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Helsinki
Auf dem Weg zur skandinavischen Kunstmetropole

2017 feiert Finnland den 100. Jahrestag seiner Unabhängigkeit von Russland und will als Kulturnation Nordeuropas sichtbarer werden. Helsinki rüstet sich mit einer ganzen Reihe von Projekten zur Kunstmetropole hoch. Eins davon ist ein Guggenheim-Museum im Hafen - das aber sorgt nicht nur für Jubel.

Von Carsten Probst | 18.10.2015
    Kunst von Ai Wei Wei steht im Museum für Gegenwartskunst in Helsinki (HAM).
    Kunst von Ai Wei Wei steht im Museum für Gegenwartskunst in Helsinki (HAM). (picture alliance / Lehtikuva / Heikki Saukkomaa)
    Die Fähre nach Soumenlinna, der historischen Festungsinsel vor Helsinki, die heute zum Weltkulturerbe gehört, gleitet aus dem Hafen, vorüber auch an der Stelle, wo vielleicht einmal das neue Guggenheim Museum erbaut werden soll. Momentan hat es tatsächlich den Anschein, als könne man sich in Helsinki kaum irgendwo hin begeben, ohne nicht auf existierende oder geplante Kunstprojekte zu stoßen. Selbst auf der idyllisch-einsamen Suomenlinna-Insel mit ihren historischen Holzhäuschen und der alten Festungsruine, wohin sich eigentlich nur Touristen verirren, hat sich das ambitionierte Helsinki International Artists Program eingerichtet, das Aufenthaltsstipendien an Kulturschaffende aller Sparten und aus aller Welt vergibt.
    "Der Grundgedanke ist aber, gerade auch einen verstärkten Dialog mit St. Petersburg zu unterhalten. St. Petersburg ist schließlich nur drei Zugstunden von hier entfernt, und seine Einflüsse im kulturellen Leben von Helsinki sind überall präsent. Gerade jetzt, wo überall über Russlands Politik debattiert wird, ist es wichtig, den Austausch lebendig zu halten - zum Beispiel, indem wir aufstrebende russische Künstlerinnen und Künstler zu Aufenthalten hier einladen", sagt Jenni Nurmenniemi, die Kuratorin des Künstlerprogramms, und spricht damit einen zentralen Hintergedanken des aktuellen Kunst- und Kultur-Booms in Helsinki aus.
    Verhältnis zu Russland unberechenbarer geworden
    Denn so paradox es vielleicht klingt, das Verhältnis zum großen Nachbarn Russland ist nach dem Ende des Kalten Krieges aus Sicht vieler Finnen unberechenbarer geworden. Die Ukraine-Krise und das bevorstehende 100. Jubiläum der Unabhängigkeit von Russland scheinen alte Befürchtungen ins Bewusstsein zu rufen, Russlands Präsident Putin könnte eines Tages vielleicht auch auf die Idee verfallen, die russische Minderheit in Finnland sei seines verstärkten Schutzes bedürftig.
    Ähnlich wie das norwegische Oslo, das derzeit mit viel Aufwand sein Nationalmuseum in einen riesigen Neubau an den Hafen verlegt, möchte man auch in Helsinki als eigenständige Kulturnation sichtbarer sein.
    Das HAM, das Museum für Gegenwartskunst in Helsinki, ist erst vor einigen Tagen nach längerer Umbauzeit wiedereröffnet worden in einer wahrhaft kühnen Architektur, einer umgebauten historischen Tennishalle aus den 30er-Jahren. Mit 10.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist das HAM jetzt vergleichbar groß wie der Hamburger Bahnhof in Berlin.
    Kultureinrichtungen durchziehen Innenstadt wie ein Netz
    Ein anderes Großprojekt ist das Amos Anderson Kunstzentrum, ein privates Kunstmuseum, das sich einer Mischform aus Kunst, Geschichte und Design widmet. Frisch beschlossen ist ein unterirdisch gelegener Neubau, der sich auf dem Gelände des ehemaligen Busbahnhofs von Helsinki wie eine große Meereswelle aus dem Boden hervorwölben wird.
    Alles das wiederum liegt innerhalb eines Clusters aus miteinander kooperierenden Kultureinrichtungen, der die gesamte Innenstadt wie ein Netz durchzieht und zu dem neben Theatern und der Oper auch die Nationalgalerie atenaeum und das Kiasma für Gegenwartskunst gehören. Da fragt man sich schon, ob die Stadt tatsächlich ein Guggenheim am Hafen braucht.
    Der Kunstkonzern geriert sich hingegen wie der reiche Onkel aus Amerika und hat der Stadt seine Bedingungen für ein Engagement schon einmal diktiert: Kosten für die Erschließung und den späteren Unterhalt des Hauses, also eine größere Millionensumme pro Jahr, soll bitte schön Helsinki selbst aufbringen. Bei allem Wunsch nach mehr Sichtbarkeit: Aber das ist eher nicht der Stil der Finnen, die sympathischerweise Kunst und Kultur tatsächlich noch eher unabhängig von kommerziellen Einflüssen und Tourismus verstehen. So drückt es jedenfalls Stuba Nikola, der Kulturdezernent in Helsinki aus:
    "Die Spannung, die dieses Projekt in der Stadt verursacht, liegt darin, ob Wirtschaft und Tourismus wirklich das einzige sind, wie wir Kultur begreifen? Wir wollen eigentlich immer, dass jedes Kunst-Projekt inhaltlich auf mindestens zwei oder drei Pfeilern steht."
    Dieser Beitrag ist eine Wiederholung aus der Sendung "Information und Musik"
    Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden ermöglicht durch die finnische Botschaft in Berlin.