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Her mit dem guten Leben

Der Ökonom Robert Skidelsky und der Philosoph Edward Skidelsky knüpfen mit ihrem Buch an die lange Tradition von Denkern an, die sich seit der Antike Gedanken über ein gutes Leben gemacht haben. Sie ermutigen dazu, Wirtschaft als moralisches Handeln von Menschen zu definieren.

Von Caspar Dohmen | 22.04.2013
    Unsere Politiker haben uns nicht mehr anzubieten als Wirtschaftswachstum, Wirtschaftswachstum und nochmals Wirtschaftswachstum, und das ungeachtet der fast schon erdrückenden Beweislage dafür, dass das kapitalistische System in unserem Teil der Welt in die Phase seines Niedergangs eingetreten ist.

    Schreiben der Wirtschaftshistoriker Robert Skidelsky und sein Sohn, der Philosoph Edward Skidelsky. Der Leser spürt ihre Wut. Denn Wachstumskritik ist seit Anfang der 70er-Jahre ein Dauerthema angesichts von Ressourcenschwund und Umweltverschmutzung. Passiert ist indes wenig. Vielleicht gelingt dies, wenn mehr Menschen eine Vorstellung von einem guten Leben entwickeln, hoffen die Autoren und geben dafür einige wichtige Denkanstöße. Sie sind überzeugt: Die Menschen haben längst eine ausreichende Basis für ein gutes Leben, jedenfalls im Westen, wo sich der materielle Wohlstand in den letzten hundert Jahren vervierfacht hat. Angesichts der aktuellen Krise mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa mag diese Sichtweise manch einem Leser zynisch erscheinen. Doch die Lektüre dürfte jeden Leser nachdenklich stimmen hinsichtlich der Prioritätensetzung in unserer Gesellschaft. Für den Keynes-Experten Robert Skidelsky war es vermutlich besonders reizvoll, sich mit einem großen Irrtum des berühmten Ökonomen zu beschäftigen. Der technische Fortschritt brachte nämlich - anders als von John Maynard Keynes und anderen Denkern erwartet - keine Befreiung des Menschen vom Joch der Arbeit oder eine gerechte Einkommensverteilung, noch mehr Muße und Glück für alle. Zwei Jahrzehnte lang waren die westlichen Wohlfahrtsstaaten auf dem Weg, zwischen 1950 und 1970 nahmen Löhne und Sicherheit zu, die Arbeitszeiten ab. Nach dem Sieg des Kapitalismus über den real existierenden Sozialismus drehte sich das Blatt. Heute erscheint es fast wieder als eine Art Naturgesetz, dass die Menschen im Westen wieder länger und härter arbeiten müssen.
    Es ist das besondere Verdienst der beiden Autoren, ihren Lesern eine Vorstellung davon zu vermitteln, dass ein gutes Leben schon heute möglich wäre. Sympathisch ist ihre undoktrinäre Haltung.

    Wir wollen durch Freude überzeugen – die Vision eines guten Lebens vorstellen, bei dem nicht Schuldgefühle und Angst vor Vergeltung die Triebkräfte sind, sondern Glück und Hoffnung.

    Doch was verstehen die beiden Wissenschaftler unter einem "guten Leben"? Interessanterweise lehnen sie Glück als Maßstab ab, anders als viele andere Denker unserer Zeit. Selbst die Politik schreibt sich die Messung des Glücks neuerdings auf die Fahnen, so wie der Industrieclub der OECD. Auch die Enquetekommission des Bundestags zum Wachstum plädierte kürzlich für eine Art Glücksindex als Ergänzung zum Bruttoinlandprodukt als bislang einziger Maßeinheit des gesellschaftlichen Wohlstands. Die beiden Autoren legen entschieden und überzeugend dar, warum das zwar gut gemeint sein mag, aber aus methodischen Gründen nicht funktioniert und zudem auch noch ethisch zweifelhaft ist. Schon alleine für diese Ausführungen lohnt sich der Griff zu dem Buch.

    Glück wird als einfaches, unbedingtes Gut behandelt, das anhand einer einzigen Dimension gemessen werden kann. Die Quellen oder Objekte des Glücks bleiben ausgeblendet, es zählt nur, ob jemand mehr oder weniger von der Sache "Glück" hat. Solche Ideen sind falsch und gefährlich. Allgemein gesagt: Glück ist nur gut, wenn es angebracht ist; wenn Traurigkeit angebracht ist, ist es besser traurig zu sein. Glück an sich, unabhängig von Objekten zum höchsten Ziel der Politik zu erheben, ist ein Rezept für Infantilisierung - Aldous Huxley hat das in "Schöne Neue Welt" auf denkwürdige Weise dargestellt. Wir wollen die Technokraten des Wachstums nicht verbannen, nur um zu erleben, wie sie durch Technokraten der Glückseligkeit ersetzt werden. Unser Ansatz ist vollkommen anders. Basisgüter, wie wir sie definieren, sind nicht nur Mittel oder Befähigungen zu einem guten Leben, sie sind das gute Leben.

    Nach Ansicht des Autorenduos sind Basisgüter universell und gehören zu einem guten Leben an sich. Sie sind eben nicht nur ein Mittel, um etwas anderes wie Glück oder Wohlstand zu erreichen. Sieben Basisgüter führen die Autoren auf: Sicherheit, Respekt, Muße, Gesundheit, Freundschaft, Persönlichkeit und Harmonie mit der Natur. Deren Verwirklichung empfehlen sie generell als Richtschnur des Handelns.

    "Wir betrachten solche Güter als angemessenes Ziel nicht nur für privates Handeln, sondern auch für politisches Handeln."

    Entsprechend befürworten sie Staatseingriffe und stützen sich dabei auf die paternalistische Tradition westlicher Länder. Politik habe schließlich immer wieder versucht, Menschen durch Regeln zu einem besseren Verhalten zu veranlassen, schreiben sie, beispielsweise durch Gesetze gegen Drogen oder Beschränkungen beim Verkauf von Pornografie, Alkohol und Zigaretten. Möglichen Kritikern halten sie entgegen:

    Nur in der abgehobenen Welt der akademischen Philosophie seien liberale Staaten nicht diktatorisch, wenn es darum geht, was gut ist.

    Allerdings gibt es für die beiden Autoren eine Grenze für Staatseingriffe.

    Unsere Verpflichtung auf die Basisgüter Persönlichkeit und Respekt schließt Zwang kategorisch aus. Vielmehr zielen wir darauf ab, die gesellschaftlichen Einrichtungen so zu gestalten, dass sie das gute Leben begünstigen – dass sie es den Menschen leichter machen, einen eigenen Ausweg aus der Tretmühle zu organisieren, zum Beispiel indem sie für sich selbst Lebensweisen entdecken, in denen Geldverdienen nicht im Mittelpunkt steht.

    Umfassend und dabei durchaus kurzweilig schildern sie Gestaltungsmöglichkeiten für Regierungen zur Beförderung eines guten Lebens ihrer Bürger. Sie empfehlen die Einführung eines Grundeinkommens, welches in Alaska bereits verwirklicht ist. Schlucken dürften bei der Lektüre Atheisten, denn die Neuausrichtung der Politik auf eine Gesellschaft, die das gute Leben ermöglicht, bedarf nach Ansicht der Autoren des religiösen Beistands:

    Die Basisgüter sind zwar in keiner Form von einer bestimmten religiösen Doktrin abhängig, dennoch ist ihre Verwirklichung aller Voraussicht nach nicht möglich ohne die Autorität und Inspiration, die nur Religionen zu transportieren vermögen. Ob eine Gesellschaft, der jeglicher religiöser Impuls abhandengekommen ist, sich selbst dazu motivieren kann, das gemeinsame Wohl anzustreben? Wir glauben es eher nicht.

    Literaturhinweis:
    Robert und Edward Skidelsky: "Wie viel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens". Kunstmann Verlag. 319 Seiten. 19,95 Euro.