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Heimat in zwei Welten

Wer in zwei Kulturen aufwächst, erhält schon als Kind zwei Perspektiven auf die Welt: Das kann bereichern, aber auch die Frage nach der eigenen Identität aufwerfen. Wie junge Migranten mit ihren unterschiedlichen kulturellen Rollen umgehen, untersucht ein Forschungsteam der Humboldt-Universität in Berlin.

Von Dorothea Jung | 23.07.2009
    "Ich habe einen muslimischen Migrationshintergrund. Aber ich bin auch Deutsche und habe andere kulturelle Einheiten, die mich beeinflussen."

    Doktor Naika Foroutan, Projektleiterin.

    "Da ich nicht praktizierender Moslem bin, habe ich Schwierigkeiten mit der Aussage, ich bin Moslem. Aber ich würde sagen, dass ich einen kontinuierlichen inneren Dialog zwischen meiner Religiosität und dem, was man als die islamische Religion bezeichnet, führe."

    Damian Ghamlouche, studentischer Mitarbeiter.

    "Mein Vater ist Türke. Meine Mutter ist Deutsche und Christin. Aber ich fühl mich überhaupt nicht als Christin - und, ja, eben auch nicht als Muslima."

    Miriam Yasbay studentische Mitarbeiterin.

    Drei Mitglieder im Team eines Forschungsprojektes, das mehr wissen will über das Identitätsgefühl von Einwanderern in Deutschland. Eine ihrer Thesen lautet: Deutsche Muslime mit Migrationshintergrund definieren ihre Identität nicht homogen, sondern hybrid, das heißt: gemischt, gebündelt. Sie fühlen sich unterschiedlichen kulturellen Rollen gleichzeitig zugehörig.

    "Man bewegt sich zwischen diesen hin und her und beim Beobachter entsteht Verwirrung darüber: Wer ist man denn nun? Das merkt man ganz oft in dem Moment, wenn man von 'Wir' spricht. Dass man nicht ganz genau weiß, welches 'Wir' mein ich denn jetzt. Meine ich jetzt, wir als Deutsche? Oder meine ich jetzt, wir als Muslime? Und ich kann damit häufig besser umgehen, als der Beobachter. Und das ist das, was wir in unserer Forschung herausarbeiteten und dann in die Gesellschaft hinein kommunizieren müssen."

    Naika Foroutan, die das Forschungsprojekt gemeinsam mit einer Kollegin ohne Migrationshintergrund initiiert hat, ist in Boppard am Rhein geboren. Ihre Eltern stammen aus dem Iran. Die 37-Jährige hat in Göttingen bei Professor Bassam Tibi über den Kulturdialog zwischen dem Westen und der islamischen Welt promoviert. Ihrer Meinung nach hat die Forschung über Muslime in Deutschland bisher vor allem das Scheitern von Integration thematisiert. "Wir interessieren uns aber mehr dafür, welche Auswirkungen eine hybride Identität hat", erläutert die Wissenschaftlerin. "Und zwar sowohl auf das Bewusstsein der Migranten, als auch auf den Integrationsprozess."

    "Es kommt zu einer Infragestellung von traditionellen Zugehörigkeitskriterien, was sich negativ in Abgrenzungsritualen äußern kann, was aber auch positiv zur Erneuerung von gesellschaftlichen Strukturen beitragen kann. Und das möchten wir bei den hybriden Identitäten untersuchen."

    Eine negative Folge: Menschen, die das Fragezeichen hinter ihrer eigenen Identität nicht ertragen können, sehnen sich nach einfachen Rollenkonzepten. Bei diesen Migranten haben radikale islamistische Konzepte eine Chance, Gehör zu finden.

    "Da, wo man zum Beispiel sagt: Ich bestimme jetzt eine eindeutige Positionierung, entsteht häufig das, was jetzt zu beobachten ist, nämlich das Abdriften von Jugendlichen in eine gewisse Form von 'Invented Tradition', von erfundenen Traditionen und Zugehörigkeiten, die in der Form gar nicht vorhanden sind. Bloß, um zu sagen: So. Das bin ich jetzt."

    Doch die Mehrheit der Betroffenen kann ihre hybride Identität positiv nutzen, weil sie über ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz verfügt. Das ist jedenfalls eine der Hypothesen des Forschungsprojektes.

    "Wir untersuchen jetzt: Welche Figuren aus diesem Milieu der Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund dienen uns als Rollenmodelle für den Integrationsprozess in Deutschland? Deswegen konzentrieren wir uns darauf, zu untersuchen: Welches Potenzial steckt in diesen hybriden deutsch-muslimischen Identitätsmodellen drin?"

    Ein Potenzial besteht darin, souverän zwischen Kommunikationsstilen zu wechseln. Damian Ghamlouche, studentischer Mitarbeiter im Forschungsprojekt, nennt ein Beispiel aus dem Alltag. "Angenommen, ich bestelle eine Geburtstagstorte", sagt er "dann verhalte ich mich bei einem libanesischen Bäcker sicher anders, als bei einem deutschen Bäcker".

    "Ich würde sagen, dass ich zum Beispiel zu dem libanesischen Bäcker hineinkomme und erst mal 'Salam aleikum' sage, also: Friede sei mit dir. Und ihn dann erst mal frage: welche Torten findest Du denn am besten, welche kannst du mir denn empfehlen? Und dass die Kommunikation auf einer ganz anderen Ebene stattfindet. Wohingegen ich vielleicht bei einem deutschen Bäcker eher sagen würde: Also welche Torten haben Sie denn im Angebot? - Also eine sehr viel sachlichere Herangehensweise sehen würde."

    Damian Ghamlouches Vater stammt aus dem Libanon, seine Mutter aus Deutschland. Beide Elternteile sprechen arabisch. Für den 28-Jährigen ist die Position zwischen den Kulturen eine positive Herausforderung. Wenn ihm jemand den Stempel "Muslim - und sonst gar nichts" aufdrückt, empfindet der Politikstudent dies als Ansporn, sich selbst zu hinterfragen.

    "Für mich ist eine Fremdbestimmung auch immer eine Neubestimmung des Selbst. Dazu gehören natürlich eine gewisse Form von Autonomie und auch eine gesellschaftliche Anerkennung, meiner Meinung nach, die das vorerst bedingt, damit man damit auch positiv umgehen kann."

    Wer sich in mehreren Kulturen zu Hause fühlen will - die Wissenschaftler sprechen von kultureller Mehr-Heimigkeit - der braucht genau diese gesellschaftliche Anerkennung. Das hat Miriam Yasbay erfahren. Die 26-Jährige studiert Politik und Soziologie, interessiert sich besonders für Integrationsthemen und arbeitet deswegen im Forschungsprojekt mit. Als Tochter eines türkischen Vaters und einer deutschen Mutter hatte Miriam Yasbay in Deutschland ihre Bi-Kulturalität immer als einen Vorteil empfunden. Das änderte sich aber, als sie sich zu Beginn ihres Studiums entschied, ein Vierteljahr in der Türkei zu verbringen:

    "Ich habe dann immer gesagt: Ja - mein Vater ist Türke, meine Mutter ist Deutsche, und dann hieß es immer gleich: Na dann bist du doch Türkin. Damit war dann auch die Erwartungshaltung verbunden, dass ich Muslima bin und dass ich mich in einer bestimmten Art und Weise verhalte. Und dieser Erwartung konnte ich natürlich nicht gerecht werden."

    Miriam Yasbays türkische Bekannte verbaten ihr nicht explizit, Alkohol zu trinken oder nachts spät heimzukommen. Die Studentin erlebte die Erwartungen an sie eher als subtil, kompliziert und schwer erkennbar.

    "Da kam ich dann irgendwann an einen Punkt, wo ich dann wirklich regelrecht verzweifelt war, weil ich mich nicht mehr gespiegelt gesehen habe. Ich wusste auf einmal gar nicht mehr, wer ich bin. Und man möchte sich ja dort integrieren, aber man möchte sich auch nicht selber verleugnen."

    Das Projekt befindet sich noch in der Anfangsphase, in der es um Begriffsbestimmungen und theoretische Einordnungen geht. Zurzeit entwickeln die studentischen Mitarbeiter einen Fragebogen für den empirischen Teil des Forschungsvorhabens. Die Projektleitung hat sorgsam darauf geachtet, dass zum studentischen Team sowohl fromme als auch säkulare Muslime gehören, Frauen mit und ohne Kopftuch - sowie neben Migranten auch einheimische Deutsche. Die vielgestaltige Zusammensetzung der Mitarbeiter sei wichtig, damit nicht etwa der migrantische Blickwinkel die Forschungsergebnisse einseitig beeinflusst, heißt es. Dennoch sei genau diese Perspektive unverzichtbar für das Herausarbeiten einer wissenschaftlichen Begriffsbestimmung der hybriden Identität. Für Damian Ghamlouche ist das der reizvollste Kern des Projektes.

    "Dass Menschen mit muslimischen Migrationshintergründen nicht als Objekte begriffen werden, die in eine befindliche Mehrheitsgesellschaft integriert werden müssen, sondern ihre Subjektivität darüber entscheidet, inwiefern ein gegenseitiger Austausch über Wissen, Handlungsorientierungen et cetera möglich wird; und sozusagen die Potenziale erarbeitet werden. Potenziale bedeutet ja, das sind Eigenschaften, die sich entwickeln können, die aber möglicherweise noch gar nicht bestehen. Und ich denke, das ist die effektivste Form, einen wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern."