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Heiße Schnitten - kaum beachtet

Die Geschichte der Frauenkunst ist zwar dünn, aber auch lang. Auf dem Zeitstrahl zwischen Angelika Kaufmann und Maria Lassnig liegen jene Frauen, die zur sogenannten Pop Art gerechnet werden. Die Wiener Kunsthalle widmet ihnen eine Ausstellung.

Von Beatrix Novy | 07.11.2010
    Im Treppenhaus der Wiener Kunsthalle grüßen zur Einstimmung großformatig die Jugendfotos der Künstlerinnen. Allesamt gut anzuschauen, offen gesagt: Richtig heiße Schnitten, das gilt auch für Sister Corita, die kämpferische Nonne und Siebdruck-Aktivistin. Diese fotogenen Frauen hätten doch ausgezeichnete Künstlerfreundinnen oder -musen abgegeben. Aber offensichtlich wollten sie ja selbst Kunst machen, was ihnen dann nicht gedankt wurde.

    "Wir wurden gar nicht berücksichtigt,"

    sagt Christa Dichgans, die zur Pop Art kam, weil sie nicht mehr abstrakt malen wollte. 1966 aus Berlin nach New York ging und dort die dunklen Seiten der Konsumkultur in grelle Farben bannte. Sie sagt es ohne Selbstmitleid, sie weiß, dass Einzelgängertum und mangelnde Lust an Selbstdarstellung ihre Folgen haben.

    "Typisch ist ja, dass ich hier in der Ausstellung - meine Kolleginnen - nur drei davon kenne ich überhaupt."

    Zwei sind auch weiteren Kreisen bekannt: Niki de St. Phalle und Marisol - die beiden Frauen, die 1962, bei einer historischen Pop Art-Ausstellung in der New Yorker Sidney Janis Galerie, neben 54 Männern teilnehmen durften. Jetzt also zur Abwechslung ausschließlich Kunst von Frauen: späte Rache? Affirmative action im immer noch wenig paritätischen Kunstbetrieb? Warum nicht lieber gemischt, mit ordentlichem Zahlenverhältnis? Solche aufs weibliche Geschlecht zugeschnittene Veranstaltungen erzeugen das übliche Unbehagen. Aber das legt sich dann, wegen der erstaunlichen Frische der Werke, keine Spur von Abgenutztheit im Mahlwerk der Massenkultur zeigen die Grafiken und Collagen der Österreicherin Kiki Kogelnik, gespickt mit menschlichen Gliedmaßen, oder die in endlos leeren Grund montierten Alltagsfotografien von Rosalyn Drexler: stumme Mafia-Begräbnisse oder Marilyn Monroe, gefolgt von einem Mann, dem Tod. Jann Haworth, deren Anteil am Cover-Design der Sergeant Pepper-Platte der Beatles schlicht unterschlagen wurde, machte aus Stoff, Strick und anderem textilen Material Skulpturen, soft sculptures, und gab der von der Pop Art gefeierten Oberfläche wieder Tiefe; Niki de St Phalle drehte den Film "Daddy", einen quälenden frühen Blick ins Missbrauchthema.


    Dorothy Iannone eckte Anfang der 60er-Jahre mit ihren gnadenlos sexbetonten Grafiken an, unter anderem bei einer Ausstellung in Bern, eine Geschichte, die sie zu einem ebenso gnadenlosen Comicstrip bewegte. Ein Blick auf die Entstehungszeit der Werke genügt, um klarzustellen, dass hier nichts epigonal oder abgeschaut war, diese Künstlerinnen mischten mit; aber zumindest die Neun, die hier ausgestellt werden - zu den Motiven der Auswahl wüsste man gern mehr - taten es auf eine Weise, die schließlich doch zum kleinen Unterschied führt. Diese Künstlerinnen waren buchstäblich näher dran.

    "Ich hab mich im wahrsten Sinne des Wortes mit dem nächstliegenden beschäftigt, das war das Spielzeug meines kleinen Sohns. "

    Wenn Logos und Bildwelten aus Kommerz und Alltag von Warhol oder Lichtenstein quasi wertfrei ihrer Entwertung und schließlich Ikonisierung zugeführt wurden - was vielleicht die unvermittelte Wucht ihrer berühmtesten Werke erklären könnte, die sich woanders eben nicht findet -, war bei den Künstlerinnen dieser Ausstellung ihre kritische Haltung, ihr Nicht-Einverstandensein prägend. Christa Dichgans' quietschbunte Spielzeugberge sind ein Müll-Menetekel , die Siebdrucke der kunstmarktfeindlichen Friedenskämpferin Sister Corita ein Aufschrei: Collagen aus alter Reklame, Druckbuchstaben, Titelbildern zu Vietnam oder Black Power.

    Angriffig, offensiv und vor allem: Vielfältig breiteten die Künstlerinnen Frauenbilder aus in einer Zeit, als der neue Feminismus noch im Werden war. Ob Kiki Kogelniks gespenstisch verstümmelte Frauenkörper, ob Evelyne Axells Eiskrem lutschender Riesenmund - hier war schon von allem die Rede: Lust, Unterdrückung, Zurichtung, Missbrauch. Diese Kunst ist nicht weiblich. Allenfalls die historische Perspektive macht sie dazu. Im Übrigen kann das Thema nur in dem Maß gegenstandslos werden, wie es, hier von Christa Dichgans, souverän behandelt wird.

    "Ich hab nichts dagegen, dass man sagt, man sieht, dass das eine Frau gemacht hat. Wieso nicht? Ich bin eine."

    Aber auch hier gilt wie überall: Man sieht doch nur, was man weiß.

    Infos:
    Kunsthalle Wien