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Heilige Schriften (3/4)
Verheißungen, Offenbarungen und die Tradition der Propheten

Heilige Schriften sind Texte, denen innerhalb einer Religionsgemeinschaft eine besondere Bedeutung zukommt. Welche Möglichkeiten der Interpretation gibt es? Welche Bedeutung haben diese Schriften im Gottesdienst und im alltäglichen Leben? Eine Diskussion.

Von Rüdiger Achenbach | 30.07.2014
    Multikultureller Friedhof Gerliswil, Gemeinde Emmen in der Schweiz: Symbole für die Weltreligionen Judentum, Christentum, Hinduismus, Islam und Buddhismus
    Multikultureller Friedhof Gerliswil, Gemeinde Emmen in der Schweiz: Symbole für die Weltreligionen Judentum, Christentum, Hinduismus, Islam und Buddhismus (picture alliance / Urs Fueller)
    Aus der Reihe: Heilige Schriften und ihre Bedeutung im Judentum und im Islam - Teil 3: Verheißungen, Offenbarungen und die Tradition der Propheten
    Welche Möglichkeiten der Interpretation gibt es? Welche Bedeutung haben diese Schriften im Gottesdienst und im alltäglichen Leben? Wie sieht man die Rolle der Erzväter und Propheten? Gibt es so etwas wie ein Konkurrenzdenken unter den Offenbarungsreligionen. Wie stehen das Judentum und der Islam zur Religionsfreiheit?
    - Über diese und ähnliche Fragen diskutiert Rüdiger Achenbach mit Dr. Edna Brocke, jüdische Religionshistorikerin, Gerald Beyrodt, jüdischer Publizist, Serdar Günes, Dozent für Islamwissenschaft an der Universität Frankfurt am Main, und Abdul Ahmad Rashid, Islamwissenschaftler und Redakteur beim ZDF.
    Rüdiger Achenbach: Heilige Schriften im Judentum und im Islam stehen immer im Bezug zu einer Geschichte. Und das ist eine Beziehungsgeschichte mit Gott, gezeichnet vom Scheitern und immer auch neuen Anfängen. Und auf diesem Weg begegnet man eine Reihe von Personen, die zum Teil in beiden Religionen eine besondere Bedeutung haben. Im Judentum fängt diese Geschichte mit der Schöpfung an. Dabei begegnen wir Adam und er ist der erste Mensch – nicht der erste Israelit. Beide Religionen sehen ihren religiösen Anfang sozusagen in der Figur des Abraham. Welche besondere Rolle nimmt der im Judentum ein?
    Edna Brocke: Er ist der Träger der Verheißungskette, die über Abraham, dann Isaak und dann Jakob und die 12 Stämme geht. Natürlich ist das eine gradlinige Tradition, die auf Abraham zurückgeht. Insofern kann man vom Judentum als einer abrahamitischen Religion sprechen.
    Achenbach: Also Verheißungskette – ich muss das kurz nur einfügen – ist also Verheißung von Volk und Land?
    Brocke: Volk, Land und Verfassung - der Weg, den wir als Volk gehen mögen oder gehen sollen. Wie wir uns selber verwalten mit all den Vorschlägen aus der jüdischen Bibel, um so ein Gemeinwesen zu organisieren.
    Achenbach: Religionsgemeinschaft und Volksgemeinschaft?
    Brocke: Genau.
    Gerald Beyrodt: Abraham ist derjenige, der losgeht und dieses neue Volk, was es dann werden soll, diese neue Religion vielleicht auch eben gründet. Der entsprechende Bibelabschnitt heißt dann auch: Geh du los – Lech Lecha. Also, der Erste, der es macht. Der Rückbezug auf diese Erzväter Abraham, Isaak und Jakob, der ist im Gottesdienst sehr, sehr stark. Er wird immer wieder gesagt, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Diejenigen werden immer wieder auch als Zeugen zitiert, was sie für große Taten getan haben. Wenn man sich dann die biblischen Geschichten ansieht, sind die großen Taten dann manchmal doch gar nicht so doll. Aber so wird es zitiert im biblischen Gottesdienst.
    Achenbach: Im Islam ist Abraham, der dort Ibrahim heißt, der erste Muslim. Kann man das so sagen, Herr Güneş?
    Sedar Güneş: Muslim als Mensch, der gottergeben ist – in seiner allgemeinen ursprünglichen Bedeutung könnte man ihn als Muslim benennen.
    Brocke: Aber wenn sie sagen, Abraham als erster Muslim, in dem Sinne, wie sie es eben erklärt haben, dann ist die Frage, welche Rolle spielt die Genealogie. Weil, das sagen die Christen auch. Denen ist nicht die Genealogie wichtig. Paulus hat das ja genau getrennt. Sondern denen ist das wichtig, war man glaubt. Das ist bei uns umgekehrt. Das, was man glaubt, ist sozusagen automatisch, weil ich das über Gemeinde, über Mit-Freunde und so weiter miterlebe und mitlerne. Bei uns ist Abraham nicht Vater aller Glaubenden, wie die Christen das so gerne erzählen, und er ist auch nicht der erste Muslim, was eine Übersetzung von Vater aller Glaubenden wäre – wenn ich sie richtig verstanden habe. Sondern er ist wirklich der Vater einer genealogischen Linie. Das Judentum ist eine ontische Dimension, eine Seinsdimension. Ob ich dann glaube oder nicht, ist dann meine Entscheidung. Aber ich bin Jude oder Jüdin, wenn ich in dieser genealogischen Kette stehe. Erst in der Neuzeit haben Juden überhaupt die Möglichkeit gehabt, das zu trennen -seit die Reformbewegung entstanden ist. Dass ich meinen Glauben und meine Zugehörigkeit zum jüdischen Volk voneinander trenne, ist eine neuzeitliche Erscheinung. Vorher gehörte beides automatisch zusammen. Deswegen ist der Bypass, den der Islam gemacht hat, von Abraham über Ismael schon eine ganz entscheidende theologische und – wie ich finde – bis heute eine ganz wichtige politische Differenz.
    Achenbach: Habe ich denn dann davon auszugehen, dass diese Figuren Abraham – nehmen wir die Abraham-Isaak-Tradition im Judentum – dass diese Figuren als historische Figuren verstanden werden?
    Brocke: Nein. Ob es einen Isaak je gegeben hat oder ob es einen Abraham gegeben hat, das ist nicht der Aspekt, sondern dass ein Genealogie der Tragen verfolgbar wird, also nach rückwärts zu verfolgen ist. Von dem denjenigen, wie Herr Beyrodt eben gesagt hat, der den Ruf gehört hat und gesagt hat "Lech Lecha" und er ging.
    Achenbach: Das ist das, was sie unter "ontisch" verstehen? Diesen Seinscharakter?
    Brocke: Ja. Genau.
    Beyrodt: Wo wir jetzt vom Glauben gesprochen haben, es stimmt natürlich, man ist nicht jüdisch durch ein bestimmtes Bekenntnis. Das ist der große Unterschied zum Christentum. Man ist jüdisch, weil man eine jüdische Mutter hat oder eben konvertiert worden ist. Das Bekenntnis, was man da glaubt, spielt keine Rolle. Dennoch ist es natürlich so, die Gebetstexte, da kommt immer wieder Gott drin vor. Das heißt, ganz ohne diese Glaubensdimension kommt man nicht aus. Ob man ihn sich fiktiv vorstellt oder sonst was, irgendeine Realität muss er denn doch haben. Interessant finde ich, weil wir jetzt gerade noch so bei der Figuren, den ganz frühen Erzvätern waren, zu der Zeit ist die Frage überhaupt nicht gestellt worden. Jedenfalls die Bibel berichtet uns davon nicht. Gibt es Gott oder nicht – ist überhaupt keine Frage, die der Bibel bekannt wäre, es wird einfach so angenommen.
    Achenbach: Im Islam sieht die Tradition Ibrahim anders aus als im Judentum – und zwar gibt es dort die Tradition Ibrahim-Ismael? Welche besondere Bedeutung ist damit verbunden?
    Güneş: In heutigen Zeiten wird sehr stark auf Ismael verwiesen. Es ist durchaus so, dass in den früheren islamischen Quellen auch Isaak eine Rolle gespielt hat. Es hat erst später eine Entwicklung gefunden, die sehr stark Ismael in den Vordergrund bringt. In der früheren Zeit war das gar nicht so eindeutig. Das ist erst eine spätere Entwicklung.
    Achenbach: Aber diese Ibrahim-Ismael-Tradition ist ja dann auch die Verbindung zum Hauptheiligtum in Mekka, Herr Güneş.
    Güneş: Es gibt die Episode, dass Abraham die Kaaba – also in Mekka diesen schwarzen Kubus – errichtet hat. Das ist der Glaube vieler Muslime, weil die Pilgerfahrt nach Mekka stattfindet. Das ist auch eine Episode, die auch im Judentum oder bei vielen Historikern und Religionswissenschaftlern eher kritisch beäugt wird, weil sie sagen, historisch ist das gar nicht überliefert, dass das passiert ist. Das ist dann die große Diskrepanz. Sie haben vorhin gefragt, ob das historische Persönlichkeiten sind. Wenn Sie einen normalen frommen Muslim fragen, sind das für sie Leute, die wirklich existiert haben werden, die sagen ja. Das sind Menschen, die gelebt haben, die mit ihrem Leben und mit ihrem Beispiel vorangegangen sind und ihren Niederschlag im Koran gefunden haben. Für die sind das real existierende Personen. In späteren Theologenkreisen, auch in der heutigen Wissenschaft – klar, das gibt es Stimmen, die sagen, vielleicht gibt es einen historische Kern, aber das sind dann Personen, die anders wiedergegeben werden, als es sie wirklich gegeben hat.
    Brocke: Doch so wie die Diskussion bei Christen um den historischen Jesus und den Jesus des Glaubens.
    Güneş: Genau.
    Achenbach: Wir haben jetzt deutlich gemacht, dass es im Islam Figuren gibt, die so auch im Judentum vorkommen. In der Religionswissenschaft nennt man so etwas Mythentransfer. Das heißt also, das werden bestimmte Mythen in einen andere Religion übernommen, bekommen aber durchaus auch eine andere Interpretation und eine andere Bedeutung. Zu diesem Mythentransfer zählt auch die Figur des Moses, der im Islam Musa genannt wird. Welche Bedeutung hat er denn im Islam?
    Güneş: Musa ist eine herausragende Persönlichkeit, weil der Prophet Mohammed selbst gern auch mit ihm verglichen wird. Er bezieht sich sehr positiv auf Jesus. Aber wenn man ein Profilvergleich machen will – einen Charaktervergleich, dann würde man sehen, dass der Prophet Mohammed eher Musa oder Moses ähnlich ist als Jesus. Insofern befindet er sich mit Moses in einer ähnlichen Situation.
    Achenbach: Könnte man das so verstehen, dass mit Mose eigentlich die Prophetentradition beginnt? Ist er vielleicht der Erste, der schon mal ein Buch empfangen hat?
    Güneş: In der normalen Tradition, in der Volksfrömmigkeit wird Mose als derjenige dargestellt, der eine Schrift erhalten hat. Allerdings finden Sie im Koran dazu nichts. Also, es ist nicht eindeutig klar, dass Mose selbst eine Offenbarung erhalten hat. In der Tradition ist das klar, das glauben auch die Muslime so. Aber in der Schrift selbst steht dazu nichts. Was nicht heißt, dass es nicht so war, sondern vieles, was Muslime glauben, muss nicht unbedingt im Koran enthalten sein. Mose spielt da zwar als Prophet eine große Rolle – in dem Sinne. Aber nicht unbedingt als derjenige, der eine Schrift erhalten hat.
    Achenbach: Man hat das Judentum in früheren Zeiten im 18. und 19. Jahrhundert gerne auch als mosaische Religion bezeichnet. Das war die Einordnung über die Religionswissenschaft, um einen Religionsstifter zu finden. Man hat dann in Mose den Religionsstifter gesehen. Das ist aus jüdischer Sicht unzutreffend. Stimmt das, Frau Brocke?
    Brocke: Das ist unzutreffend. Trotzdem haben viele Juden dabei mitgemacht, weil sie sich erhofft haben über so einen Sprachgebrauch wirklich akzeptiert von der damaligen Mehrheitsgesellschaft zu werden. Man glaubte, wenn man sagt, ich bin Deutscher mosaischen Glaubens, dann habe ich mich angepasst an christliche Vorstellungen von Glauben. Und ich habe einen Religionsstifter, also werden die mich akzeptieren als ein gleichberechtigtes Mitglied der deutschen Gesellschaft. Dass das gescheitert ist, wissen wir natürlich heute. Die Orthodoxen haben damals nicht mitgemacht. Ich denke, theologisch ist es ein falscher Ansatz, weil Moses eben kein Religionsstifter des Judentums war. Darin unterscheidet sich Judentum sowohl vom Christentum als auch vom Islam. Das Judentum hat keinen Religionsstifter. Moses ist ein wichtiger politischer Führer, kluger Führer – vieles kann man sagen – aber nicht ein Religionsstifter.
    Beyrodt: Er ist die zentrale Gestalt, zentraler noch als Abraham, Isaak und Jakob. Er ist derjenige, der die Thora erhält. Das ist schon nicht zu vernachlässigen.
    Achenbach: Wir haben vorhin deutlich gemacht, dass im Islam Moses, Musa, wie er dort genannt wird, eine besondere Rolle einnimmt, weil er als Erster eine Buchoffenbarung erhalten hat. Damit – wenn ich das richtig verstehe – zählt der Islam das Judentum zu den Völkern des Buches. Ist das so richtig, Herr Güneş?
    Güneş: Grob gesagt, stimmt das. Es ist so, dass Mose zwar – wie es überliefert ist und viele Leute glauben – eine Offenbarung erhalten hat. Aber es gibt durchaus auch anonyme Propheten oder Persönlichkeiten im Koran, die schon vorher Offenbarungen von Gott erhalten haben, die aber nicht namentlich genannt werden. Im Koran sind sie nicht als eine neue Religion, sondern als eine Fortsetzung des göttlichen Willens.
    Brocke: Das entlockt mir einfach die Rückfrage. Aus der Geschichte wissen wir, dass das Christentum sich gegenüber dem Judentum als die nächsthöhere Stufe verstanden hat und bis heute versteht. Sozusagen, das Judentum ist die Grundlage, aber die verbesserte Variante ist das Christentum. Habe ich sie jetzt richtig verstanden, dass sie andeuten, der Islam sagt, Grundlage, verbesserte Version, aber der Islam ist die allerbeste Version?
    Güneş: Naja, wenn man das Produkt so verkaufen würde, würde ich das natürlich so beschreiben. Aber der Islam sieht sich natürlich als letzte Religion an. Insofern baut es auf den Religionen auf. Es sieht sich als das letzte Update an, würde ich sagen.
    Achenbach: Und dann kommen die Bahai und würden sagen, wir sind noch eine Stufe weiter. Herr Rashid.
    Abdul Ahmad Rashid: Also, der Islam sieht sich nicht als die bessere Religion an im Vergleich zum Judentum und Christentum, sondern der Islam sagt, dass das, was die Juden und Christen leben, das im Laufe der Zeit nicht mehr der wahre Glauben ich. Islam – das heißt, sich Gott ergeben, das ist ja die ursprüngliche Bedeutung des Islam und nicht die Religionsform, die wir heute kennen. Der Islam sagt, Juden und Christen haben die Religion nicht mehr so gelebt, wie sie von Gott ursprünglich an sie offenbart worden ist. Der Islam ist gekommen, um diese ursprüngliche, diese Ur-Religion wieder an die Menschen zurückzugeben. Das ist jetzt keine qualitative Verbesserung, sondern nur eine Korrektur.
    Achenbach: Im Koran wird deutlich gemacht, dass Juden und Christen nicht mehr in der ursprünglichen Form gottergeben sind.
    Güneş: Es gibt es Vorwurf, dass sie ihre Schriften verfälscht haben. Das wird mit dem Begriff Tahif bezeichnet. Was das dann bedeutet, ist nicht so klar. Meint man mit verfälscht, dass neue Schriften hergestellt wurden und dass man falsch interpretiert hat. Das ist eine Diskussion, die es immer noch gibt.
    Brocke: Nur einen kleinen Hinweis. Aus jüdischer Sicht waren weder Jesus noch Muhammed ein besonderer Prophet. Aus jüdischer Sicht gab es ganz, ganz viele Propheten und Messiasse, die aus jüdischer Sicht alle irgendwann einmal in der Geschichte aufgetreten sind, selber von sich gesagt haben, sie seien ein Messias oder von irgendeiner Gruppe von Juden oder Nichtjuden als Messias verstanden worden sind. Die Mehrheit der Juden hat sich dem in all den Fällen nicht angeschlossen. In unserer Geschichte gab es ganz, ganz viele. Insofern sind weder Jesus noch Mohammed eine Ausnahme. Ich verstehe, dass das für Christen und für Muslime natürlich anders aussieht. Aber ich bitte einfach zu sehen, aus unserer Tradition ist das so.
    Achenbach: Wie kann man definieren, was ein Prophet ist und welchen Auftrag hat er? Wie kann man das im Islam beschreiben?
    Rashid: Der Islam unterscheidet zwei Kategorien. Es gibt die Propheten, davon gibt es sehr, sehr viele. Die werden auch im Koran erwähnt. Es gibt auch viele Propheten, die nicht im Koran erwähnt werden, von denen man weiß, die sind mit einer Botschaft zu den Menschen gekommen. Aber es gibt dann Propheten, die mit einer Schrift gekommen sind, mit einem Buch. Und davon kennt der Koran oder der Islam vier. Das ist der schon erwähnte Moses mit der Thora, das ist Jesus mit dem Evangelium, das ist David – Dahud auf Arabisch – mit dem Psalter, mit dem Sabur auf Arabisch – und dann natürlich an letzter Stelle der letzte Prophet, der letzte Gesandte, auf Arabisch heißt dass Rasul von Resada, also eine Botschaft, einer Schrift, die er mitgebracht hat – der letzte Prophet, der letzte Gesandte ist dann Mohammed, der Prophet des Islam.
    Achenbach: Dazu Frau Brocke.
    Brocke: Bei uns unterscheidet man zwischen der Funktion des Propheten, die eine politische ist, als solche, die dann den Politikern, den Königen oder wer auch immer herrscht, die Ethik und die Moral nahebringt. Das heißt, das ist ein Verschnitt von zwei Funktionen. Nicht nur eine theologisch-moralische, sondern ein Verschnitt. David oder überhaupt die Könige spielen eine ganz, ganz entscheidende Rolle im jüdischen Selbstbewusstsein. König David natürlich, weil er das größte Territorium als sein Staatsgebiet hatte. Salomon, der den Tempel gebaut hat. Es ist egal, ob das historisch jetzt mit diesen Personen verbunden ist, sondern im Bewusstsein. Und diese Doppelfunktion von Propheten und Königen, die ineinander gewirkt haben, zeigt, was mir so wichtig ist, diese binomische Existenzform des Judentums. Es ist eine ethisch-moralisch-historische und es ist eine politische oder ethnische Größe.
    Beyrodt: Propheten haben eine ganz starke kritische Funktion, um der Macht ins Gewissen zu reden. Dass der Prophet Nathan zu König David kommt und sagt: Hör' mal, so geht das nicht, dass du hier Bathseba schwängerst und überdies noch ihren Mann an die Front schickst. Die trauen sich, was zu sagen, was andere sich nicht trauen zu sagen. Zum Alltagssprachgebrauch ist – glaube ich – ein wichtiger Unterschied bei den Propheten, dass sie eben keine Seher sind. Propheten sind nicht in erster Linie dazu da, um die Zukunft vorauszusagen, sondern Propheten sind dazu da, um den Königen und dem Volk ins Gewissen zu reden und zu sagen: Ihr seid zwar formal bei den Opfern, wie es Jesaja sagt, ihr seid formal dabei, aber ihr seid ja auch mit dem Kopf und mit dem Herzen dabei. Muss da nicht etwas nachjustiert werden. Also Fragen zu stellen und immer wieder auch Kritik zu üben.