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Heilige Pflichterfüllung in der Duma

Die russische Duma geht gleichzeitig mit dem Bundesrat in die Sommerpause, ihre Mitglieder haben zuletzt so viele Gesetze verabschiedet wie wohl nie zuvor. Viele davon sind umstritten.

Von Gesine Dornblüth | 05.07.2013
    In der Eigenwahrnehmung steht das russische Parlament hoch im Kurs. Erstmals beging Russland in diesem Frühjahr den Tag des Parlamentarismus. Und im Sitzungssaal der Staatsduma erklang die "Hymne auf den Abgeordneten" – auch das eine Premiere. Die Heimat rufe den Abgeordneten zu heiliger, edler Pflichterfüllung auf, heißt es im Text. Er stammt noch aus der Zarenzeit.

    Die Duma-Abgeordneten nahmen ihre "edle Pflicht" sehr ernst. Die heute zu Ende gehende Sitzungsperiode stand im Zeichen der "Masse", wie ein Abgeordneter diese Woche in der Parlamentszeitung schrieb. Der rechtsnationale Wladimir Schirinowskij scheint stolz darauf. So sagte er diese Woche, als es um ein Gesetz zur Reform der überalterten Akademie der Wissenschaften ging:

    "Den Apparat der Akademie der Wissenschaften zu unterhalten, kostet sechs Milliarden Rubel. Was die Beamten dort tun, weiß niemand. Die Duma dagegen kostet nur fünf Milliarden Rubel im Jahr. Aber wir machen Gesetze für das ganze Land, Tausende Gesetze."

    Die russische Bevölkerung weiß das allerdings offenbar nicht zu schätzen. Einer Umfrage zufolge, die die angesehene Zeitung Vedomosti im Frühjahr in Auftrag gab, sind nur acht Prozent der Russen mit ihren Abgeordneten zufrieden. Die Übrigen meinen, die Parlamentarier seien faul, machten schlechte Gesetze oder seien gesteuert. Wegen der Vielzahl der verabschiedeten Gesetze hat die Staatsduma im Volksmund den Spitznamen "wild gewordener Drucker" erhalten. Eine treffende Bezeichnung, findet Maria Lipman vom Moskauer Carnegie-Zentrum.

    "Seit 2013 verabschiedet die Duma in unglaublicher Geschwindigkeit ein Gesetz nach dem anderen. Oft werden alle drei Lesungen an einem Tag oder in einer Woche absolviert. Die Eile führt dazu, dass die Qualität der Gesetzgebung auf ein unterirdisches Niveau gesunken ist. Die Gesetze enthalten schwammige und widersprüchliche Formulierungen, die die Abgeordneten oft selbst nicht erklären können."

    Als Beispiel nennt Lipman das Verbot sogenannter Homosexuellenpropaganda unter Minderjährigen. Offiziell ist in dem Gesetz nicht von Homosexualität die Rede, sondern von "nicht traditionellen sexuellen Beziehungen". Das Gesetz wurde einstimmig verabschiedet.

    "Nicht mal die Autorin dieses Gesetzes konnte anschließend erklären, was traditionelle und was nicht traditionelle sexuelle Beziehungen sind, wo man nachlesen kann, was man darf und was nicht. Und sie hatte auch keine Ahnung, wie das Gesetz angewendet werden wird. Da zeigt sich ein unglaubliches Maß an Verantwortungslosigkeit, und die ist typisch für die Arbeit der Duma."

    Viele der in der nun zu Ende gehenden Sitzungsperiode verabschiedeten Gesetze seien darauf gerichtet, Bürgerfreiheiten einzuschränken, meint Lipman. Zum Beispiel das Gesetz zum Schutz religiöser Gefühle, bei dem wiederum nicht definiert ist, wer das Recht hat, beleidigt zu sein.

    Ein weiterer Trend der vergangenen Monate: Die Moral hielt Einzug in die Gesetzgebung, und zwar eine extrem konservative Moral. Und diverse Gesetze greifen in die Privatsphäre der Russen ein. Lipman:

    "Das gab es früher nicht. Der russische Staat hat sich bisher, im Unterschied zum sowjetischen Staat, nicht in das Privatleben der Bürger eingemischt. Nicht in Fragen von Sex, nicht in Fragen der Familie, nicht in Glaubensfragen, nicht in Fragen wie Schuluniformen. All das wird jetzt Sache des Staates."

    So ist seit diesem Frühjahr auch gesetzlich verboten, in Fernsehen, Radio oder Zeitungen zu fluchen. Die Vorsitzende des Familienausschusses schlug gar vor, Russen, die sich scheiden lassen, per Gesetz zu bestrafen. Das allerdings ging den Abgeordneten dann doch zu weit.
    Demonstranten, die gegen das neue Homosexuellen-Gesetz vor der Staatsduma protestieren, küssen sich. Ein solcher Kuss in der Öffentlichkeit ist mit dem Gesetz unter Strafe gestellt.
    Küssen verboten: Zwei Frauen protestieren vor der Duma gegen das Homosexuellen-Gesetz (picture alliance / AP Images / Ivan Sekretarev)