Dienstag, 23. April 2024

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Hermann Scheer verteidigt Andrea Yspsilanti

Hermann Scheer weist weitere Einmischungen seiner SPD-Parteifreunde in Belange des hessischen Landesverbandes zurück. Es sollte "dort entschieden wird, wo man sich auskennt", sagte der Bundestagsabgeordnete. Nach der vorerst gescheiterten Regierungsbildung sei die Diskussion in der Partei "übernervös".

Moderation: Friedbert Meurer | 10.03.2008
    Friedbert Meurer: Von Berlin nach Hessen, dort begrüße ich Hermann Scheer, SPD-Bundestagsabgeordneter, und im Wahlkampfteam von Andrea Ypsilanti war er für das Amt des Wirtschafts- und Umweltministers vorgesehen. Guten Morgen, Herr Scheer!

    Hermann Scheer: Guten Morgen!

    Meurer: Will die Hessen-SPD es notfalls immer noch versuchen, sich von der Linken tolerieren und Andrea Ypsilanti wählen zu lassen?

    Scheer: Das Erstaunliche ist, dass ständig immer in Hessen spekuliert wird, auch innerhalb der SPD weit außerhalb Hessens, und man sich auf Dinge bezieht, die zum Teil nie gesagt worden sind, oder auf Vorhaben bezieht, die so noch gar nicht artikuliert worden sind. Die SPD in Hessen hat unter Führung von Andrea Ypsilanti, das sollte man nicht vergessen, den erfolgreichsten Wahlkampf hinter sich und bestritten, aktiv bestritten, den die SPD in den ganzen letzten Jahren erreichen konnte.

    Meurer: Und um das nicht zu verspielen, Herr Scheer, hatte sie dann ja gesagt, ich lasse mich notfalls auch von den Linken wählen?

    Scheer: Sie hat gesagt, nicht um das nicht zu verspielen, sondern sie hat gesagt, weil eine andere, normale Koalitionsbildungen nicht möglich sind, weil sich zum Beispiel die FDP verweigert hat, und zwar von vornherein verweigert hat und noch nicht mal zu Gesprächen bereit war, wo man etwas hätte ausloten können. Dann kann ich doch das Wahlversprechen, wofür ich gewählt worden bin, wofür die hessische SPD einen fulminanten Zuwachs erreicht hat, wo ein 20-Prozent-Vorsprung der CDU egalisiert werden konnte, wo die klare Mehrheit der hessischen Wähler für die Abwahl von Herrn Koch gestimmt hat und alle Spatzen von den Dächern Hessens summen, gepfiffen haben, um im Begriff zu bleiben, Andrea Ypsilanti soll Ministerpräsidentin werden und ein Politikwechsel soll herbeigeführt werden, dafür ist sie eingetreten. Das kann man doch nicht alles liegen lassen, obwohl es eine parlamentarische Mehrheit dafür gibt. Also ist dann gegebenenfalls eine rot-grüne Minderheitsregierung vorzuziehen und muss dann auch gemacht werden, weil die Mehrheit praktisch da ist.

    Meurer: Das heißt dann, Herr Scheer, wenn der Nachrücker sagt, ich mache diesen Plan mit, dann wird die Idee wieder aufgegriffen?

    Scheer: Nein, das heißt es so noch nicht. Es ist versucht worden, dann gab es die Wendung, dass Frau Metzger gesagt hat, sie könne das nicht mitmachen. Und dann ist zunächst einmal von diesem Vorhaben Abstand genommen worden, und es gab die Reaktion, die am Wochenende ja bekannt war oder bekannt geworden ist, dass nämlich unter Umständen Frau Metzger, nachdem sie vielfach dazu aufgefordert worden ist, unter Umständen ihr Mandat zurückgibt. Aber es ist überhaupt nie gesagt worden, dass jetzt dann sofort wieder alles zum alten Stand kommt. Es muss zunächst einmal, glaube ich, Ruhe in die Situation kommen. Die Diskussion, die hier geführt wird, ist übernervös, finde ich.

    Meurer: Nicht sofort heißt, man könnte im Sommer, erst mal bleibt Roland Koch geschäftsführender Ministerpräsident, im Sommer könnte man drauf zurückkommen?

    Scheer: Was hier notwendig ist, dass zunächst mal eine Beruhigung der Situation eintritt, und die SPD wird sicher, das hat sie doch genauso angekündigt in Hessen, sie weiß selber, wie die Situation aussieht. Sie braucht nicht die permanenten Ratschläge von außen, das ist ziemlich ungewöhnlich, wie alle möglichen Leute meinen, auch die, die mit den hessischen und politischen Verhältnissen gar nicht besonders vertraut sind, mit den verschiedenen Handlungsmöglichkeiten, die es überhaupt gibt, nicht vertraut sind, wenn die ständig da Empfehlungen geben - auch aus der SPD selbst, die meine ich jetzt besonders, teilweise nie mit der SPD-Spitzenkandidatin gesprochen haben, den Wahlsieg, den sie errungen hat, dabei ständig zerreden, und als ginge es nicht in erster Linie bei der Glaubwürdigkeitsfrage darum, die Politik, die man gemacht hat, umzusetzen.

    Meurer: Dieser Ärger richtet sich gegen alle an der Spitze, gegen Kurt Beck, Struck, die Stellvertreter, weil die alle sagen, das wollen wir nicht tolerieren?

    Scheer: Nein, nein, ich nenne jetzt keine Namen. Das, was gestern eben durchgesickert ist oder eben gemeldet wurde, das, was gestern Abend rauskam, ist sowieso das, was Frau Ypsilanti vorgesehen hat. Und sie braucht nicht solche Ratschläge. Sie hat einen erfolgreichen Wahlkampf durchgeführt mit einem klaren Programm, und das ist die eigentliche Glaubwürdigkeitsfrage, dass man das auch umzusetzen versucht, alles, das andere hinter sich haben, die ständig Empfehlungen gegeben haben. Ich meine jetzt ausdrücklich nicht Kurt Beck, ausdrücklich nicht. Aber ich empfehle einigen, bevor sie ständig über Hessen reden, erst einmal sich zu informieren, nachzudenken und dann anschließend vielleicht unter Umständen auch mal nichts zu sagen.

    Meurer: Die Parteifreunde sehen, wie es in Hessen läuft, dass die Partei, die Fraktion es versäumt, genau abzuklopfen, wer stimmt wie ab. Dann überlegt man, dass man doch eine Wendung finden kann, wie man ohne Frau Metzger das Problem lösen kann. Besonders Vertrauen erweckt hat das offenbar nicht bei Ihren Parteifreunden?

    Scheer: Nein, nein, was heißt Vertrauen erwecken? Es gab gelegentlich auch woanders schwierige Situation. Was war denn die Situation in Schleswig-Holstein, als Frau Simonis nicht gewählt worden war, weil es eine heimliche Gegenstimme gegeben hat, und es gab nur eine Stimme Mehrheit? Dann kam es schließlich zu einer völlig anderen Koalitionsbildung. Da hat auch nicht die gesamte SPD, alle Flügelsprecher und so weiter aus allen möglichen Landesverbänden ständig täglich der schleswig-holsteinischen SPD Ratschläge gegeben. Ich denke nur, man sollte den Satz ernst nehmen, dass so etwas auf der Landesebene des jeweiligen Bundesland im Föderalismus der Bundesrepublik nach einer Landtagswahl, die keine Bundestagswahl bekanntlich ist, man sollte das hier irgendwann mal wieder zu dem kommen lassen, was normal ist, dass dort entschieden wird, wo man sich auskennt.

    Meurer: Sie reklamieren Entscheidungsfreiheit für Ihren Landesverband. Warum geben Sie nicht die gleiche Entscheidungsfreiheit Dagmar Metzger?

    Scheer: Diese Entscheidungsfreiheit ist in vollem Umfang gegeben. Es ist doch kein Druck auf sie ausgeübt worden. Es ist empfohlen worden, dass sie ...

    Meurer: Na, Sie haben ja zum Beispiel gesagt, man soll einen Parteiausschluss überprüfen?

    Scheer: Das habe ich nicht gesagt, das ist mir in den Mund gelegt worden. Das möchte ich ausdrücklich hier dementieren. Ich habe das auch gestern in breiter Form richtig gestellt, als ich das selbst gelesen habe. Ich hab selbst häufig mich abweichend von einer Mehrheitsmeinung geäußert und bin deshalb jemand, der wegen so etwas mit Sicherheit niemals ein Parteiausschlussverfahren fordern würde. Ich halte das sogar für abwegig. Sondern es ging hier um eine andere Frage: Es ging um die Frage, ist es, wenn sie persönliche Gewissensgründe geltend macht, über die man schwer streiten kann, ist das jetzt eine Gewissensentscheidung oder nicht in diesem Fall, ob man die eigene Spitzenkandidatin auch im Landtag, mit der man ja in den Wahlkampf gezogen ist, auch im Landtag dann nicht zur Ministerpräsidentin wählt, obwohl das ja eigentlich der Wahlziele war, dass Andrea Ypsilanti Ministerpräsidentin wird?

    Meurer: Und da haben Sie gesagt, Herr Scheer, sie solle ihr Landtagsmandat abgeben.

    Scheer: Das habe nicht nur ich gesagt. Das habe ich nur gesagt, wenn die persönliche Gewissensfrage soweit geht, dass man die gewählte Spitzenkandidatin, mit der man in der Wahlkampf gezogen ist, das habe auch nicht nur ich gesagt, das haben viele gesagt bei einer Sitzung, bei der ich gar nicht dabei war am Samstag, wenn man die nicht wählen will, weil Abgeordnete der Linkspartei sie mitwählen würden, eventuell, wenn sie so zur Wahl gehen würde, dann ist das eine so weitgehende, persönliche Sache, dass man sich dann überlegen muss, ob man dann das Mandat, das man ohne diese Spitzenkandidatin ja auch gar nicht bekommen hätte, dass man sich dann überlegen sollte, ob man das Mandat nicht zurückgibt.

    Meurer: Aber die Frau war mutig. In Kiel hat es der Parteifreund anonym gemacht. Frau Metzger, war sie nicht mutig?

    Scheer: Nun, selbstverständlich ist das ehrenwerter, wenn man das vorher sagt. Im Übrigen ist diese Überlegung, die ich eben genannt habe, die ja viele geäußert haben, diese Überlegung eine, die durchaus bei Frau Metzger, die sich ja am Samstag gezeigt hat, selbst auch da ist. Wir werden jetzt sehen, sie hat sich eine Bedenkzeit ausgebeten, und ich denke, dass man diese Bedenkzeit jetzt auch respektieren sollte.

    Meurer: Schönen Dank, das war Hermann Scheer, Mitglied im SPD-Schattenkabinett in Hessen. Auf Wiederhören, Herr Scheer.

    Scheer: Bitte schön, Wiederhören.