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Hengsbach: Politik verantwortlich für schwache Konjunktur

Der Leiter des Nell-Breuning-Instituts, Professor Friedhelm Hengsbach, erklärt die schlechte Konjunkturentwicklung mit dem falschen Wirtschaftskurs der Regierung. Schuld an dem langsamen Wirtschaftswachstum sei vor allem die Förderung der Liberalisierung der Märkte, Fusionen und Konzentrationsprozessen sowohl beim Unternehmen als auch beim Kapitalmarkt. "Das war der große politische Fehler."

Von Gerd Breker | 26.04.2005
    Breker: Keine guten Aussichten für die Konjunkturentwicklungen in diesem Lande, am Telefon bin ich nun verbunden mit Professor Friedhelm Hengsbach, er ist Leiter des Nell-Breuning-Instituts an der katholischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt. Guten Tag, Pater Hengsbach.

    Hengsbach: Guten Tag, Herr Breker. Ich grüße Sie.

    Breker: Das Sorgenkind, haben wir gerade eben im Beitrag meines Kollegen gehört und wir hören es immer wieder, sei die Binnennachfrage, also die Verbraucher in Deutschland, die sich zurückhalten. Was fehlt wäre der Hinweis, wie man diese Verbraucher denn zu einer Veränderung ihres Verhaltens überzeugen könnte. Haben Sie eine Idee, wie das ginge?

    Hengsbach: Die Verbraucher reagieren eigentlich auf die Rezepte, die von den Forschungsinstituten seit Jahren, fast Jahrzehnten empfohlen werden: Steuern senken, Lohnkosten senken, Lohnnebenkosten senken. Die machen den Arbeitsmarkt, das heißt also die mangelnde Bereitschaft der Arbeitslosen, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen und die mangelnde Qualifikation dafür verantwortlich, dass die hohe Arbeitslosenzahl existiert und die Kosten des Sozialstaats. Jetzt hat der Staat und die rot-grüne Regierung diese Vorschläge ernstgenommen, hat sie realisiert und was ist das Ergebnis? Die Arbeitslosigkeit steigt, die Konsumnachfrage, vor allem des Inlands, steigt nicht, sondern die Leute haben Angst, sind verunsichert und fangen an zu sparen, wenn sie können.

    Breker: Was kein Wunder ist.

    Hengsbach: Nein. Insofern sind die Rezepte falsch und die erweiterte Dosis, also noch mehr fortzufahren in diesen Rezepten, führt natürlich auch nicht zum gegenteiligen Effekt sondern wird die Situation nur noch verschärfen.

    Breker: Nun haben wir in den letzten Wochen ja etwas Merkwürdiges erlebt: da geht möglicherweise getrieben aus Wahlkampfgründen der SPD-Chef Franz Müntefering hin und kritisiert das Kapital und erntet unerwartet großen Beifall.

    Hengsbach: Das ist verständlich. Einmal inhaltlich, weil nicht der Arbeitsmarkt die Stell- also Schlüsselgröße ist, um Wachstum und Beschäftigung zu erzeugen, sondern in erster Linie der Finanzmarkt. Der Arbeitsmarkt ist ein abgeleiteter Markt, die Arbeitsmärkte kommen in Gang, wenn vorher auf den Gütermärkten eine entsprechende steigende Nachfrage existiert, siehe weltwirtschaftlich oder in der Erwartung auch im Binnenmarkt. Der kommt aber nur in Gang durch öffentliche und private Investitionen. Das sind gleichsam die Impulse für verstärkte Binnennachfrage. Diese Realinvestitionen, die Arbeitsplätze schaffen, kommen nur zustande, wenn also die Profite aus den Investitionen höher sind, als die Renditen, die man auf den Kapitalmärkten erwirtschaften kann. Insofern ist das Verhältnis Finanzmärkte und reale Wirtschaftsprozesse die entscheidende Stellgröße, die auch politisch kontrolliert, beaufsichtigt und geregelt werden muss. Insofern trifft Müntefering genau ins Schwarze der Krisenursache.

    Breker: Nun hat ja die Politik reagiert. Es ist in den letzten Jahren so gewesen, dass die Wirtschaft, die einzige Stelle, die wirklich Arbeitsplätze schafft, entlastet wurde. Es gab Steuerentlastungen, Vergünstigungen, es ist ja nicht so, als ob es der Wirtschaft bei uns immer schlechter gehen würde. Nur gewisse Dinge gelten einfach nicht mehr. Die Gewinne von heute sind die Arbeitsplätze von morgen, dieser Spruch gilt nicht mehr, es sind nämlich nicht mehr die Arbeitsplätze bei uns, es sind möglicherweise die Arbeitsplätze im Ausland.

    Hengsbach: Zunächst mal hat der Grundsatz nie gegolten. Investitionen kommen nicht zustande in erster Linie durch Entlastungen auf der Kostenseite, sondern durch höhere Gewinnerwartungen, und die kommen zustande durch zusätzliche Nachfrage, durch erwartete zusätzliche Massenkaufkraft. Das war Erhardts Formel, Wohlstand für alle durch Massenkaufkraft, Investitionen, Arbeitsplätze, Absatzerwartungen. Die Frage ist natürlich jetzt verschoben durch die Gewinnerwartungen auf den Finanzmärkten. Ich bin nicht der Meinung, dass durch Verlagerung von Produktionen der Wohlstand insgesamt sinkt, denn die Textilindustrie und viele andere sind längst ins Ausland abgewandert in den letzten Jahrzehnten, trotzdem hat sich der Wohlstand in der Bundesrepublik insgesamt erhöht. Das kann nicht die Ursache für die Massenarbeitslosigkeit sein, das jetzt im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung Produktionen anderswo hinverlagert werden und die Unternehmen sind in erster Linie bei Produktionsverlagerungen daran interessiert, dass die neue Märkte erobern. In Ostdeutschland, dann in Osteuropa.

    Breker: Wenn denn die Rendite des Kapitals das einzige ist, was zählt, kann man das zulassen, ist dann nicht irgendwo die soziale Verpflichtung des Eigentums verlorengegangen und somit ein Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft?

    Hengsbach: Das hat Müntefering ja angesprochen, aber was ich für eine falsche Antwort halte ist, dass man jetzt die Tugenden der Manager verbessern möchte, dass man das strukturelle Problem verlagert in tugendhaftes Verhalten von Aktionären und Managern. Das ist genauso, wie man früher die sogenannten faulen Säcke auf dem Arbeitsmarkt abgestempelt hat, so stempelt man jetzt so einen Ackermann oder Esser oder die Manager ab. Das ist nicht das Problem in erster Linie sondern was gegenwärtig auf den Finanzmärkten läuft oder in den Unternehmen in der Orientierung am shareholder value, also am Börsenkurs oder Unternehmenswert, ist Folge politischer Entscheidungen. Man hat die Liberalisierung der Kapitalmärkte gewollt, die Fusion gelobt, die Konzentratikonsprozesse sowohl beim Unternehmen als auch auf den Kapitalmärkten in erster Linie gefördert und ich denke, das war der große politische Fehler.