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Herbst in der Ardèche
Das Kastanienfest in Joannas

Maron glacé: Da läuft so manchem Feinschmecker das Wasser im Mund zusammen. Kandierte Maronen gehören zu den Top-Nachspeisen der französischen Küche. Maronen und Esskastanien sind nur zwei Arten der Edelkastanie. In der Ardèche in Südfrankreich gibt es 65 verschiedene Sorten. Bis in den November hinein wird in den Dörfern die Kastanie gefeiert.

Von Martina Zimmermann | 15.11.2015
    Die Früchte einer Esskastanie, auch Maronen genannt, liegen mit ihrer aufgesprungenen, stacheligen Schale und Blättern auf einem Tisch.
    Die Früchte einer Esskastanie, auch Maronen genannt, liegen mit ihrer aufgesprungenen, stacheligen Schale und Blättern auf einem Tisch. (picture alliance / dpa / Erwin Elsner)
    Korsische Sänger und ein Akkordeonist aus Madagaskar spielen eine Musette. In Joannas, einem 340 Einwohner-Dorf inmitten des Tanargue-Gebirges der südlichen Ardèche strömen Einheimische und Besucher zur mittelalterlichen Burg, dem heutigen Rathaus. Hier findet die "Castagnade" statt. "Es handelt sich um ein Fest, bei dem sich alles um die Kastanie dreht", erklärt Bernard Vedavoto, einer der freiwilligen Helfer. Es gibt frische Kastanien und Kastanienmehl, Creme und Konfitüre, Sirup und Likör ..." Und die Kastanienbauern erklären ihre Arbeit.
    Der 61-jährige Bernard Vedavoto ist vor sechs Jahren aus seinem Managerjob ausgestiegen und in die Ardèche gezogen. Gemeinsam mit seiner Frau lebt er in einem jahrhundertealten Steinhaus mit Gästezimmern für Besucher, die er in die wildromantische Landschaft mit den riesigen rot-gelb-braunen herbstlichen Kastanienbäumen führt.
    Bio-Kastanienbauer Alex Romeyer hat 440 Bäume, die im Jahr zwölf Tonnen Früchte abwerfen. Sie gedeihen an den Hängen und werden und aus dem nahen Wildbach bewässert. "In Deutschland haben sie eher Kastanien, deren Holz verwendet wird oder die als Markierungspfosten dienen im Weinberg. Ihr Deutschen habt die Frucht nie gegessen wie wir. Das ist der große Unterschied: Unsere Kastanienbäume wurden ausgewählt, weil sie geschmackvolle Früchte produzieren, leicht zu schälen und weiterzuverarbeiten zu Suppe oder Mehl. Über Generationen hinweg haben wir in jeder Region Spezialitäten entwickelt, die es nur in dieser Gegend gibt."
    Die gibt es an den Ständen auf dem Platz vor dem Rathaus von Joannas - dem Schloss aus dem Mittelalter: Brot, Creme, Likör, Nudeln, Frühstücksflocken, Crêpes, Honig ... alles mit Kastanie. Manche Bauern haben über 40 verschiedene Waren im Sortiment.
    "Kastanie passt zu vielen Rezepten, süß wie sauer."
    Welche Kastanien sie für eine Konfitüre verwenden soll, fragt eine junge Rentnerin am Kochstand. Die großen Maronen seien perfekt zum Grillen oder für glacierte Maronen, erklärt Bernadette Vedavoto. Die ausliegenden kleinen Kastanien seien perfekt für die Konfitüre. Für diesen Ratschlag ist die Apothekerin Marie Helene Micou zwei Stunden mit ihrem Mann bis nach Joannas zum Kastanienfest gefahren: "Ich interessiere mich für die Kastaniencreme. Ich habe selbst eine gemacht aber sie ist zu dicht. Nun weiß ich warum: Ich habe zuviel Zucker zugegeben und nicht genug Wasser."
    Bernadette Vedavoto ist von Beruf Innenarchitektin und sie malt, ihre Gemälde sind im Rathaussaal ausgestellt. Anlässlich des Kastanienfestes gibt die blonde Südfranzösin Kochkurse. In der Herberge, die sie mit Ehemann Bernard führt, bekocht sie auch ihre Gäste: "Ich koche oft mit Kastanie, zum Beispiel Schweinchenragout mit Kastanien - man kann auch Huhn nehmen. Die berühmte Kastaniensuppe Kusina aus der Ardèche wird mit getrockneten Kastanien gemacht, die mit Milch erneut Feuchtigkeit bekommen, das ist eine Vorspeise. Man kann auch Füllungen machen, zum Beispiel den berühmten Weihnachtstruthahn mit Kastanienfüllung. Man kann auch Entenbrust füllen, Kastanie passt zu vielen Fleischsorten. Und dann natürlich der Nachtisch mit Kastanienkuchen oder Tiramisu mit Kastanien ... oder Eis, die Kastanie passt zu vielen Rezepten, süß wie sauer."
    Unter den rund 40 freiwilligen Helfern ist auch die 90jährige Ginette Dauphin. Sie hat sich elegant geschminkt und schick herausgemacht: "Ich bin immer an der Kasse und kassiere das Geld für die Mahlzeiten. Man trifft Leute, die man das ganze Jahr nicht sieht, das Fest ist sehr angenehm."
    Beim Partisanensong singen alle mit
    Es finden Kastanienschälwettbewerbe statt, der Rekord liegt bisher bei 1,3 Kilo Kastanien in einer halben Stunde: "Man muss aufpassen, dass man sich nicht in den Finger schneidet", erklärt ein Teilnehmer: "Man schneidet den hellen Hintern ab und entfernt dann die Haut. Ich passe auf meine Finger auf."
    Um offiziell als "Castagnade" anerkannt zu werden, dürfen nur Produkte um die Kastanie und aus der Ardèche verkauft werden. Kastanienbackwaren oder Holzstühle aus Kastanienholz ... aber auch Heilkräuter aus der Gegend, die die Schweizerin Jennifer Lefèvre anbietet: "Alle diese Heilkräuter werden wild gesammelt von meinem Mann und mir oder angebaut. Dann haben wir eine solare Trockenanlage und ein Distilliergerät, und ein kleines Labor, um diese Creme herstellen und Balsam. - Wir haben auch drei Hektar Edelkastanien, wir haben nicht immer die Zeit, alle zu sammeln. Wir haben Kinder und Tiere und alles, aber wir rösten die mit der Kastanienpfanne oder machen Suppe und Konfitüre. Ich habe ein Produkt mit Kastanienhonig, eine Lippenpomade."
    Das Kastanienfest am vergangenen Wochenende lockte 2.000 Besucher nach Joannas. Beim Partisanensong singen und klatschen alle mit. Der alternative Touch ist nicht nur den vielen Bio- und Naturprodukten zu verdanken. Es waren die Hippies, die sich in der Ardèche auf der Suche nach einem alternativen Leben niederließen, die die Kastanie ab den 1980er-Jahren wieder in Mode brachten.
    Die Reise der Autorin wurde unterstütz vom Tourismusbüro der Region Rhone-Alpes.