Samstag, 20. April 2024

Archiv


"Herr Wowereit möchte lieber Party"

Cem Özdemir wirft Klaus Wowereit vor, Verhandlungen nach Diktat zu machen. Mit seiner Partei, so der Grünen-Chef, gebe es nur Koalitionen "ohne Demütigungsrituale". Der Streit um den Autobahnausbau sei nur eine Metapher für die Politik der Berliner SPD.

06.10.2011
    Dirk Müller: Das ökologisch-soziale Modernisierungsprojekt, das Wechselprojekt, die Wiederauflage. Rot-Grün war erneut in aller Munde, selbst bei Peer Steinbrück. Gestern nun der Rückschlag, Knall auf Fall gescheitert wegen drei Kilometern Stadtautobahn. Die Berliner Landesgrünen und die Berliner Landessozialdemokraten haben sich nicht einigen können. Die Koalitionsverhandlungen, die zu einem rot-grünen Senat führen sollten, haben gerade einmal eine knappe Stunde gedauert, dann kam das bittere Ende. Darüber sprechen wollen wir nun mit Grünen-Parteichef Cem Özdemir - guten Morgen!

    Cem Özdemir: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Özdemir, können Sie Klaus Wowereit jetzt nicht mehr leiden?

    Özdemir: Nein, das hat damit nichts zu tun. Man muss in der Politik nicht so weit gehen, dass man gleich gern zusammen in Urlaub gehen möchte, aber man muss ein Grundvertrauen haben. Und das Grundvertrauen war nicht da, Klaus Wowereit war offensichtlich nicht gewöhnt, mit einem Koalitionspartner so umzugehen, dass nachher beide als Sieger den Tisch verlassen und erfolgreich fünf Jahre zusammenarbeiten. Er kennt es natürlich auch nicht, denn man kann es ihm nicht zum Vorwurf machen, denn er hat bislang mit der Linkspartei koaliert, und das war mehr oder weniger SPD plus. Und jetzt hat er die Wahl verloren, über zweieinhalb Prozent, wir haben zugelegt, jetzt musste er mit einem Koalitionspartner, der selbstbewusst ist, umgehen, und damit kann er nicht umgehen.

    Müller: Das hört sich jetzt so an, als hätten Sie sogar ein bisschen Mitleid mit Klaus Wowereit.

    Özdemir: Ja, was heißt Mitleid? Ich bin Sozialpädagoge, verstehe das, dass jemand, der das nicht kennt, wie das ist, wenn man einfach verhandelt, wie man unter zivilisierten Parteien miteinander umgeht, nämlich das einen geben, die anderen geben, beide lassen ein bisschen Federn, beide kommen nicht mit 100 Prozent ihres Programms raus, und am Schluss einigt man sich in der Mitte. So verhandeln wir Grüne und halten uns vor allem dann auch fünf Jahre dran. Herr Wowereit kennt das nicht, Herr Wowereit kennt Verhandlungen, wo er quasi ein Diktat macht. Wir haben nur keinen Krieg verloren, das muss man Wowereit vielleicht mal erklären. Es geht um Wahlen, wir haben bei den Wahlen zugelegt, die SPD hat bei den Wahlen auf ein bereits schlechtes Wahlergebnis noch mal Stimmen verloren, er selber hat nicht mal seinen Wahlkreis gewonnen, und dann möchte er 100 Prozent SPD. Das kann er mit der CDU, mit der Linkspartei machen, aber sicherlich nicht mit meiner Partei Bündnis 90/Die Grünen.

    Müller: Also hat er aus Ihrer Sicht unfair gespielt?

    Özdemir: Das ist eine etwas höfliche Umschreibung dessen, was Herr Wowereit gemacht hat. Die drei Kilometer Autobahnbau sind doch im Prinzip eine Metapher für das Politikverständnis von Herrn Wowereit. 420 Millionen Euro, damit die teuersten Autobahnkilometer Deutschlands, in einer Stadt, die hoch verschuldet ist, die kein Geld hat, die darauf angewiesen ist, dass Geld von woanders herkommt. Wir Grüne wollten den Haushalt sanieren und dafür sorgen, dass Berlin aus den Negativschlagzeilen rauskommt. Herr Wowereit möchte lieber Party.

    Müller: Sagen Sie jetzt, Cem Özdemir, er will lieber Party, er hat ja dennoch versucht, diese Koalition auf den Weg zu bringen, zumindest hat er das vorher gesagt, wenn wir das richtig verstanden haben. Die ganze Sachlage ist ja nicht ganz so unkompliziert, wie sie häufig dargestellt wird: Autobahnkilometer, drei Autobahnkilometer, eine Stadtautobahn, die Mittel sollten doch vom Bund kommen?

    Özdemir: Ja, das macht es ja aber nicht besser. Also ich meine, auch im Bund wird das Geld durch Steuerzahler erwirtschaftet. Es gibt ja nicht einen Dukatenesel, der irgendwie Geld erzeugt, und in Zeiten knapper Kassen ist es schon sinnvoll, dass man sich genau überlegt, wofür man Geld ausgibt. Also nicht jedes Projekt, nur weil es teuer ist, ist deshalb automatisch gut - das ist zumindest die grüne Philosophie, dass Berliner Sozialdemokraten anders seien. Und dann kommt noch dazu, im Prinzip hätte man sich auch da einigen können. Natürlich ist doch klar, dass die SPD durch die Festlegung von Herrn Wowereit da Schwierigkeiten hatte. Das wussten wir, wir wussten, die SPD-Basis denkt zum großen Teil anders, und wir waren bereit, uns da zu bewegen, nur Herr Wowereit wollte halt alles. Und wenn man alles möchte, bekommt man manchmal gar nichts.

    Müller: Und Sie hätten dann nur die Hälfte der drei Kilometer gebaut?

    Özdemir: Da bitte ich um Verständnis, dass wir Grünen die Praxis haben, dass wir da jetzt nicht alles ausplaudern, was da besprochen wurde, aber wir hatten einen Kompromissvorschlag gemacht, der für uns sehr schmerzhaft war, weil wir ja dann auch eine Position hatten, mit der wir in die Auseinandersetzung gegangen sind. Wir waren aber bereit, um des Kompromisses wegen uns zu bewegen, nur Herr Wowereit wollte gleich zu Beginn einer möglichen Koalition von den Grünen signalisiert bekommen, dass er grünes Licht hat, für alles, und das geht natürlich nicht. So kann man nicht erfolgreich koalieren, wenn man fünf Jahre im Interesse der Stadt im Auge hat. Aber nehmen Sie doch eine andere Entscheidung von ihm, mit dem Polizeipräsidenten, den er kurz noch eingesetzt hat, obwohl klar war, dass sein jetziger Innensenator vermutlich in einem rot-grünen Kabinett nicht mehr Innensenator ist. Das macht man eigentlich nicht, wenn man daran interessiert ist, dass man mit seinem Partner von Anfang an sich gut versteht, das macht man eigentlich nur, wenn man seinem Partner signalisieren will, ihr seid zwar Partner, aber in Wirklichkeit habt ihr nichts zu sagen.

    Müller: Reden wir, Herr Özdemir, noch einmal über das Ergebnis, was wirklich Berlin, also die Landeshauptstadt Berlin anbetrifft. Das Ergebnis ist, es wird mit großer Wahrscheinlichkeit jetzt eine große Koalition geben, schwarz-rot, und die Autobahn wird jetzt erst recht gebaut. Sind die Grünen denn damit zufrieden?

    Özdemir: Na ja, die Große Koalition hat ungefähr 52 Prozent. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, wo große Koalitionen 70 Prozent und mehr auf die Waage gebracht haben. Also daran sieht man dann auch, dass sich was dran ändert. Für die SPD wird es nicht nur angenehm werden, denn sie wird mit der CDU koalieren, damit sendet sie bundesweit ein Signal, dass es möglicherweise auch die Alternative gibt, eine sogenannte große Koalition im Bund zu machen. Allerdings muss man wissen, im Bund mit umgekehrten Vorzeichen, das heißt mit der CDU an der Spitze und mit der SPD als Juniorpartner. Ob das im Interesse von Herrn Gabriel und anderen Spitzengenossen ist, wage ich zu bezweifeln, und für die Stadt Berlin ist es natürlich klar, wir sind jetzt Opposition, wir sind die stärkste Oppositionspartei, wenn sich SPD und CDU einigen, damit Oppositionsführer, und wir werden genau diese Sachen - wo geht der Senat mit Geld unverantwortlich um, wo gibt Wowereit Geld anderer Leute im Unverstand aus. Wir werden genau diese Themen auf die Tagesordnung setzen, aber natürlich auch die ökologisch-sozialen Chancen, die Berlin hätte haben können mit den Grünen an der Regierung.

    Müller: Dann reden wir über die rot-grünen Chancen, auch über die rot-grünen Chancen im Bund. Da hat sich die SPD, selbst der konservative Flügel, in den letzten Monaten immer weiter in Richtung Grün bewegt, ich hatte das eben schon erwähnt. Selbst Peer Steinbrück hat gesagt, die Wechselperspektive ist rot-grün. Normalerweise bei solchen Interviews sagen die Politiker immer, na ja, das ist eine rein regionale Entscheidung - sagen Sie das auch?

    Özdemir: Wir haben 16 Bundesländer und in 16 Bundesländern unterschiedliche Formationen, das gilt auch für die Grünen. Wir haben jetzt fünf Landesregierungen, allerdings vier davon mit der SPD, eine mit der CDU. Das zeigt schon, wohin bei uns die Reise geht. Wir haben mit der SPD mit Abstand die meisten Schnittmengen, gerade in der Sozialpolitik, in der Umweltpolitik, in der Bildungspolitik und bundesweit auch mit der Außenpolitik. Insofern ist klar, das ist unser präferierter Partner, mit dem wir am liebsten zusammenarbeiten wollen. Ich sage aber auch - und gerade nach der Erfahrung von Berlin -, solche Koalitionen gibt es mit uns nur auf Augenhöhe, wenn beide Partner ohne Demütigungsrituale, ohne solche Quatschgeschichten, wie Herr Wowereit sie in Berlin offensichtlich nötig hat, fair miteinander umgehen. Wenn das die Anlage der SPD ist, dann kämpfen wir gemeinsam für Mehrheiten, die SPD muss allerdings wissen, die Zeiten von früher, wo die Grünen der kleine Partner waren und die Grünen waren der große Partner, der den Kleinen die Welt erklärt, die sind vorbei, die kommen auch nicht wieder.

    Müller: Sie haben gerade die vielen Punkte genannt, wo sie die Schnittmenge mit der SPD sehen und deswegen ein Bündnis mit der SPD auch im Bund präferieren. Genau das hat ja Sigmar Gabriel, das haben wir auch eben hier im Deutschlandfunk im O-Ton gehört, kritisiert. Also die Autobahn steht zwischen diesen ganz vielen anderen Themen. Warum sind Sie so weit gegangen?

    Özdemir: Na ja, ich hab ja gerade gesagt, die Autobahn ist eine Metapher dafür, wie die SPD in Berlin Politik macht, und eigentlich muss ich mich gleich selber korrigieren und sagen, Herr Wowereit Politik macht, denn es ist ja nicht die SPD. Ich wundere mich allerdings ein bisschen über die SPD in Berlin. Viele sind ja zu uns gekommen und haben uns signalisiert, wir wollen doch die drei Kilometer Autobahn auch nicht, nur da muss man halt auch mal dem Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten in die Speichen greifen und ihm erklären, dass es auch so was wie innerparteiliche Demokratie gibt. Offensicht ist Herr Wowereit ja nicht ganz so populär, wie er glaubt, dass er sei. Ich sag es nochmals: Er hat seinen eigenen Wahlkreis verloren, und dann kommt noch dazu, dass er trotz einem personalisierten Wahlkampf, der auf ihn zugeschnitten war, Stimmen verloren hat. Das ist eine klare Ansage, dass die Berliner nicht Stillstand wollten, sondern die Berliner wollten Bewegung. Und wenn man die Berliner fragt, dann wollten sie Bewegung Richtung Rot-Grün, mit dynamischen Grünen an der Seite von etwas erschlafften Sozialdemokraten. Das kriegen sie jetzt nicht, weil Herr Wowereit alles wollte.

    Müller: Sie haben jetzt hier bei uns heute Morgen gesagt, die Grünen sind kein Juniorpartner mehr, sondern ein Partner auf Augenhöhe. Jetzt gibt es noch eine politische Partei, die seit Wochen in aller Munde ist, nämlich die Piraten. Machen Sie sich da Sorgen, dass Sie demnächst, wenn Sie zur Macht kommen, Sie diese Macht mit den Piraten teilen müssen?

    Özdemir: Ach, wir gehen kollegial mit den Piraten um, das haben wir immer gemacht, das werden wir weiterhin machen. Ich erinnere mich noch dran, wie die Grünen behandelt worden sind, als sie zum ersten Mal in Parlamente eingezogen sind. Daran werden wir uns nicht beteiligen, was man mit den Piraten oder mit irgendeiner anderen Partei macht. Was die Themen der Piraten angeht, die sind ja nun nicht ganz neu, die stehen bei uns auch Gott sei Dank im Programm drin, dafür kämpfen wir, dafür setzen wir uns ein. Und wenn die Piraten das auch machen, dann haben wir damit sicherlich kein Problem.

    Müller: Aber die Piraten haben demnach schon ein Protestpotenzial, was den Grünen, auch den Sozialdemokraten gefährlich werden könnte?

    Özdemir: Sie haben sicherlich ein Protestpotenzial, vor allem bei einer Wahl wie in Berlin, die jetzt nicht gerade extrem spannend war. Da haben die Piraten sicherlich Farbe in den Wahlkampf reingebracht, und es war am Ende wahrscheinlich auch der Grund, warum so viele nachher das Kreuz bei den Piraten gemacht haben. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass bei einer zugespitzten Wahl wie bei der Bundestagswahl, wo es nachher drum geht, wird Schwarz-Gelb verlängert oder wird Schwarz-Gelb ersetzt durch eine andere Formation, nämlich durch starke Grüne mit Sozialdemokraten zusammen, dass da der ein oder andere Wähler sich dann sehr genau überlegt, ob er die Stimme den Piraten oder anderen Parteien gibt, die am Ende dazu beitragen, dass man das Gegenteil von dem bekommt, was man vielleicht möchte.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Grünen-Parteichef Cem Özdemir. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin!

    Özdemir: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema