Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Herz-Schmerz in Zeiten des 2. Weltkriegs

Michael Wallners Roman "April in Paris" konnte schon vor der Veröffentlichung mit einem guten dutzend Übersetzungen in die wichtigsten Sprachen der westlichen Welt Aufmerksamkeit erregen. Was hatten die Agenten und Lektoren in den ihnen vorliegenden Romanauszügen entdeckt? Ein deutscher Besatzungssoldat während des Zweiten Weltkriegs in lauen Pariser Nächten flanierend, schwer verliebt in eine Französin, schwer bedroht von deutschen Nazi-Schergen. Ist es das immergrüne Setting des Grauens und der Menschlichkeit?

Von Beate Berger | 10.04.2006
    Dies Kernstück der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert verschlungen mit dem Herz-Schmerz leidenschaftlicher Liebe? Großes Kino in sanft perlenden Worten? Das Böse als das Ganze und die Liebe als das ganz andere? Hier knüpfen vor allem gerne angelsächsische Phantasien an, wenn sie Deutschlands Geschichte imaginieren. Wie sieht er nun aus der neue Roman "April in Paris" vom knapp 50-jährigen, in Berlin lebenden Grazer Michael Wallner?

    "Das östliche Europa ist noch gar nicht angefragt und Asien auch nicht. (...) Der Ausschlag war, dass Frankreich ein ganz tolles Angebot gemacht hat und da ein sehr renommierter Verleger. (...) Dann kam mit Italien ein sensationeller Abschluss. Und eben Schweden, Finnland, Norwegen, Israel, Portugal, Spanien, Brasilien, Großbritannien und der ganze Commonwealth mit Australien, Kanada extra und die Vereinigten Staaten. Also mehr kann man sich nicht wünschen."

    Soviel wunschloses Schriftstellerglück ist selten. Michael Wallner genießt sichtlich die gedankliche Reise in die Länder, in denen sein neuer Roman "April in Paris" erscheinen wird. Mit den drei Romanen "Manhattan fliegt", "Cliehms Begabung" und "Finale" hatte sich Michael Wallner seit dem Jahr 2000 im deutschsprachigen Raum einen Namen gemacht, aber keines dieser Bücher hat soviel Aufsehen erregt wie "April in Paris". Dass dieser Roman jetzt rund um den Erdball zu lesen sein wird, dürfte unter anderem auch daran liegen, dass er von einer großen Liebe in finsteren Kriegszeiten handelt - ein Sujet, das Verleger seit Bernhard Schlinks Welterfolg "Der Vorleser" hellhörig werden lässt.

    Schauplatz des Geschehens ist Paris. Dort ist der junge deutsche Besatzungssoldat Roth vom Jahr 1940 an als Dolmetscher stationiert. Die Politik interessiert ihn nicht. Er will nur eines: den Krieg heil überstehen. Nach Dienstschluss legt er heimlich die Gestapo-Uniform ab und flaniert in Zivil über die Pariser Boulevards.

    Als ein anderer betrat ich die Straße. Jedes Privileg hatte ich abgetan, war schutzlos gegen Besatzer und Besetzte. Ich durfte meine Papiere nicht zeigen, meine Sprache nicht sprechen, eine falsche Vokabel verriet mich. Spätestens um halb acht musste ich die Rückverwandlung vollziehen, doch die Uhr, Erbstück mit deutscher Gravur, nahm ich nicht mit.

    Als erstes wünschte ich mir einen anderen Namen, und bevor ich wusste, warum und weswegen, entschied ich mich für Antoine. Monsieur Antoine, Buchhändlergehilfe. Ich nahm den schmalen Band aus der Tasche, die Fabeln von La Fontaine. Das Buch gab mir Sicherheit, es bekräftigte meine Biografie. Monsieur Antoine machte einen Spaziergang. Er war nur ein Dahinschlendernder, ein junger Mann im Kleinkarierten. Seine Schritte klangen nicht anders als die der Menschen rundum. Kein scharfer Tritt, kein Grund für jemanden, auszuweichen. Allmählich atmete ich ruhiger, die Finger umklammerten das Buch nicht mehr so ängstlich. Ich schob den Hut in den Nacken. Ohne rechten Grund lächelte ich in den Spätnachmittag.


    Als sich der frankophile Schöngeist in die Pariser Résistancekämpferin Chantal verliebt, gerät er nicht nur mit seinen Gefühlen zwischen alle Fronten. Was für den Wahlfranzosen Antoine als Romanze begonnen hat, endet für den Desserteur Roth im Gefängnis der deutschen Geheimpolizei. Da er selbst bei deren brutalen Verhören als Übersetzer dabei gewesen ist, weiß er genau, dass ihn dort das Grauen erwartet.

    Leibold hatte noch jeden Häftling zu überraschen gewußt. Geistig trainierte Männer, Kerle mit Riesenpranken und breitem Kreuz – keiner hatte den Verhörraum als der Gleiche verlassen. Alle waren an ihrer besonderen Stelle erwischt worden. Manchmal dauerte es Tage, aber der Hauptsturmführer hatte Geduld und fand das richtige Mittel. Der leise Österreicher mit den traurigen Augen, der die Berge liebte und Pflanzen bei ihrem lateinischen Namen kannte. Seine schweren Verbrennungen würden noch lange nicht verheilt sein, fiel mir ein. Man würde mich also jemandem vorführen, den ich nicht einschätzen konnte. Nichts war vorherzusagen, nur das Ergebnis.

    Wie Spannung und Dramatik erzeugt wird, weiß der 1958 in Graz geborene Drehbuchautor und Regisseur Michael Wallner aus seinem früheren Berufsleben. Nach seiner Schauspielausbildung am "Max Reinhardt-Seminar" war er unter anderem am Wiener Burgtheater und am Berliner Schillertheater engagiert. Doch die Schauspielerei, erklärt er, war irgendwann nicht mehr das Richtige für ihn:

    " Ich habe wahnsinnig Glück gehabt, weil ich ohne besonderes Zutun in große Häuser gerutscht bin. Ich habe mit Gobert und Hollmann gearbeitet; das waren tolle Zeiten, ich habe danach aufgehört, weil ich gemerkt habe – als Schauspieler tritt man als Person an die Öffentlichkeit, als Regisseur tritt man mit der Aufführung an die Öffentlichkeit und als Autor bist du bereits fast anonym. Das ist eine Form von Introvertiertheit, die ich dann später an mir festgestellt habe, dass ich als Person gerne immer weiter zurückgetreten bin. "

    Wie wichtig es ist, auch beim Erzählen die zuträgliche Distanz zu finden, konnte Michael Wallner beim Schreiben von "April in Paris" feststellen:

    " Ich habe es zuerst in der dritten Person geschrieben und bin draufgekommen: Ich bin nicht dicht genug an der Figur dran, habe Situationen geschildert, Milieus, (...) und habe gemerkt, es wird einfach besser, wenn ich näher rangehe und habe dann den Ich-Erzähler gewählt."

    Die Binnenperspektive verleiht dem Romangeschehen nicht nur mehr Überzeugungskraft, sondern auch das straffe Tempo und die spannungsgeladene Handlung eines Kriminalromans.

    Konzentriert ruft sich der Held in der Rückschau das Geschehene ins Gedächtnis. Trocken und schnörkellos ist der Erzählton. Die punktgenauen Dialoge lassen erkennen, dass hier ein erfahrener Drehbuchschreiber und Regisseur zu Werke gegangen ist.

    Dekor und Sentimentalitäten, sagt Michael Wallner, habe er sich nicht zuletzt wegen der biographischen Nähe des Stoffs ganz bewusst nicht erlaubt:

    "Und dann gab es einen ganz privaten Grund: Ich habe einen sehr alten Vater, er war 6er Jahrgang, also der den zweiten Weltkrieg voll erlebt hat, er war unter anderem auch in Frankreich stationiert.

    (...)Ich kannte meinen Vater kaum – weil er so alt war –, als Kleinkind kriegt man das ja nicht so mit und als man reden konnte, war er schon richtig alt. Ich weiß eben nur die Stationen seiner Besatzungszeit, und wo er verletzt wurde und so weiter. Und wahrscheinlich weil ich keinen Kontakt mit ihm habe, habe ich versucht, mich in so eine Situation reinzudenken. "

    "April in Paris" ist trotz der bedrückenden Handlung ein leichtfüßiger, ja beinahe heiterer Roman. Hirschbiegel, ein Kamerad und Freund des Obergefreiten Roth, besitzt ein Grammophon und zwei Schallplatten, die leitmotivisch das forsche Tempo und Timbre des Romans vorgeben.

    Ein Musette-Orchester erklang. Ich schenkte mir Cognac nach und machte es mir auf Hirschbiegels Bett bequem. Maurcie Chevalier sang. Im April hatte er ein Mädchen geliebt, im Sommer verließ er sie wegen einer andern. Das Mädchen war traurig. Chevalier tröstete, sie sei eben das Mädchen für den April. Im nächsten Jahr werde er wiederkommen. Avril prochain – je reviens!

    Der Schwung des Musettewalzers wird zwar immer wieder von brachialen teutonischen Marschrhythmen gestört, dennoch sind Leichtigkeit und Schwere in diesem Roman fein austariert.

    Die Balance zwischen Bewegung und Sesshaftigkeit, erzählt Michael Wallner, sei ihm auch im Alltag enorm wichtig. Er sei für sein Leben gern unterwegs, erzählt er und wirkt dabei tatsächlich wie jemand, dem es rasch zu eng wird. Ein Zufall ist es also nicht, dass er ständig zwischen seiner Wohnung in Berlin und seinem Bauernhof im Südschwarzwald pendelt.

    " Ich reise wahnsinnig gerne. Ich bin dauernd unterwegs. Das hat so ein bisschen was von so einem Kleinkind. Wenn man so ein Baby sieht auf der Schulter einer Mutter, und dann guckt es und irgendwann fängt es zu weinen an. Geschulte Mütter drehen sich dann nur um 25 Grad weiter, und dann sieht das Baby was anderes und ist wieder befriedigt. Da eben viel rausgeht, muss was reinkommen. Das geht bei mir über Reisen."

    Permanente Grenzgänge, so scheint es, haben es Michael Wallner auch in beruflicher Hinsicht angetan. Gerade hat er am Staatstheater Saarbrücken Thomas Manns Novelle "Tod in Venedig" in Szene gesetzt. Dort schätzt er die hervorragenden Arbeitsbedingungen und...:

    "...das ist immer wieder angenehm in Saarbrücken. (...) Die Probebühne ist an der Grenze und zwischen den Proben gehe ich in Frankreich joggen. "