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Henry-James-Ausstellung in New York
Der Mann, der mit Worten malte

Henry James hat unser Bild vom Leben der angelsächsischen Oberschicht um die vorletzte Jahrhundertwende geprägt. Wie stark der amerikanische Schriftsteller in seinen Werken selber von Bildern und den Künstlern seiner Zeit beeinflusst wurde, zeigt nun eine Ausstellung in New York.

Von Sacha Verna | 19.06.2017
    Der Schriftsteller Henry James (1843 - 1916) in einer undatierten Aufnahme
    Der Schriftsteller Henry James (1843 - 1916) in einer undatierten Aufnahme (dpa / picture alliance / Pixfeatures)
    Das berühmteste Porträt von Henry James zeigt einen 70-jährigen Gentleman, wie er im Buche steht – wie er in Henry James' Büchern steht: mit skeptisch-selbstbewusstem Blick, steifem Kragen und Fliege, in dunklem Jackett und samtener Weste, die goldene Uhrkette locker über dem gerundeten Bauch. Dieses Gemälde von 1913 eröffnet die Ausstellung in der New Yorker Morgan Library.
    Gemalt hat es Henry James' Freund John Singer Sargent. Von diesen beiden, dem angesehenen Autor und dem illustren Künstler sind unsere Bilder im Kopf geprägt, wenn wir uns die angelsächsische High Society um die vorletzte Jahrhundertwende vorstellen. Kurator Declan Kiely:
    "Sie bewegen sich in derselben Welt, sie stellen dieselben Leute dar. Die glamourösen Damen, für deren Porträts Sargent so berühmt wurde, sind Figuren aus derselben feinen Gesellschaft, die James in seinen Romanen beschreibt."
    Sätze, die Pinselstrichen gleichen
    Die Morgan Library präsentiert Henry James als Gesellschaftsmaler der Worte. Tatsächlich hat James selber wiederholt auf die Ähnlichkeit zwischen seiner Kunst als Romancier und jener seiner Malerfreunde hingewiesen, zu denen neben Sargent auch John Le Farge und James McNeill Whistler gehörten. Der irische Schriftsteller und langjährige James-Enthusiast Colm Tóibín ist von der Analogie überzeugt:
    "James' Sätze gleichen Pinselstrichen, die er einen nach dem anderen aufträgt. Sein Ton, sein Rhythmus, die Beschaffenheit seiner Prosa wirkt dadurch wie ein Bild, das Schicht für Schicht entsteht."
    Colm Tóibín hat die New Yorker Ausstellung mitkonzipiert und gemalte Verwandte von James' sprachlichen Meisterwerken etwa in Sargents "Venezianischem Intérieur" gefunden.
    Das Intérieur ist das des Salons im Palazzo Barbaro. Darin verteilt sind vier Mitglieder der Familie Curtis, bei der James gelegentlich zu Gast war. Die scheinbar entspannte Konstellation der Figuren darauf nimmt im Roman "Die Flügel der Taube" dramatische Dimensionen an. Während die schwerkranke Mimi da in einem ähnlichen Palast noch ein Fest gibt, schmieden manche bereits Pläne, um nach ihrem Tod an das Vermögen zu gelangen.
    James' Faszination für die Figur des Künstlers
    Henry James sei von der Figur des Künstlers an sich fasziniert gewesen, so Colm Tóibín:
    "Der Maler war jemand, der sich zwischen seinem Atelier, dem unordentlichen Ort physischer Arbeit, und den Salons der Oberschicht hin und her bewegen konnte, auch wenn er selber nicht unbedingt aus dieser Schicht stammte."
    Galerien, Museen und Kunstmenschen tauchen in Henry James' Romanen immer wieder auf. In "Porträt einer Dame" zum Beispiel missfällt dem snobistischen Gilbert Osmond die Verbindung seiner Tochter Pansy zu einem jungen Kunstsammler.
    Im richtigen Leben wurde Henry James Zeuge des komplizierten Verhältnisses zwischen Elizabeth Boott, die selber künstlerische Ambitionen hegte, deren Vater und deren Kunstlehrer, Frank Duveneck, der einst als "amerikanischer Velásquez" gefeiert wurde. Prächtig wie ein König der Renaissance wirkt Elizabeths Vater in einem Porträt von Duveneck. Als habe der Maler damit sagen wollen: "Ich mag kein Geld haben, aber ich kann zeigen, wie viel du hast."
    Ausstellungen über Schriftsteller beschränken sich meistens auf Manuskripte, Erstausgaben, ein paar Fotos und wenn es hochkommt, auf die eine oder andere Schnupftabakdose. In der Morgan Library lassen hingegen Geschichtenerzähler mit Pinseln das Porträt eines Schriftstellers entstehen. Auf Henry James eröffnen sich dadurch buchstäblich neue Perspektiven.