Freitag, 29. März 2024

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Herr der Namen

Es muss wohl Anfang der achziger Jahre gewesen sein, da kam der Soziologe und Publizist Nicolaus Sombart, Jahrgang 1923, auf die gloriose Idee, sich selbst quasi neu zu erfinden. Wie Phönix aus der Asche betrat der 59jährige die Bühne des akademischen Kulturbetriebs und verblüffte die Zuhörer mit seinen Radomontaden frei nach der Devise der legendären Diaristin Marie Bashkirtseff : "Nehmt an, ich sei berühmt".

Richard Schroetter | 02.02.2004
    Er sei "ein Paradiesvogel, und nur schwer zu rubrizieren", bekennt er unverblümt. Mit seinem keine Peinlichkeit scheuenden chevaleresquen Narzissmus erinnert er an den Exzentriker Fürst Pückler, der (unter Berufung auf Voltaire) alle Genres liebte, "außer den langweiligen". Wie Pückler ist Sombart ein großer Causeur, ein Mann von Welt, wobei der Balanceakt zwischen den guten,
    "standesgemäßen" Manieren und dem Epater le bourgois auch etwas unfreiwillig Komisches hat. Ein kunstvoll gestrickter harmloser Schal kann ihn in Rage bringen, vor allem, wenn das "superiore Stück ein Unbefugter" trägt. Dann gelüstet es diesen Eroto-Ästheten, das Corpus delicti dem Banausen "kurzerhand vom Hals reißen". Doch ein echter Gentleman tut sowas nicht. - Ja - Noblesse oblige.
    Im "Roten Salon" seiner adligen Mutter hatte er als kleiner Junge in der Nazizeit sehr wichtige Leute kennen gelernt, die "Reichtum und Kultur" repräsentierten. Leute wie den von den Achtundsechzigern bewunderten Nazi-Staatsrat Carl Schmitt, Herman Graf Keyserling, (den Tucholsky einmal als "den Darmstädter Armleuchter"bezeichnete), wie Helene von Nostiz, den jungen Sergiu Celibidache oder den "märchenhaft reichen" Bankierssohn André Germain. Aus solchen Quellen vernahm er Geschichten, die der gewöhnliche Historiker lieber dem Papierkorb (oder dem Kleingedruckten) anvertraut: "Dass Hitler Jungens gehabt und den Frauen in den Mund urinierte habe, was auf Französisch alles sich gar nicht so schlimm anhöre, und beinahe klinge wie "se rincer les dents" - wie sich die Zähne putzen.

    Im Laufe seines Lebens hat Sombart viel studiert, vor allem den "nervus rerum" der deutschen Männer, die Sexualität. Der "dezidiert, rationalistische, phallokratische Duktus der Gedankenführung" oder die "papotage aristocratique" sind ihm seit jeher wärmstens vertraut genau so wie die "anthropologische Bisexualität", die bündische Jugend oder die "Isomorphie der Nasenflügel".

    Im Oktober 1982 erhielt Sombart ein Stipendium als Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg, eine Ehre, mit der nur ganz wenige Geistesgrößen rechnen können. "Das Kolleg sei ein ungeheurer Luxus, sein Jahresbudget so hoch wie das Kulturbudget des Europarates", verrät der alte Novize verblüfft.

    Doch Sombart hatte sich mehr vorgenommen, als nur mit den 25 Fellows Fachfragen zu diskutieren. 10 Tage nach seiner Ankunft, - fast die Hälfte seines Lebens hatte er als "Haut Fonctionnaire International" in Straßburg zugebracht -, besucht er wenige Meter vom Kolleg entfernt ein stadtbekanntes Prominentenbordell, wo sich "ein süßes Mädchen, 18, "une vraie rousse", geschwätzig und anschmiegsam", um seine Bedürfnisse kümmert. "Hier gehöre er hin", erfährt der Leser, "so muss mein Leben sein! Straßburg liegt in "unvorstellbarer Ferne. Vollkommen unangemessen und unwürdig. Das hier ist viel mehr. Der Höhepunkt, auf den ich zehn Jahre mindestens gewartet habe."

    Das ist der Anfang eines intermittierenden Hedonismus, zwischen Luxusbordell, Paris Bar und Wissenschafts-Colloquium, ein kontinuierlicher Akt amouröser Selbstdekonstruktion; - sind aber auch camouflierte Beschwörungsformeln gegen die uralte virile Angst, "vollkommen in einem gemütlichen, spannungslosen, sterilen Alltag mit "Oparolle" zu versacken."

    Weil die Welt so leicht vergisst, legte Sombart klandestin eine "Akte" an und machte sich über seine "Rückkehr nach Berlin" Notizen. Richard von Weizäcker regierte die Frontstadt und Helmuth Kohl trat seine epochalen Geschäfte an. Doch solche öffentlichen Quisquilien übergeht Sombart kokett. Neben seinen erotischen Abenteuern beschäftigte ihn ein autobiographisches Buchvorhaben, das zwei Jahre später unter dem Titel "Jugend in Berlin" erschien und ziemliches Aufsehen erregte. Das war auch sein Coming-out als Schriftsteller und Chronist. Ein Nebenprodukt davon ist das jetzt veröffentlichte intime Arbeitsjournal, eine Sammlung teils stichwortartig hingeworfener teils breiter ausgeführter mit akademischen Klatsch und vielen Insider-Namen gespickten Notate.

    Es werden keine Höllenpforten aufgerissen wie in Baudelaire‘s Journaux Intimes oder á la Amiel, - dessen Tagebücher der Pendo-Verlag gerade wiederveröffentlicht hat -, das geistige Innenleben eine großen Einzelgängers in seiner spektralen Fülle gespiegelt, es werden vielmehr - und das ist ja auch e i n Reiz vieler Tagebücher - oft indiskret und eitel Menschen und Zeitgenossen taxiert - vorgeführt. Gerne teilt Sombart kleine Seitenhiebe aus, und nutzt sie zugleich zur Selbststilisierung. Eine Kunst, die er bravourös beherrscht.

    So begütert Sombarts Selbstbewusstsein von Hause aus ist, so skrupelhaft kann er dann auch wieder überraschenderweise sein. Er komme "mit dem Tagebuchschreiben nicht klar", stellt er betrübt fest. "An der fehlenden Zeit" könne "es nicht liegen. Da seien andere Widerstände im Spiel."

    Ein Widerstand, so wird insinuiert, ist sicher das geglückte Leben an sich, das sich nicht beschreiben lässt. Bei all dem merkt der Leser, der Berliner Salonist Nicolaus Sombart ist ein selbstreferentielles System. Er kann sich groß u n d klein machen. E r bleibt der Souverän, der mit Personen und Namen spielt. Nicht alle in dem Tagebuch Erwähnten werden darüber glücklich sein. Aber weiterhin gilt auch für diesen Fabulierer die Devise, die den Hosenbandorden schmückt : Honi soi, qui mal y pense .

    Nicolaus Sombart
    Journal intime 1982/83. Rückkehr nach Berlin
    Elfenbein Verlag, 212 S., EUR 18,-