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Herz gegen Faust

In der litauischen Hauptstadt Vilnius darf zum zweiten Mal der Baltic Pride stattfinden. Schwulen- und Lesbenverbände sehen in der Erlaubnis ein positives Zeichen für die Zivilgesellschaft. In der Bevölkerung sind die Vorbehalte gegen Homosexualität jedoch immer noch groß.

Von Sabine Adler | 26.07.2013
    Keineswegs überraschend, sondern überaus vorhersehbar sollte die Baltic Pride in Litauen stattfinden. Das letzte Mal zog sie 2010 durch die Hauptstadt Vilnius, allerdings fernab vom Zentrum. Morgen wird sie durch die gute Stube der litauischen Hauptstadt führen, was die Organisatoren vom Schwulen- und Lesbenverband als Erfolg feiern. Ihr Sprecher Thomas Raskevicius:

    "Wir waren sehr froh über die Entscheidung, das war ein gerechter Sieg für die Community, die Schwulen und Lesben hier vor Ort, aber auch für die Zivilgesellschaft von Litauen insgesamt. Die Gerichtsentscheidung zeigt, dass Homosexuelle das gleiche Recht haben, sich zu versammeln wie alle anderen. Wenn es anderen Gruppen erlaubt ist, ihre Märsche über die Gediminas Avenue zu lenken, dann muss das bei der Gemeinde der Schwulen und Lesben ebenso der Fall sein."

    Herz gegen Faust - mit Plakaten wurde für und gegen sexuelle Minderheiten zu Felde gezogen. Gediminas Pranevicius verteidigt vor Gericht die Homosexuellen-Organisation, denn die juristischen Auseinandersetzungen sind trotz der Erlaubnis für die Parade nicht beigelegt. Nun geht es um ein Herz in Regenbogenfarben, mit der Aufschrift "Liebe ist ein Menschenrecht", das für Toleranz wirbt, aber verboten werden soll. Offiziell aus formalen Gründen, doch Anwalt Pranevicius vermutet, dass Politik im Spiel ist.

    "Die Stadtadministration wollte die Parade verhindern, ihre Erlaubnis verweigern. Der Bürgermeister will sich die Vorbehalte in der Gesellschaft zunutze machen. Als Umfragen zeigten, dass die Leute diese Parade nicht unbedingt wollen und unterstützen, wollte er zeigen, dass er dagegen vorgeht. So ist seine Popularität gestiegen, denn er hat gezeigt, dass er die Stadt angeblich schützt."

    Die Ressentiments sind groß, das mehrheitlich katholische Litauen ist konservativ. Viele Leute, so Anwalt Pranevicius, hätten noch keine Möglichkeit gehabt, in anderen Ländern zu sehen, wie man dort lebt. Daher die Angst vor allem, was unbekannt ist. Das Goethe-Institut zeigt in einem Festival mit dem Titel "Anderes Kino" drei Streifen passend zur Baltic Pride. Zu sehen sind "Dicke Mädchen" von Axel Ranisch, "Drei" von Tom Tykwer und "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" von Fassbinder. Johanna Keller, Chefin des Goethe-Instituts in Vilnius, erklärt das Anliegen:

    "Wir sehen uns in der Pflicht, ganz klar. Weil sich Deutschland und die Europäische Union ganz klar bekennen zum Minderheitenschutz und zu Toleranz sexuellen Minderheiten gegenüber, auch in Litauen. Und insofern sehen wir uns in der Rolle, dass wir diese Stimmen stärken."

    Bis Dienstag war unklar, ob die "Baltic Pride" - nun zum zweiten Mal - in die litauische Hauptstadt kommen darf. Für Johanna Keller vom Goethe-Institut ein Déjà-vu-Erlebnis.

    "Schon damals war das heiß umstritten. Es wurde immer wieder abgesagt. Es hat dann doch stattgefunden, allerdings auf der nördlichen Flussseite, also die nicht zum Zentrum zählt. Die 200 Demonstranten für die "Pride" waren abgeschirmt von einem Zaun und hinter dem Zaun standen etwa 2000 Gegendemonstranten, darunter auch zwei Parlamentsabgeordnete."

    Dass die Litauer Schwierigkeiten mit Schwulen und Lesben haben, wird hinter vorgehaltener Hand auf die stetig sinkende Bevölkerungszahl zurückgeführt. 600.000 Bürger sind ausgewandert. Wenn Verbandssprecher Thomas Raskevicius hört, dass er sich nicht über seine sexuelle Orientierung den Kopf zerbrechen, sondern Kinder in die Welt setzen soll, gibt er den schwarzen Peter zurück:

    "Ich empfehle, in andere Länder zu schauen, in denen Schwule und Leben gleichberechtigt sind und deren Bevölkerung dennoch wächst. Bevölkerungsrückgang hat nichts mit Homosexualität in einer Gesellschaft zu tun, sondern mit Familienpolitik. Sie trägt die Verantwortung, wenn die Bevölkerung schrumpft und sie offenbar nicht die Maßnahmen dagegen ergreift, das zu verhindern."

    Die Baltic Pride schaffe eine gute Gelegenheit, auch über diese Zusammenhänge zu diskutieren. Das Informationsdefizit aus Sowjetzeiten sei längst nicht beseitigt.