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Herman van Veen
"Ich habe Vertrauen in unsere Intelligenz"

Mal sind seine Texte einfach nur Lautmalereien, mal sind sie anstrengend anrührend, mal sind sie auch genial: Der Niederländer Herman Van Veen ist seit rund 50 Jahren auf der Bühne. Seine Tournee zum aktuellen Album "Fallen oder Springen" führt den 70-Jährigen derzeit durch große Säle in Deutschland. Im Corso-Gespräch erzählt er von seinem Werdegang.

Von Knut Benzner | 20.02.2016
    Der holländische Liedermacher Hermann van Veen.
    Der holländische Liedermacher Hermann van Veen. (picture-alliance/ ZB / Soeren Stache)
    Knut Benzner: Herr van Veen, 50 Jahre auf der Bühne, 176 LPs und CDs – das sind rechnerisch pro Jahr 3 1/2 LPs oder CDs.
    Herman Van Veen: Scheint viel, aber das hat auch damit zu tun, dass ich in fünf Sprachen unterwegs bin. Also zum Beispiel jetzt haben wir eine CD und die heißt "Fallen oder Springen", aber es ist die Schwester von einem holländischen Album, und das heißt "Kersvers". Und das sind dann so, denke ich, acht Stücke von dieser holländischen CD, die habe ich versucht, zu verdeutschen. Und dann, während dieses Prozesses habe ich dann neue Lieder dazu geschrieben, weil ich fand in dem Bereich, dass dann diese Stücke fehlten. Und das macht es möglich, dass es viele CDs sind, weil das wandert eigentlich durch die Sprache.
    Benzner: Sie veröffentlichen in Niederländisch, natürlich, Sie veröffentlichen in Deutsch, Sie veröffentlichen in Französisch, vous parlez francais, je pens, Sie veröffentlichen in Englisch und in Afrikaans.
    Van Veen: Ja, holländisch ist meine echte Sprache, all die anderen Sprachen spreche ich ungefähr so wie deutsch.
    Benzner: Sie haben in ihrer 50-jährigen Karriere mehr als andere Musiker, mehr als andere Sänger, mehr als andere Schriftsteller, mehr als andere Violinisten, mehr als andere Clowns, all das waren beziehungsweise sind Sie, Sie haben sich also mehr um Kinder gekümmert als andere. Welchen Hintergrund, welche Motivation hatte das?
    Frühes Engagement für UNICEF
    Van Veen: Vor allem mein Vater, der hatte diesen Zweiten Weltkrieg erlebt. Und als ich dann anfing, zu studieren, Konservatorium, hat er gesagt: Du, OK, schön, Musik, Student, aber ich halte es für wichtig, dass du auch was Soziales neben deinem Studium tust. Und wir haben darüber gesprochen. Und zufälligerweise war in dieser Woche auch ein Zeitungsartikel, ein Interview in "de Volkskrant" in Holland mit einer Frau, die hieß Vira Heersum Lohman. Und sie arbeitete für UNICEF. Und da habe ich ihr geschrieben und eine Verabredung gemacht. Und dann habe ich mich nach diesem Gespräch gemeldet als UNICEF-Freiwilliger. Und da habe ich Jahre als Student, und dann habe ich alle Woche oder so, am Mittag oder so geholfen, alle möglichen Sachen zu tun. Und diese Organisation hat mich im Laufe der Jahre immer mehr fasziniert, weil es trifft vornehmlich mein Interesse: die Kinderrechte. Ich sehe in dem Nachleben oder dem Respektieren der Kinderrechte eigentlich phänomenal viele Lösungen für unsere Gesellschaft. Nämlich Kinder sind auch heutzutage eigentlich Schlachtopfer der Umstände, aber auch Schlachtopfer der Entscheidungen ihrer Eltern. Ich kenne kein Land, wo die Kinderrechte nicht mit Füßen getreten werden, auch vor allem heutzutage in dieser Flüchtlingssituation. Da wird über die Kinder nicht so viel gesprochen.
    Benzner: Die Flüchtlingssituation. Wie ist die Lage momentan in Ihrer Heimat, in den Niederlanden?
    Van Veen: Erstens haben wir da kollektiv eine humanitäre Aufgabe, wir müssen das lösen. Das ist eine phänomenale Aufgabe, das ist ein enormer Druck auf unsere Gesellschaft. Und gleichzeitig müssen wir uns realisieren: Wie ist das so gekommen und was ist unser Anteil in diesem Ursprung? Es geht jetzt darum, dieses Problem kollektiv miteinander zu lösen. Was wir tun zum Beispiel, es ist, Kinder aus den Heimen zu uns holen, um die Kinder mit Musik zu konfrontieren und Dinge mit Theater zu machen. Und wir tun alle möglichen kleinen Sachen für die Kinder, um die Langeweile und die Angst zu bestreiten. Und jeder kann so auf seine Art und Weise etwas tun. Es ist ein gigantisches Problem. Ab und zu muss ich ein bisschen denken: So, wie wir in Holland, ein Teil unseres Landes liegt unter dem Wasserniveau, Meeresniveau, das Wasser kommt auf uns zu, wir wissen das schon einige Zeit. Und das ist ein gleichartiges Problem, es kommt.
    Benzner: Auch in Holland, auch in den Niederlanden gibt es zumindest eine Partei, die PVV, die Partij voor de Vrijheid, ob sie nun Freiheit vertritt oder nicht sei eigentlich nicht dahin gestellt, denn sie vertritt sie auf keinen Fall: Sie haben gegen diese PVV schon 2009 einen offenen Brief geschrieben. Und diese PVV ist natürlich momentan die Partei in den Niederlanden, die andere Ansichten hat als, nennen wir es reale Demokraten.
    Van Veen: Demokratie mit Ruhe erklären
    Van Veen: Ja, ich habe ihnen nicht einen Brief geschrieben, aber ich habe sie auf der Universität in einer Rede, habe ich da Sachen versucht, zu erklären. Ich glaube, man muss diesen Menschen sehr gut zuhören und alle Mühe geben, den Menschen zu erklären, was was bedeutet. Und vor allem historische Perspektiven zu erklären: Was ist Demokratie, was ist nicht Demokratie. Man muss das mit Ruhe und nicht allzu hektisch tun, erklären, erklären, erklären, was bedeutet das, was sie sagen, wieso sagen sie das so, warum mit diesem Sentiment, man braucht Ruhe.
    Benzner: Wie ist Ihr Bild von außen, Ihr Außenbild auf die Bundesrepublik Deutschland?
    Van Veen: Ich finde sehr oft, dass Deutschland langsam eine Art Vorbildfunktion gekriegt hat. Das hat mit dem Krieg zu tun, das hat auch mit dieser Wende zu tun. Die haben historisch gesehen Erfahrungen, die dazu geführt haben, dass Deutschland jetzt ist, was es ist: eine offene Demokratie.
    Benzner: Das Land der Mörder hat eine Vorbildfunktion bekommen?
    Van Veen: So würde ich das nie sagen, so kann man das, glaube ich, nicht sagen. Ich sehe nur, dass wir lernen können von dem Verarbeiten der deutschen Geschichte. Das ist eine atemberaubende Entwicklung. Auch die Position von Frau Merkel und was sie versucht, was sie versucht, uns zu erklären, ist im Prinzip, so sehe ich das, sehr richtig. Dass es praktisch unwahrscheinlich komplex ist, das ist mir auch klar, aber es geht mir um den intensiven Versuch, demokratisch zu sein und humanitär zu sein. Und das finde ich sehr achtenswert.
    Benzner: 1972 begann Ihre Zeit in der Bundesrepublik. Das Lied hieß "Ich hab' ein zärtliches Gefühl", da steht ein Mann auf der Bühne, schlank, lange Haare, einen Stoffhut auf dem Kopf und singt ein Jahr nach "Imagine" davon, dass er nicht nur ein zärtliches Gefühl hat, sondern auch Vertrauen in die Menschen, dass er die Menschen mag.
    Van Veen: Ich habe Vertrauen in unsere Intelligenz
    Van Veen: Ja, natürlich. Ich sehe, ein Mensch ist ein Wesen mit phänomenalen Möglichkeiten. Und ich glaube, dass die meisten Menschen viel Gutes damit tun. Ich habe Vertrauen, dass mit Empathie und Verständnis und Respekt wir phänomenale Sachen miteinander erleben können und tun können. Ich habe Vertrauen in unsere Intelligenz.
    Benzner: Dieses Lied, 1972, die Bundesrepublik nach '68, vier Jahre nach '68, befand sich durchaus noch in einem Generationskonflikt, einem heftigen Generationskonflikt. Wenn die Jugendlichen damals, 1972, Musik hörten, kam sie entweder aus den USA oder aus Großbritannien, war Rockmusik´. Und dann kommen Sie und begeistern genau diese Jugendlichen mit Ihrer Art, zu singen.
    Van Veen: Wir tun, was wir tun. Ich muss jetzt denken an Joseph Beuys. Joseph Beuys war so ein Einzelgänger. Der tat einfach, kann ich mich erinnern, was er tat - bedingungslos. Und ich bin eigentlich auch so einer, der tut, was er mag und für wichtig hält, auf seine Art.
    Benzner: Es gibt ein schönes Zitat von Joseph Beuys, er hat gesagt: Ich denke sowieso immer nur mit dem Knie.
    Van Veen: Ja, das ist typisch Beuys, ja.
    Benzner: Sie waren immer leise, was Ihre Musik angeht, waren Sie immer leise.
    Van Veen: Ja. Ja, leise, ich verstehe, was Sie sagen, aber leise, das hat mit laut nichts zu tun, aber wir sind ziemlich laut. Aber man kann auch leise im Laut sein.
    Benzner: Sie sind geboren in Utrecht, Sie wohnen in Soest, in der Nähe von Utrecht. Das heißt, Sie sind sich, wie kann man sagen, Sie sind sich treu geblieben?
    Van Veen: Nein, nein, ich will diesen Dom sehen. Und Utrecht ist meine Heimatstadt, da habe ich meine Freunde, Kneipen, Straßen, Grachten, Erinnerungen, Schulen. Da bin ich einfach zu Hause und das will ich auch bleiben, um alles. Also, ich liebe es einfach, durch diese Stadt zu gehen und alte Gesichter zu begrüßen. Und ich fühle mich dann ein bisschen glücklicher, als irgendwo anders, anders glücklich, muss ich sagen. Und ich wohne etwas draußen aus der Stadt, auf dem Land. Und das ist ein Vorrecht. Ja, ich bin eine glückliche Figur, dass das möglich ist und ich hoffe, dass das noch lange so bleibt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.