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Hera in Rente

Teilchenphysik. - 6,3 km groß, Baukosten: 500 Mio. Euro. Das sind die Eckdaten der größten und teuersten Wissenschaftsmaschine, die Deutschland je gebaut hat. Die Rede ist vom Teilchenbeschleuniger Hera, er steht in Hamburg am Forschungszentrum Desy. 1990 ging Hera in Betrieb, am 30. Juni 2007 wurde der Beschleuniger endgültig abgeschaltet.

Von Frank Grotelüschen | 02.07.2007
    Samstagabend, kurz nach 10. Vor einer schlichten Experimentierhalle in Hamburg-Bahrenfeld steigt eine Party. Häppchen und Wein werden gereicht, Lichterketten und Musik sollen für Stimmung sorgen. Doch die will nicht so recht aufkommen. Denn die Veranstaltung ist eine Abschiedsparty. 200 Physiker aus ganz Europa warten auf das Ende. Warten darauf, das HERA, der größte Teilchenbeschleuniger Deutschlands, gleich abgeschaltet wird.

    "Das ist für mich ein etwas wehmütiger Augenblick. Ich habe ja Hera mit meinen eigenen Händen mit gebaut. Ein bisschen Wehmut ist da schon dabei."

    Erich Lohrmann, emeritierter Physikprofessor und Hera-Pionier, erinnert sich an die Anfangstage des Riesenbeschleunigers.

    "Die ersten Treffen waren in meinem Büro, wo wir begannen, die ganze Sache zu planen. Das war so 1980/81. Erst planten wir einen etwas kleineren Speicherring, aber dann war klar: Damit sich das wissenschaftlich lohnt, würden wir diesen großen Speicherring bauen müssen."

    Hera steht für Hadron-Elektron-Ringanlage, ein Kreisbeschleuniger mit gut sechs Kilometern Umfang, eingebaut in einen unterirdischen Ringtunnel, der weit über die Grenzen des DESY-Geländes hinausgeht. Das Besondere: Hera ist auch heute noch die einzige Maschine auf der Welt, die Elektronen und Wasserstoffkerne, so genannte Protonen, aufeinander feuert. Lohrmann:

    "Niemand hatte so einen Speicherring vorher gebaut. Das war absolutes Neuland. Dieser Beschleuniger hatte so große technische Schwierigkeiten, dass viele skeptisch waren. Doch nach jahrelangen Vorbereitungen konnten wir die Leute überzeugen, dass wir es schaffen würden."

    Am 8. November 1990, nach sieben Jahren Bauzeit, war es soweit.

    "So, meine Damen und Herren, und dies ist der entscheidende Moment: Der Knopf, den ich hier drücke, lässt das Helium jetzt einströmen. Auf einen guten Start!"

    Heinz Riesenhuber, der damalige Bundesforschungsminister, schaltete Hera mit einem Druck auf den roten Knopf ein.

    Nun, fast 17 Jahre später, fährt Hera seine letzte Schicht. In einer der riesigen unterirdischen Experimentierhallen sitzt Elisabetta Gallo vor einer Wand aus Bildschirmen und verfolgt die letzten Messdaten. Die Italienerin ist Sprecherin von Zeus. So heißt einer der haushohen Detektoren, die die Frontalzusammenstöße der Teilchen beobachten. Gallo:

    "”Hera feuert Elektronen und Protonen aufeinander. Das Proton besteht aus kleineren Teilchen, den Quarks. Und wir haben mit extremer Genauigkeit untersucht, wie sich das Proton aus den Quarks zusammensetzt. Wenn man so will ist Hera ein extrem leistungsfähiges Elektronenmikroskop.""

    Hera hat entdeckt, dass das Proton nicht wie früher angenommen aus nur drei Quarks besteht, sondern aus einem regelrechten Quark-Gewimmel, einem See aus flüchtigen und kurzlebigen Teilchen. Für die Experten ein überraschendes Resultat. Dennoch: eine physikalische Sensation hatte Hera nicht zu bieten. Und da die Maschine ihre Pflicht getan hat und das Forschungsprogramm ausgereizt ist, strömen am Samstagabend Dutzende Physiker in den Hera-Kontrollraum, um dort das Ende mitzuerleben.

    Als der Physiker Michael Bieler um punkt halb 12 den Beschleuniger abschaltet, halbiert er den Stromverbrauch des DESY auf einen Schlag von 50 auf 25 MW. Doch demontiert, sagt er, wird die Maschine noch nicht. Bieler:

    "Wir werden die gesamte Anlage einmotten. Wir werden dafür sorgen, dass im Tunnel das Klima so bleibt, dass nichts rostet. Falls wir in fünf oder zehn Jahren auf die Idee kommen, damit was zu machen, wäre der Beschleuniger im Prinzip betriebsbereit."

    So könnte der Elektronenring von Hera eines Tages als Testgerät für einen neuen Riesenbeschleuniger gebraucht werden, den ILC. Der dürfte zwar kaum in Hamburg gebaut werden. Dennoch beteiligt sich das Desy mit großem Engagement an dem Megaprojekt, denn…

    "..."In der Teilchenphysik werden die Beschleuniger immer größer und teurer. Deswegen ist es unmöglich, dass jedes Labor seinen eigenen Beschleuniger hat. Deswegen tun sich die Labors zusammen und machen gemeinsame Beschleuniger.""

    Sagt Robert Klanner von der Universität Hamburg. Mit dem Ende von Hera hat das Desy nun keinen Beschleuniger für die Teilchenphysik mehr. Stattdessen baut es einen riesigen, 3 km langen Röntgenlaser, der aber eher der Materialforschung dienen soll. Dennoch will das Desy auch in der Teilchenphysik an der Spitze bleiben – und zwar indem es in künftigen internationalen Projekten wie dem ILC eine Führungsrolle anstrebt.