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Heinrich-Schütz-Fest in Mitteldeutschland
Im Geiste der Modernität

Er wurde in Bad Köstritz geboren, leitete in Dresden die Hofkapelle und starb 1672 in Weißenfels: Grund genug für die drei Städte in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, Heinrich Schütz in einem länderübergreifenden Musikfest zu würdigen. In diesem Jahr gab es dort einige spannende Crossover-Projekte.

Von Henry Bernhard | 18.10.2016
    Probe in der Weißenfelser Stadtkirche mit Michel Godard mit E-Bass
    Mit alten und neuen Instrumenten: Michel Godard mit Ensemble beim Heinrich-Schütz-Fest (Deutschlandradio / Henry Bernhard)
    Musik: Schütz, Stehe auf, stehe auf!
    Der französische Serpent- und Bassspieler Michel Godard mit seinem Ensemble aus Alte-Musik Spezialisten, mit dabei die Mezzo-Sopranistin Guillmette Laurens und der Jazz-Saxofonist Gavino Murgia. Das Konzert in der prachtvoll barocken Weißenfelser Schlosskirche stand sinnbildlich für das Motto des diesjährigen Heinrich-Schütz-Musikfestes, "vom Besehn der frembden Länder". Das erklärte Ziel war es, die Wurzeln dessen freizulegen, was Schütz auf seinen Reisen außerhalb seiner Heimat Mitteldeutschland inspiriert haben könnte. Michel Godard hat sein Konzert um dieses Thema gewoben. Er reiste sozusagen musikalisch mit Schütz nach Italien, nach Venedig, wo der drei Jahre studierte – und sicher Claudio Monteverdi und auch Benedetto Ferrari getroffen und gehört haben wird.
    Musik: Ferrari, Cantata Spirituale
    Gelungene Verbindung von Alter Musik und Jazz
    Michel Godard, ein Wanderer zwischen Alter Musik und Jazz, stilsicher auf beiden Feldern, wagt einiges auf dem gefährlichen Minenfeld des Crossovers, wo Beliebigkeit, Missverständnisse und Geschmacklosigkeiten fröhliche Urständ feiern und das Scheitern fast der Normalfall ist. Godard aber gelingt es, Musik zueinander zu bringen, die über 300 Jahre auseinanderliegt und seiner Meinung nach doch so viel verbindet – selbst abwechselnd den Serpent, den Renaissance-Vorläufer der Tuba, und eine elektrische Bassgitarre spielend, zudem auf das ganz und gar Barock-untypische Saxofon und den Obertongesang des Italieners Gavino Murgia vertrauend. Die musikalischen Brücken sieht Godard im ähnlichen Denken der Musiker damals und jetzt. Das Improvisieren sei vor und nach dem 18. und 19. Jahrhundert typisch für die jeweils zeitgenössische Musik.
    Musik: Monteverdi, Zefiro torna e di soavi accenti
    Der Schlüssel sei der Respekt vor der Musik. Man müsse beide musikalische Welten sehr genau kennen. Sicher könne man jede Art Crossover betreiben, alles vermischen, das Ergebnis könne nett sein oder auch schlecht, aber es bedeute meist nichts. Wenn man aber zwei Musikstile wirklich von innen her kenne, in diesem Fall Alte Musik und Jazz, dann könne etwas wirklich Interessantes entstehen. Es sei eine Frage von Respekt, von Anstrengung und von Wissen.
    Schütz' Geist der Modernität
    Für die Schütz-Festival-Intendantin Christina Siegfried ist es geradezu notwendig, Schütz im Programm zu reduzieren, um seinem Geist gerecht zu werden.
    "Wir verstehen uns als ein Forum für die Musik des 17. Jahrhunderts. Wir speisen uns durchaus aus all diesen vielfältigen Quellen historisch informierter Aufführungspraxis und sehen aber ganz bewußt immer wieder dieses Musikfest in seiner Verquickung im Heute. Einfach mal an Dinge anknüpfen, die letztlich im Geiste die Modernität, die ein Schütz hatte, ins Heute trägt."
    Musik: Merula, Su la cetra amorosa
    Alte Musik mit Swing und Rap
    Die renommierte Lautenistin Christina Pluhar, als Artist in Residence beim diesjährigen Schütz-Fest mit ihrer Truppe L’Arpeggiata gleich in drei Konzerten vertreten, steht symptomatisch für die horizontalen und vertikalen Verbindungen der Musik von Schütz in die Gegenwart und in andere Musikstile. Eine Stück eines Zeitgenossen von Heinrich Schütz, des Italieners Tarquinio Merula, brachten sie geradezu zum swingen.
    "In der Musik des 17. Jahrhunderts gibt es ein Element, das sich zur Improvisation sehr gut eignet, das ist der ostinate Bass …"
    … erklärt Christina Pluhar ihren seit Jahren sehr erfolgreichen Ansatz, der dem von Michel Godard ähnlich ist.
    "Und das ist etwas, was sehr ähnlich im Jazz ist. Das ist ein Walking Bass oder ein Riff, der sich immer wiederholt, auf dem man improvisiert. Und oft sind die Harmonien sehr ähnlich wie das, was in anderen musikalischen Sprachen verwendet wird. Wenn man diese gemeinsame Basis nicht hat, ist es ein Nebeneinander und kein Miteinander."
    Pluhar zog noch weitere Verbindungslinien in Schützens Zeit - zu den bis heute lebendigen süditalienischen Tarantella-Tänzen, die auch den Weg nach Venedig gefunden haben werden.
    Musik: Kircher, Tarantella Napolitana
    Dass der zuvor zurückhaltende Zink-Spieler Doron Sherwin am Ende des Konzertes in Dresden sensationell rappen begann, spricht ausdrücklich für das Heinrich-Schütz-Musikfest, das alle Crossover-Experimente nicht nur unfallfrei, sondern glänzend absolviert hat – dank hervorragender Musiker und einer klugen Programmierung.