Mittwoch, 24. April 2024

Artenvielfalt in Europa
Worum geht es bei der neuen Biodiversitätsstrategie?

Die Artenvielfalt soll besser geschützt werden und Lebensmittel umweltfreundlicher hergestellt werden: Dafür will die EU-Kommission mit ihrer Biodiversitätsstrategie sowie der begleitenden Landwirtschafts- und Lebensmittelstrategie sorgen. Ein Überblick.

22.05.2020
    Feldhase auf einer Ackerfläche vor einem blühenden, gelben Rapsfeld in der Uckermark, Brandenburg
    Feldhasen sind von der abnehmenden Vielfalt im Ökosystem besondern betroffen (imago / serienlicht)
    Die Biodiversitätsstrategie ist Teil des sogenannten Green Deals. Das Prestigeprojekt der EU-Kommission will die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null reduzieren und damit Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent machen.
    Mit der Biodiversitätsstrategie will die EU-Kommission die Hauptursachen für den Verlust an biologischer Vielfalt und Ökosystemen angehen. Zentraler Punkt ist die Ausweitung von Schutzgebieten. Außerdem sollen die nicht nachhaltige Nutzung von Land und Meer, der Raubbau an natürlichen Ressourcen, die Umweltverschmutzung sowie die Ausbreitung invasiver Tier- und Pflanzenarten, die Lebensräume, Arten oder Ökosysteme beeinträchtigen, reduziert werden.
    Anders als bislang sollen Zielvorgaben verbindlicher werden. Die EU-Kommission verspricht Kontrolle und behält sich vor, nachzujustieren.
    Windräder stehen am Horizont, wo die Sonne aufgeht. Im Vordergrund ein Feld mit grüne Pflanzen
    "Green Deal" - Europas Kampf gegen den Klimawandel
    Für EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist die Begrenzung der Erderwärmung eines der Top-Themen ihrer Amtszeit. Ihr sogenannter Green Deal soll dazu beitragen, dass Europa im Jahr 2050 erster klimaneutraler Kontinent wird.
    Wie sieht die neue Biodiversitätsstrategie aus?
    Erklärtes Ziel der Strategie ist es, dem Naturschutz auf 30 Prozent der EU-weiten See- und Landflächen einen rechtlichen Status zu geben, zehn Prozent sollen sogar unter besonders strengen Auflagen quasi naturbelassen bleiben. Derzeit sind es im Rahmen des europäischen Netzwerks Natura 2000 rund 18 Prozent. Solche Flächen dürfen zwar genutzt werden, aber mit Beschränkungen.
    Mindestens zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche soll für die Erholung der Arten reserviert werden, also ungenutzt bleiben. Weiteres Ziel der Biodiversitätsstrategie 2030 sind verbindliche Regeln zum Erhalt und zur Wiederherstellung geschädigter natürlicher Flächen. Mindestens 25.000 Kilometer Flüsse sollen renaturiert und und drei Milliarden neue Bäume gepflanzt werden.
    Eine Hummel sitzt auf der Blüte einer Sonnenblume und sammelt Nektar. 
    Geplante Bio-Diversitätsstrategie der EU unter Druck
    Mit der Corona-Pandemie gerät das Projekt des Green Deals der EU-Kommission unter Druck. Nun soll zum Beispiel die Biodiversitätsstrategie Bestandteil des EU-Wiederaufbauplans nach der Coronakrise werden.
    Welche Rolle kommt der Landwirtschaftstrategie zu?
    Die Biodiversitätsstrategie ist mit einer neuen Landwirtschaftsstrategie verwoben, um den Agrarbereich stärker in die Pflicht zu nehmen: Weniger Pestizide, weniger Düngemittel, weniger Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung, mehr Biolandwirtschaft, eine nachhaltige Fischerei. Ebenso sollen die Menge weggeworfener Lebensmittel und der Verpackungsmüll reduziert werden.
    Die sogenannte Farm-to-Fork-Strategie soll die Lieferkette von den Erzeugern bis zu den Verbrauchern verbessern- Verbraucher sollen ihre Ernährungsweise überdenken, zum Beispiel mit Hilfe eines Tierwohllabels und eines Nährwertlogos für Lebensmittel.
    Konkret sollen Landwirte beispielsweise dafür sorgen, dass der Verlust von Artenvielfalt vor allem bei Vögeln und Insekten auf ihren Feldern gestoppt und der Trend umgekehrt wird. So sollen künftig mindestens 25 Prozent der Ackerfläche in Europa dem Ökolandbau vorbehalten sein.
    Welche Kritik gibt es an den beiden Säulen des Klimapakets?
    Die CDU-Umweltpolitikerin im Europaparlament, Christine Schneider, warnt vor einer Überproduktion von Lebensmitteln, die im Ökolandbau produziert würden. In der EU seien aktuell 7,5 Prozent der Fläche im Ökolandbau verankert. Eine Steigerung auf 25 Prozent werfe die Frage auf, ob es dafür überhaupt einen Markt gebe.
    Landwirt fährt mit einem Güllefass bei Sonnenaufgang über ein angefrorenes Feld
    Klimaschutz ohne Bauern: Die EU zaudert bei der Agrarreform
    Die Landwirtschaft ist einer der Hauptemittenten von Treibhausgasen in der Staatengemeinschaft. Wenn Europa grüner werden soll, muss das auch die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union.
    Kritik kommt auch vom Deutschen Bauernverband. Der hält den Zeitpunkt für die Präsentation der Biodiversitätsstrategie und der begleitenden Lebensmittelstrategie "Vom Hof auf den Tisch" (Farm to Fork) für ungünstig und fordert, ihn stattdessen auf das Jahresende zu legen. Zunächst sollten noch die Lehren aus der Coronakrise für die Lebensmittelversorgung abgewartet werden.
    Auch aus Osteuropa sind bereits Stimmen zu hören, den Green Deal vorerst auf Eis zu legen.
    Ein Landwirt bringt das Pflanzenschutzmittel Glyphosat auf einem Feld aus.
    Bayer-Lobbyist: "Wollen weitere und bessere Herbizide produzieren"
    Um Biodiversität und Artenvielfalt zu gewährleisten, bräuchte es moderne Pflanzenschutzmittel, sagte der Bayer-Lobbyist Matthias Berninger im Dlf. Ziel müsse es sein, auf weniger Fläche mehr zu produzieren.
    Vertreterinnen der Europäischen Grünen forderten dagegen mehr Verbindlichkeit. Artenschutz müsse "Hand in Hand gehen mit einer ambitionierten Klima- und Energiepolitik, dem Umbau unserer Industrie zu einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft und einer naturverträglichen Politik für Landwirtschaft, Wald und Fischerei", sagte die Sprecherin der Grünen/EFA-Fraktion für Artenschutz, Jutta Paulus, laut der Deutschen Presse-Agentur. Mit "Freiwilligkeit" sei es beim Artenschutz nicht getan.
    Ähnlich äußerte sich die Grünen-Europapolitikerin Anna Deparnay-Grunenberg. Zehn Prozent des Landes als Rückzugsorte und "biologisches Reservoir" für die Artenvielfalt zu sichern, sei zwar ein starkes Signal, reiche aber nicht aus. Sie kritisierte, dass die Strategie an verschiedenen Punkten auf Druck von Lobbyisten verwässert worden sei.
    Raphael Weyland vom Naturschutzbund macht darauf aufmerksam, dass trotz "viel Geld für eine gemeinsame Agrarpolitik" zu viel Nitrat im Grundwasser ist, Blühstreifen etwa für Kiebitz und Feldhase verschwinden und Erntehelfer schlecht bezahlt werden. Er hält die Farm-to-Fork-Strategie für überfällig.
    Welche Auswirkungen hat die Coronakrise auf die Pläne?
    Die Coronakrise habe Europa an die Bedeutung eines Gleichgewichts zwischen menschlichem Handeln und Natur erinnert, sagte der geschäftsführende Vizepräsident der EU-Kommission und Kommissar für Klimaschutz Frans Timmermans in Brüssel bei der Vorstellung der EU-Biodiversitätsstrategie.
    Doch wie viel davon umgesetzt wird, ist derzeit noch unklar. Der größte Streitpunkt ist der nächste EU-Haushalt 2021 bis 2027. Denn mit der Coronakrise sind Stimmen laut geworden, die fordern, das dafür eingeplante Geld für andere Dinge einzusetzen, als die EU bis 2050 treibhausgasneutral zu machen.
    Die nötigen Investitionen zur Umsetzung der Strategie bezifferte die Kommission auf jährlich 20 Milliarden Euro, die von der EU, ihren Mitgliedsstaaten und privater Seite aufgebracht werden müssten. Doch bringe Naturschutz auch Wirtschaftskraft, rechnet die Kommission vor: Allein der Nutzen des Natura-2000-Netzes werde auf 200 bis 300 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Auf regionaler Ebene entstünden neue Arbeitsplätze.