutlicher wird die Faszination des Rätselhaften daran. Diese Faszination verbindet sie beispielsweise mit den Fotografien von Roni Horn. Und es trennt sie etwa von jenen sachlichen Fotografen der Becher-Schule, die, wie etwa Thomas Ruff, einst auch Ausflüge von der Architekturfotografie zum Porträt unternommen haben. Sie bedachten das menschliche Gesicht mit derselben strengen Ordnung wie die Architektur. Heidi Specker interessiert hingegen das Ungeordnete hinter der Fassade, auch wenn sie niemals wirklich weiß, was es ist.