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Herr de Maizière und sein Radiergummi

Internet.- In dieser Woche hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine Grundsatzrede zur Netzpolitik gehalten. Wissenschaftsjournalist Peter Welchering informiert im Gespräch mit Maximilian Schönherr über die geforderten Ziele und Auflagen des CDU-Politikers.

26.06.2010
    Maximilian Schönherr: Thomas de Maizière, seit einem halben Jahr Bundesinnenminister, hielt am Dienstag eine Grundsatzrede zur Internetpolitik der Regierung. Und schon bei seiner Idee eines digitalen Radiergummis mussten manche schlucken. Peter Welchering, was meint er damit?

    Peter Welchering: Damit meint Thomas de Maizière ein Verfallsdatum, mit dem Informationen versehen werden sollen, die ins Netz gestellt werden, Daten also. Das Internet vergisst ja bekanntermaßen nichts. Und dem will Thomas de Maizière entgegenwirken, indem eben alle persönlichen Daten nach einer voreingestellten Zeit einfach automatisch gelöscht werden sollen. Und solche Dateien sollen dann auch einem Indexierungsverbot für Suchmaschinen unterliegen. Generell sollen zumindest Anzeigeverbote für bestimmte persönliche Daten durch eben die gängigen Suchmaschinen eingeführt werden. Und damit soll genauso wie mit einem größeren Haftungsrisiko für die Internetprovider mehr Privatheit im Netz garantiert werden. Und dieses Radiergummi fürs Netz ist zwar von den Medien sehr intensiv aufgenommen worden, hat aber auch einiges an Kritik bekommen. So zum Beispiel von Constanze Kurz vom Chaos Computer Club, die solch ein Radiergummi für technisch und organisatorisch überhaupt nicht machbar hält.

    Schönherr: Halten Sie es für machbar? Alle Daten sind ja redundant da – auf x Servern der Welt.

    Welchering: Nein, ich gebe da Constanze Kurz Recht. Wenn erst einmal über viele Knotenrechner viele Datenreplikationen, wie das so schön heißt, angelegt wurden, dann kann man diese Daten aus dem Internet nicht mehr rausbekommen. Wovon ich allerdings eine Menge halte – aber da ist sehr, sehr viel Arbeit zu machen und das wurde glaube ich von de Maizière unterschätzt – das wäre ein Anzeige- oder ein Indizierungsverbot für Suchmaschinen.

    Schönherr: Wie technisch wurde denn der Minister?

    Welchering: Eigentlich gar nicht. Er hat auch ein wenig blumig gesprochen. Wo de Maizière konkret geworden ist, da gab es dann auch gleich Diskussionen. Zum Beispiel will er für gefahrengeneigte Onlinedienste – darunter versteht er etwa bestimmte Finanzdienste und Kreditvermittlungen oder etwa den Online-Medikamentenhandel oder auch den Ortungsservice, mit denen dann Beispielsweise bestimmte Handys einfach geortet werden können – für die Betreiber eines solchen Dienstes will er eine staatliche Zulassung einführen. Und das ist vom Verband der deutschen Internetwirtschaft, eco, als ziemlich problematisch eingestuft worden. Immerhin hat sich de Maizière dann ganz allgemein auch noch zur Netzneutralität bekannt und er will flächendeckend Internetzugänge und sichere Basisdienste haben und da versteht er vor allen Dingen beispielsweise De-Mail als E-Mail-Service. Inwieweit diese Services dann mit staatlicher Hilfe oder sogar unter staatlicher Aufsicht angeboten werden, blieb dann in der Grundsatzrede seltsam unbestimmt. Da will sich das Bundeskabinett offenbar die eine oder andere Hintertür dann doch noch offenhalten.

    Schönherr: De Maizière hat ja Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat gefordert, um damit einen Missbrauch des Internet als Überwachungsinstrument entgegenzutreten. Ist das ein erster Schritt zum Verzicht auf die Vorratsdatenspeicherung?

    Welchering: Ja, so hat sich das zunächst am Dienstag in der Tat angehört. Aber de Maizière hat eben auch sofort klargestellt, dass die Vorratsdatenspeicherung notwendig sei. Denn würde man auf die Vorratsdatenspeicherung verzichten, so hat er Argumentiert, dann würde man die Gefahrenabwehr erschweren und die Strafverfolgung unnötig schwächen. Und in dem Zusammenhang hat er auch die interessante Anmerkung gemacht, es dürfe eben keine Schrankenlose Anonymität im Netz geben. Und das wiederum hat der Chaos Computer Club in seiner Kritik an de Maizière aufgegriffen und gefordert, dass die anonyme Nutzung von Internetdiensten eben unentbehrlich sei und deshalb durchgesetzt werden muss. Und schon rutschte da das Wort von der Zwangsidentifizierung, die mit dem neuen Personalausweis möglich sei, wenn man ins Netz gehe, dann auch gleich in die Diskussion.

    Schönherr: Welche Netzpolitischen Konsequenzen hat denn die Grundsatzrede auf die Leitlinien der Internetpolitik?

    Welchering: Da gibt es gleich mehrere Konsequenzen, die man daraus ziehen muss. Zum einen wurde von allen Seiten wirklich begrüßt, dass so etwas wie eine systematische Netzpolitik gefordert wird, denn die Netzpolitik der vergangenen Jahre war doch eigentlich immer sehr kurzatmig. Aber wenn es dann um die konkrete Ausgestaltung geht, werden die Gegensätze doch sehr deutlich. Da will de Maizière sehr viel mehr Regeln, als die Netzgemeinde das zulassen will. Gleichzeitig ist er der Netzgemeinde in Sachen Netzneutralität eben ein wenig entgegengekommen, aber insgesamt auch sehr schwammig geblieben. Und er hat im Hinblick auf das heiß diskutierte Zugangserschwerungsgesetz Maßnahmen versprochen, die das BKA derzeit erarbeitet und bald vorstellen will. Und mit diesen Maßnahmen soll auch zum Beispiel Kinderpornographie auf ausländischen Servern bekämpft werden. Da ist die Netzgemeinde natürlich dabei, aber es wird dann auch klar eingewendet, dass dies nicht als vorgeschobener Anlass missbraucht werden darf, um Anonymität, Privatheit und Freiheit im Netz einzuschränken.

    Schönherr: Peter Welchering über die Grundsatzrede des Bundesinnenministers. Vielen Dank.