Donnerstag, 28. März 2024

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Heinz Oestergaard
Der Modemacher zum Wirtschaftswunder

In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik war Heinz Oestergaard ein Synonym für Mode. Er kleidete Filmstars, Fernsehmoderatorinnen und Industriellengattinnen ein, entwarf aber auch Berufskleidung und Uniformen. Am 15. August 1916, heute vor 100 Jahren, wurde der "Dior von der Spree" geboren.

Von Ulrike Rückert | 15.08.2016
    Präsentation der neuen Mode der ADAC-Straßenwacht 1969 in München. Vorne rechts der Designer Heinz Oestergaard.
    Heinz Oestergaard bei der Präsentation der neuen Mode der ADAC-Straßenwacht 1969 in München. (imago/WEREK)
    Paris hatte Christian Dior, Berlin hatte Heinz Oestergaard. Er schneiderte die Mode zum Wirtschaftswunder und kleidete nicht nur die Reichen und Berühmten, sondern auch Liese Müller ein. Dem Reiz der schönen Hülle war der am 15. August 1916 in Berlin geborene Modemacher schon früh erlegen – wenn andere Jungs Fußball spielten, pauste er die Roben der Filmstars aus Zeitschriften auf Butterbrotpapier ab.
    "Dann hatte ich eine zauberhafte Mutter, die sehr schick war. Und ich kann mich entsinnen, es kam eine Hausschneiderin, die konnten damals sehr viel, sie hatte ein Chiffonkleid mit rotem Unterkleid und kleinen Zipfeln unten, eine lange Kette. Das hat mich so fasziniert, wie schick die Mutter aussah."
    Dass er sein Faible zum Beruf machen wollte, erzeugte bei der großbürgerlichen Verlegerfamilie nur gedämpfte Begeisterung: "Meine Oma schrie auf sagte: 'Mein Enkel wird ein Schneider!'"
    "Es war eine modebewusste, leicht zu beeinflussende Welt"
    Natürlich wollte er kein gewöhnlicher Schneider werden, doch den hoffnungsvollen Karrierestart beendete der Krieg. Als Heinz Oestergaard 1946 aus russischer Gefangenschaft zurückkehrte, gab es in den Berliner Ruinen schon wieder Modenschauen. Oestergaard begann mit einem kleinen eigenen Atelier, in dem er aus alten Kleidern neuen Schick machte. Der Erfolg kam schnell.
    "Weil man nach den Kriegsjahren ausgehungert war, wo ja aus alt neu gemacht wurde, und dann kamen sofort die Jahre, wo sich doch jeder selbst darstellen wollte. Es kam die Zeit des Wohlstandes, wo man mit der Kleidung zeigen wollte, was man ist, was man hat. Man reiste im Kostüm mit eingefärbtem Nerzkrägelchen und so weiter. Und es war eine modebewusste, leicht zu beeinflussende Welt."
    In Berlin wurden keine Trends gemacht, man holte sich die Inspirationen aus Paris. Oestergaards Mode war immer tragbar, nie allzu extravagant. Wenn er auch nicht der originellste unter den Berliner Couturiers war, der rührigste und der Darling der Prominenz war er in jedem Fall. Kein anderer war in den Medien so präsent. Zeitschriften steckten Filmstars für Fotostrecken in Oestergaard-Modelle, die Kinowochenschau zeigte seine Kollektionen.
    "Mein Bestreben ist es, das Niveau des allgemeinen Geschmacks zu heben", erklärte er der "ZEIT" - eine Mission mit pragmatischem Grund: "Wie viel Damen der großen Gesellschaft gibt es bei uns denn noch, die die Modelle der Haute Couture tragen?"
    Kollektionen für ein Versandhaus
    Couture war kein lukratives Geschäft. Heinz Oestergaard hatte immer viele Standbeine und dabei keinerlei Berührungsängste. Er entwarf Schuhe, Strümpfe und Herrenhemden für große Marken und verkaufte seinen Namen für Parfüm. Für Triumph machte er aus biederen Miederwaren modische Dessous – und ließ die Models auf Wäschemodenschauen BH und Hüftgürtel auf der Haut tragen statt, wie damals üblich, über braunen Ganzkörperstrumpfhosen. Hoechst und Bayer engagierten ihn, um schwer verkäufliche Kunstfaserstoffe populär zu machen. 1967 musste er seinen Berliner Salon dennoch schließen. Da kam ein überraschendes Angebot. Die Presse meldete:
    "Das Großversandhaus Quelle, das in diesem Herbst 40 Jahre alt wird, legte als Geburtstagsüberraschung besonderer Art seinem Katalog ein Angebot von Haute-Couture-Modellen des Berliner Modeschöpfers Heinz Oestergaard bei. Die Preise für diese Modelle halten sich im Rahmen des üblichen Katalogangebots."
    Die Designerkollegen zeigten sich düpiert. "Die haben sich gefreut. Haben gesagt, bei dem tickt’s nicht mehr. Der wird untergebuttert von Frau Schickedanz. Der wird schon sehen, was er davon hat, uns den Rücken zu kehren. "
    Uniformen der ADAC-Pannenhelfer
    17 Jahre lang war Heinz Oestergaard nicht nur für seine eigene Linie, sondern für das gesamte Mode-Sortiment zuständig. Nebenbei entdeckte er noch Neuland für sich: Berufskleidung und Uniformen, für die Fleischerinnung und lutherische Pastoren, für ADAC-Pannenhelfer und Zollbeamtinnen. Seine langlebigste Schöpfung war die Polizeiuniform in Senfgelb und Förstergrün.
    "Die Uniform muss praktisch sein, respekteinflößend und zugleich sexy", erklärte er dem "Spiegel". Wie weit ihm das gelungen ist, mag diskutabel sein. Sicher aber hatte er, als er sich 1985 zurückzog, der jungen Bundesrepublik seinen modischen Stempel aufgedrückt und ihren Geschmack geprägt wie kein anderer.