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Heil: NRW-Haushaltsstopp ist "Erblast der Rüttgers-Regierung"

Hubertus Heil (SPD) weist Kraft-Vorgänger Jürgen Rüttgers (CDU) die Schuld am NRW-Haushaltproblem zu - macht sich aber mehr Sorgen um eine Lähmung der Bundespolitik im Hartz-IV- und Mindestlohnstreit mit der Regierung.

19.01.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Eigentlich sollten der neue Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger und das Bildungspaket für deren Kinder längst in Kraft sein. Das Bundesverfassungsgericht hatte der Politik eine Frist gesetzt, die zu Beginn dieses Jahres auslief. Doch immer noch warten die Betroffenen auf mehr Geld beziehungsweise Bildungsgutscheine, denn SPD und Grüne lehnten den Entwurf der Regierung im Bundesrat ab. Heute tritt erstmals der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zum Thema zusammen.
    Am Telefon ist jetzt Hubertus Heil, er ist der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Schönen guten Morgen, Herr Heil.

    Hubertus Heil: Schönen guten Morgen, ich grüße Sie.

    Heckmann: Herr Heil, bevor wir zum Thema kommen, aus aktuellem Anlass ein Blick auf die Lage in Nordrhein-Westfalen, nachdem das Verfassungsgericht den rot-grünen Nachtragshaushalt einstweilen gestoppt hat. Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann handeln jetzt nach dem Motto "Augen zu und durch". Sind sie da gut beraten?

    Heil: Nein, den Eindruck habe ich nicht, denn man muss ja zum einen sehen, das ist eine vorläufige Entscheidung des Gerichts gewesen, keine Entscheidung in der Hauptsache. Das muss man sehen, wie die ausfällt. Das Zweite ist: Man muss wissen, dass das Ganze ja zurückgeht auf Erblasten der Rüttgers-Regierung, vor allen Dingen im Verhalten in Sachen West-LB, mit denen die rot-grüne Landesregierung umgehen muss. Und zum Dritten: ich sehe im Moment nicht, dass es zu Neuwahlen kommt, weil Schwarz-Gelb, die Opposition in Nordrhein-Westfalen, angesichts ihrer Umfragen im Moment dazu der Heldenmut fehlt, aber deren Stimmen bräuchte man ja dafür.

    Heckmann: Rechnen Sie denn im Ernst damit, dass die Verfassungsrichter in der Hauptsache anders entscheiden werden?

    Heil: Das kann ich als Niedersachse, der in Berlin arbeitet, nicht im Detail beurteilen. Da bitte ich um Verständnis. Ich lebe nicht in Nordrhein-Westfalen und Düsseldorf. Ich kenne das aus den Berichten, die Sie auch kennen. Aber noch mal, man muss darauf hinweisen: Es gibt ja einen Unterschied zwischen vorläufigen Anordnungen von Gerichten und Hauptsacheentscheidungen.

    Heckmann: Aber eine gute Werbung für Rot-Grün war der Spruch der Richter nicht, oder?

    Heil: Ich glaube, es ist vor allen Dingen die Schlussbilanz der Regierung Rüttgers. Noch mal: Die rot-grüne Landesregierung hat damit zu tun, dass da eine Vorgängerregierung war, die einen Riesenberg hinterlassen hat, die auch getrickst hat mit Haushaltszahlen, die in Sachen West-LB ein Riesenschlamassel angerichtet hat, und Rot-Grün räumt da auf und das ist keine einfache Aufgabe.

    Heckmann: Wenn es jetzt doch zu Neuwahlen kommen sollte in diesem Jahr, Herr Heil, welche Auswirkungen hätte das auf die Bundespolitik? Würde die wieder einmal mehr gelähmt?

    Heil: Ich glaube, dass wir uns nicht lähmen lassen dürfen. Wir haben in diesem Jahr ohnehin schon mal sieben geplante Landtagswahlen und die Bundespolitik muss weitergehen. Im Moment lähmt eher die Tatsache, dass CDU und FDP sich in Vielem nicht einig sind, sehen Sie sich den Steuerstreit an, oder das Thema, über das wir gleich reden werden. Schwarz und Gelb sind im Moment in vielen Bereichen nur bedingt regierungsfähig, um es eher freundlich zu formulieren.

    Heckmann: Aber Sie sind sich auch nicht einig mit der Regierung bei dem Thema Hartz-IV. Die Betroffenen können beobachten, dass die Erhöhung um 5 Euro weiterhin blockiert wird. Müssen Sie von der SPD nicht fürchten, dass Ihnen das auf die Füße fällt?

    Heil: Nein, weil die Menschen wissen, dass wir an guten Lösungen arbeiten. Tatsache ist, dass Frau von der Leyen im Bundesrat gescheitert ist mit ihrem Entwurf, der ist nicht mehrheitsfähig. Das betrifft drei Bereiche. Wir brauchen Regelungen bei den Mindestlöhnen, vor allen Dingen im Bereich der Zeit- und Leiharbeit nicht nur einen Mindestlohn, sondern den Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit zwischen Leiharbeitnehmern und Stammbelegschaften. Wir brauchen ein tatsächliches Bildungspaket, was die Lebens- und Bildungschancen der Kinder verbessert, und einen fairen Regelsatz. Das ist vollkommen klar. Was im Moment sozusagen die Fortschritte in den Verhandlungen blockiert ist, dass Schwarz-Gelb da tatsächlich auf der Stelle hüpft. Vor den Kameras oder vor den Mikrofonen, haben wir eben gerade auch gehört, immer das schöne Signal der Bereitschaft, nach vorne zu gehen; in den Verhandlungen dann njet a la Kreml. Das geht nicht richtig zusammen und das muss sich jetzt entsperren. Das reicht nicht aus, wenn Frau von der Leyen da warme Worte findet, aber in der Tat zu kalten Taten kommt.

    Heckmann: Mal ganz konkret, Herr Heil, zum Regelsatz. Die Regierung will wie gesagt um fünf Euro erhöhen. Bis heute weiß man nicht, ob der SPD das reicht oder nicht. Wie hoch soll der Satz denn aus Ihrer Sicht sein?

    Heil: Wir haben von vornherein darauf verzichtet, irgendwelche wilden Zahlen willkürlich festzulegen, weil genau das unsere Kritik an dem Vorliegenden ist. Wir haben gesagt, wir müssen den Ansprüchen des Bundesverfassungsgerichts entsprechen, ein menschenwürdiges Existenzminimum darf nicht künstlich runtergerechnet werden, auch nicht, wie der Kollege Altmaier es fälschlicherweise sagt, nach Kassenlage, sondern da dürfen wir nur eine Lösung finden, die fair und nachvollziehbar ist und die dann im Zweifelsfall auch vor dem Verfassungsgericht wieder Bestand hat. Das wäre ja eine Schande für die deutsche Politik, das zweite Mal da vor die Wand zu fahren.

    Heckmann: Die Arbeitsministerin sagt, die Erhöhung des Satzes ist transparent berechnet worden, und mittlerweile liegen ja auch Ihnen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes vor. Haben Sie sich da noch kein Bild gemacht?

    Heil: Wir haben uns da ein klares Bild gemacht und je näher man heran kommt, desto stärker wird der Zweifel, ob das, was Frau von der Leyen gemacht hat, da tatsächlich fair berechnet ist. Das sagen viele Experten. Wir sind bereit, darüber zu reden, wie man zu einer nachvollziehbaren Lösung kommt. Die Zahlen liegen vor; was man aus den Zahlen macht, ist eine ganz andere Frage, und da ist wie gesagt unser Eindruck, dass da nicht mit sauberen Mitteln gearbeitet wurde, und das muss nachgebessert werden.

    Heckmann: Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert 35 Euro mehr im Monat pro Hartz IV-Empfänger. Ist das eine Hausnummer, mit der Sie auch leben könnten?

    Heil: Wie gesagt, ich setze keine Zahlen in die Welt. Es geht um komplizierte Berechnungen und Grundlagen. Tatsache ist: Das Ganze muss am Ende Bestand haben. Deshalb muss man da sorgfältig miteinander arbeiten. Aber es geht nicht, dass die Regierung von vornherein sagt, es ist, wie es ist, wir können da gar nichts machen, sondern wir brauchen auch da substanzielle Bewegung für ein transparentes Verfahren.

    Heckmann: Dass die Sozialdemokraten da so zurückhaltend sind, was den Regelsatz angeht, liegt das möglicherweise auch daran, dass viele SPD-Anhänger möglicherweise gar nicht begeistert wären von einer stärkeren Erhöhung, weil viele gar nicht mehr verdienen als Hartz IV-Empfänger?

    Heil: Nein, es geht um die Sache. Ich habe ja eben beschrieben, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass ein zweites Mal man eine Regelung findet, die dann von dem Verfassungsgericht angezweifelt wird, und wie gesagt: das was Frau von der Leyen bisher vorgelegt hat, reicht nicht aus. Es geht auch um das Bildungspaket, auch da hat das Verfassungsgericht gesagt, ihr müsst Teilhabechancen von Kindern verbessern. Das ist der Grund, warum wir kein Bildungspäckchen, sondern ein wirkliches Paket brauchen, zu dem Sozialarbeit gehört. Das gilt auch für die Lohnuntergrenzen, sprich Fortschritte bei Mindestlöhnen.

    Heckmann: Und da wollen Sie ja zumindest einen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche und den Grundsatz durchsetzen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Das heißt also, Leiharbeiter sollen so bezahlt werden wie die Stammbelegschaft. Union und FDP sind dazu offenbar bereit, aber nicht vom ersten Tag an. Könnten Sie denn mit einer Karenzzeit von 6 bis 12 Monaten leben, wie es FDP-Generalsekretär Lindner ins Spiel gebracht hat?

    Heil: Nein, weil das in der Sache nicht hilft. Ich will den Zusammenhang erläutern. Im Gesetz steht jetzt schon eigentlich dieser Grundsatz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit", der wird nur unterlaufen durch eine Ausnahmeregelung und dadurch kommt es zum Missbrauch. Deshalb haben festangestellte Stammbelegschaften Angst, dass ihre Lohnniveaus gedrückt werden durch den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit. Das muss beendet werden. Dazu muss man wissen, das was die FDP da vorschlägt, 6 oder 12 Monate, führt dazu, dass 60 Prozent bei 6 Monaten und 98 bei 12 Monaten überhaupt nicht positiv berührt wären, denn die meisten Zeit- und Leiharbeitnehmer sind kürzer eingesetzt. Die meisten arbeiten bis zu 3 Monaten und deshalb geht das so nicht. Wir sagen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist notwendig. Der Mindestlohn, über den immer geredet wird in diesem Zusammenhang, der betrifft lediglich die verleihfreien Zeiten. Wichtiger und zusätzlich muss kommen, der Mindestlohn ist da selbstverständlich. Dieser Grundsatz, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, ist nicht nur ein Gebot der Fairness, dass Menschen für die gleiche Tätigkeit auch anständig und gleich bezahlt werden, sondern das ist auch eine Frage, den Missbrauch wirksam zu verhindern und Zeit- und Leiharbeit auf das zurückzuführen und zu konzentrieren, für das es gemeint ist, nämlich Auftragsspitzen von Unternehmen, aber nicht Einfallstor für Lohndumping.

    Heckmann: Der Vermittlungsausschuss befasst sich mit der Hartz IV-Reform. Wir haben gesprochen mit Hubertus Heil, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Heil, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Heil: Schönen Tag, alles Gute!