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Herr der eigenen Daten bleiben

"Es kann nicht alleine um die Frage gehen, ob man Straßenzüge ablichten kann." Vor allem müsse man in Zeiten des Internets das Recht des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung stärken, so der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Christian Ahrendt.

Christian Ahrendt im Gespräch mit Martin Zagatta | 18.08.2010
    Martin Zagatta: Der Bilderdienst Street View erregt weiter die Gemüter, der Art sogar, dass die Bundesregierung sich heute zumindest grundsätzlich auf das weitere Vorgehen einigen wollte. Zur Debatte steht ein neues Datenschutzgesetz, das den modernen Internet-Zeiten gerecht werden soll. Hysterie oder dringend notwendig?

    Wir sind verbunden mit Christian Ahrendt, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion und Obmann seiner Partei im Rechtsausschuss. Guten Tag, Herr Ahrendt!

    Christian Ahrendt: Schönen guten Tag, Herr Zagatta.

    Zagatta: Herr Ahrendt, wir haben das in dem Beitrag gehört: die Verbraucherschutzministerin Aigner fordert jetzt die Anpassung des Datenschutzes an das Internet-Zeitalter, und zwar möglichst schnell. Da stimmt auch die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zu. Herrscht da tatsächlich so dringender Handlungsbedarf?

    Ahrendt: Es herrscht tatsächlich dringender Handlungsbedarf. Das Datenschutzrecht ist in der letzten Legislaturperiode auch schon einmal modernisiert worden, aber die Datenverkehr im Internet, die Datenerfassung durch Firmen, die hauptsächlich im Internet tätig sind, ist dabei nicht berücksichtigt worden. Google Street View hat jetzt durch den Auftritt im Sommer eine Diskussion angestoßen, die dringend ist, die wir brauchen. Wir können mit einem Datenschutzrecht, das zu einer Zeit existiert und ins Leben gekommen ist, als es das Internet noch nicht gab, heute nicht die modernen Probleme lösen, die das digitale Zeitalter mit sich bringt.

    Zagatta: Aber Sie sagen, im letzten Jahr hat man das noch nicht richtig berücksichtigt. Hinkt die Politik, hinkt man da nicht immer hinterher?

    Ahrendt: Nein, man hinkt nicht. Natürlich hinkt man immer ein Stück hinter den Entwicklungen hinterher, das ist so. Jetzt geht es aber darum, zügig zu einem Datenschutzrecht zu kommen, was die Persönlichkeitsrechte der Bürger schützt, was ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auch selbst auszuüben, und auch die Möglichkeit verschafft, Herr der eigenen Daten zu bleiben. Das ist heute mit den Möglichkeiten, die das Internet bietet, nicht immer der Fall. Die Widerspruchslösung, die Google jetzt angeboten hat, ist im Verhandlungswege erreicht worden. Das ist richtig, das ist auch gut. Aber es müssen auch klare Rechte geschaffen werden, ohne dass man auf Verhandlungen angewiesen ist, denn oftmals kommt man auch in Verhandlungen nicht zum Ergebnis. Deswegen sind Verhandlungsergebnisse allein kein ausreichender Verbraucherschutz.

    Zagatta: Ist klar. Aber was würde sich jetzt, nachdem wir diese Diskussion die letzten Tage und Wochen rauf und runter hatten, im konkreten Fall Google tatsächlich verbessern?

    Ahrendt: Erst mal ist die Frage, ob man neben einer Widerspruchslösung auch zu der Frage kommt, ob zunächst erst mal für Veröffentlichungen Einwilligungen erforderlich sind von denjenigen, deren Daten aufgenommen werden. Eine Einwilligungslösung ist noch wesentlich schärfer. Das zweite Problem ...

    Zagatta: Das heißt, wenn ich da mal einhaken darf, dann müsste man jeden einzelnen erst mal fragen, darf ihr Haus da gezeigt werden, und erst dann dürfte Google das ins Netz stellen?

    Ahrendt: Die Frage ist ja, was passiert, wenn die Daten, die Google jetzt aufnimmt, von anderen weiter genutzt werden und mit anderen Daten verbunden werden. Man darf nicht nur über die Frage der Hausfront nachdenken, sondern man muss sich nachher genau anschauen, was daraus weiter für Datensätze entstehen können. Datensätze, gerade Geodaten, werden heute zusammengeführt, die Menschen werden auch nach Geodaten bewertet. Möglicherweise entscheidet sich für jemanden, ob er einen Kredit bekommt, ob er einen Handyvertrag bekommt, auch nach dem Wohnort, weil es eine Datensammlung gibt, in der steht, wenn man in jener oder dieser Straße wohnt, man möglicherweise nicht zu regelmäßigen Zahlern gehört und deswegen schlechtere Konditionen bekommt. Alles das müssen die Leute in Erfahrung bringen können und dagegen müssen sie auch die Handhabe haben, sich zu wehren. Das sind Daten, die zusammengeführt werden.

    Zagatta: Aber das ist doch jetzt etwas, was Google ausdrücklich ausgeschlossen hat. Man will ja gar nicht die Daten, so argumentiert das Unternehmen ja. Man will noch gar nicht die Daten der Leute haben. Man will Bilder zeigen und darum dreht sich jetzt die ganze Diskussion. Kann man da tatsächlich, wie das ja auch aus Ihrer Partei kommt mit dieser Forderung, über eine Einwilligungspflicht reden?

    Ahrendt: Man wird nicht an dieser Stelle über eine Einwilligungspflicht reden können. Das wäre auch nicht möglich bei einer Stadt wie Berlin mit annähernd vier Millionen Einwohnern, von jedem Einwohner zu verlangen, dass er in eine solche Sache einwilligt, und dann haben sie auch noch eine Anzahl von öffentlichen Gebäuden. Die Frage ist: Was passiert dann weiter. Es heißt ja auch nicht, wenn Google diese Daten ins Netz stellt, dass sie nicht andere nutzen, und die Frage ist: Wie ist es sozusagen mit der Weiternutzung dieses Datenmaterials, das ganz anders zur Verfügung steht und genutzt werden kann, als dann beispielsweise in der "Bildzeitung" von einer Straße in Berlin ein Bild erscheint mit einem entsprechenden Bericht dazu. Das ist dann eine Tagesaktualität, was wieder verschwindet. Diese Daten sind aber permanent vorhanden, sie können von anderen genutzt werden, sie werden auch von anderen genutzt. Google macht das ja nicht aus Liebe zur Menschheit, sondern in erster Linie auch, um damit Geld zu verdienen, und Geld verdient man dann auch für eine bestimmte Leistung, die man anbietet, und Leute, die diese Leistung haben wollen, sind auch bereit, sie nachzufragen und zu bezahlen.

    Zagatta: Dass ich mich da nicht selbst hinbewegen muss, sondern dass ich mir eine Straße dann im Internet anschauen kann. - Wird das Ganze nicht erst dann gefährlich, wenn das beispielsweise mit Daten verknüpft würde, über die öffentliche Einrichtungen, Behörden, der Staat verfügt, und ist das nicht ein bisschen sehr hysterisch? In anderen Ländern haben wir diese Diskussion nicht. In Deutschland macht man ja auch diese sogenannte Vorratsdatenspeicherung mit, also man erfasst Telefongespräche, Verbindungsdaten zumindest, E-Mail-Verkehr, auch da die Verbindungsdaten, und regt sich jetzt so auf.

    Ahrendt: Herr Zagatta, darüber sind wir ja nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung erst mal hinweg, und auch das Bundesverfassungsgericht hat ganz klar gesagt, es kann nicht sein, dass alltägliche der Menschen gespeichert werden, die dann dazu führen, dass ein Gefühl der Kontrolle und ein Gefühl der Überwachung bei den Menschen entsteht, weil das einen freiheitseinschränkenden Charakter hat.

    Zagatta: Aber da gibt es EU-Vorgaben und sie müssen das neu regeln!

    Ahrendt: Die EU-Vorgaben gibt es noch nicht. Die EU ist auch bei der Frage, wie sie ihre Datenschutzpolitik ausrichtet, noch in der Diskussion. Und es ist ja durchaus ein Privileg, wenn man in Deutschland ein gutes Datenschutzrecht hat, das die Daten der Bürger schützt und die informationeller Selbstbestimmung den Bürgern auch wirklich selbst an die Hand gibt, sodass sie sie selber vertreten können und sich gegen unberechtigte Verwendung ihrer Daten wehren können. Da müssen wir uns nicht auf ein niedrigeres Niveau in anderen Ländern herab begeben. Es geht tatsächlich darum, dass man einmal darüber im Klaren sein muss, dass das Abbilden einer Häuserfront alleine noch kein Persönlichkeitsrecht verletzt. Wenn aber daraus weitere Daten und weitere Rückschlüsse gezogen werden, dann können diese Geodaten dazu führen, dass man stigmatisiert wird, dass man kategorisiert wird, und das muss man sozusagen in den Griff bekommen und dafür müssen wir das Datenschutzgesetz modernisieren.

    Zagatta: Aber das ist abgehoben von der Google-Diskussion? Direkte Vorteile würde das da jetzt nicht bringen?

    Ahrendt: Herr Zagatta, das ist tatsächlich so. Die Google-Diskussion, die jetzt durch die Aktion, 20 deutsche Städte im Internet mit entsprechenden Bildern zu veröffentlichen, ausgelöst wurde, ist der Anstoß, aber das, was dahinter liegt, ist wesentlich gewichtiger. Es kann nicht alleine um die Frage gehen, ob man Straßenzüge ablichten kann, sondern es muss kontrolliert werden, es muss auch für den einzelnen Verbraucher beherrschbar sein, was aus den Daten, wenn sie weiter verarbeitet und weiter genutzt werden, gemacht wird. An diese Aufgabe müssen wir ran und dieser Aufgabe stellt sich ja auch die Bundesregierung und das Ganze muss in einem vernünftigen Datenschutzrecht geregelt werden.

    Zagatta: Sind wir da in Deutschland etwas hysterisch? Der Innenminister de Maizière rät ja ausdrücklich mit diesem Argument zu Gelassenheit.

    Ahrendt: Gelassenheit ist auch gut und es ist auch richtig, dass die Bundesregierung den Vorschlag des Bundesrates heute zurückgewiesen hat, weil das tatsächlich ein Einzelfallgesetz bezogen auf Google Street View gewesen wäre. Damit kommen wir nicht weiter. Das heißt nicht, man braucht jetzt keinen Aktionismus, sondern man muss sehr sorgfältig überlegen, wo man hier den Interessenausgleich schafft. Aber es kann auch nicht sein, dass wir den Verbraucher ständig in die Situation versetzen, dass er schauen muss, wo sind seine Daten unterwegs, wo muss er widersprechen. Er muss auch aktiv Herr seiner Daten bleiben können und dafür sind auch verbesserte Regeln für den Verbraucher notwendig. Dafür brauchen wir sozusagen ein Datenschutzrecht, das den neuen Herausforderungen angepasst ist. Mit dem Datenschutzrecht, was quasi im Vergleich zum digitalen Zeitalter aus der Steinzeit stammt, kommen wir an der Stelle nicht weiter und die Frage des Rechtsschutzes ist ja auch noch offen, wie ich vernünftig Rechtsschutz erreiche, wenn meine Daten von anderen Unternehmen weiter verwendet werden, gar nicht von Google, sondern an anderer Stelle zusammengeführt werden, wie ich dahinter komme, wie ich mich wehren kann. Alles das müssen wir angehen, überlegen. Dafür soll ein Maßnahmenkatalog vorgelegt werden. Der Interessenausgleich muss sorgfältig auch mit den Interessen der Internet-Anbieter herbeigeführt werden. Aber nichts tun wäre das falsche.

    Zagatta: Genau. Da kommt noch ganz schön Arbeit auf Sie zu. - Danke schön! - Das war Christian Ahrendt, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion und Obmann seiner Partei im Rechtsausschuss.

    Ahrendt: Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Zagatta.