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Hessischer CDU-Fraktionschef mahnt Merkel zu mehr Profil

Die jüngsten CDU-Niederlagen bei Landtagswahlen lassen einen Trend erkennen, der von Berlin ausgehe, glaubt der hessische CDU-Fraktionschef Christean Wagner. Als Parteichefin sei Angela Merkel gefordert, der CDU wieder wirtschaftsliberales und christlich-soziales Profil zu geben.

Christean Wagner im Gespräch Dirk Müller | 14.05.2012
    Dirk Müller: Das NRW-Debakel: Norbert Röttgen, Horst Seehofer und die Union – darüber sprechen wollen wir nun mit Christean Wagner, CDU-Fraktionschef in Hessen. Guten Tag!

    Christean Wagner: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Wagner, hätten Sie wenigstens Norbert Röttgen gewählt?

    Wagner: Ja, also als treuer CDU-Mann wähle ich natürlich meine eigene Partei, alles andere wäre ja absurd, aber die Frage ist natürlich nicht völlig unberechtigt, ob Röttgen alles richtig gemacht hat – um es vorsichtig auszudrücken. Aber es ist auch die Frage natürlich aufgeworfen, ob wir insgesamt als Union uns profilierter künftig aufstellen müssen.

    Müller: Erst mal bei Norbert Röttgen: Was hat er denn falsch gemacht?

    Wagner: Also ich neige von meinem Stil her nicht dazu, dass ich öffentlich nun einen Kollegen bis zum Letzten nach einem harten Wahlkampf kritisiere. Aber bekannt ist ja – und das ist auch nun überhaupt nichts Neues mehr: Es wäre sicherlich besser gewesen, wenn Röttgen klar und deutlich gesagt hätte, dass er nach Nordrhein-Westfalen – unabhängig von dem Ausgang der Wahl – geht. Und im Übrigen hätte ich mir auch im Inhaltlichen etwas mehr Profilschärfe gewünscht.

    Müller: War das feige von ihm, sich nicht dazu durchzuringen, zu sagen: Wenn ich verliere, komme ich nach Düsseldorf?

    Wagner: Also ich beschimpfe meine Kollegen nicht öffentlich. Ich habe eben klar und deutlich gesagt, dass ich es für besser empfunden hätte, wenn er sich klar und deutlich entschieden hätte.

    Müller: Und daraus, Herr Wagner, wollen Sie die Lehren ziehen, also mit Blick auf das Schicksal der Partei, auf die nächsten Kandidaten, die es gibt, ganz gleich wo, in welchem Landtagswahlkampf oder Bundestagswahlkampf, dass die klare Kante zeigen und sagen, wo sie hingehören?

    Wagner: Das sage ich seit einiger Zeit. Wir haben im Laufe der letzten zwei Jahre vier Landesregierungen verloren: Nordrhein-Westfalen damals schon, Hamburg, Baden-Württemberg, jetzt Schleswig-Holstein. Wir haben zum Teil sehr, sehr schlechte Wahlergebnisse bei den Landtagswahlen erzielt. Und das muss uns ja selbstkritisch fragen lassen: Was müssen wir besser machen, damit wir wieder eine höhere Akzeptanz bei der Bevölkerung erzielen?

    Müller: Die CDU macht sich das ja meistens einfach und sagt, das lag an den Personen. Sind Sie nicht mit einverstanden?

    Wagner: Nein, ausdrücklich nicht. Es liegt nicht nur an Personen, und es wäre ja auch ein eigentümlicher Zufall, wenn bei den acht Landtagswahlen, die ich im Blickfeld habe, es jedes Mal an der Spitzenkandidaten oder -kandidaten gelegen hat. Es ist ein Trend, der aus meiner Sicht von Berlin ausgelöst wird, eine der Hauptursachen sehe ich in dem permanenten Koalitionsstreit – das wollen die Bürger nicht. Aber eine zweite Ursache sehe ich auch darin, dass wir wieder klarer als bisher unser Profil zur Geltung bringen müssen, das wirtschaftsliberale Profil à la Ludwig Erhard, das ist aus meiner Sicht vernachlässigt worden, dann sehr betont auch das Christlich-Soziale kommt mir zu kurz, und auch das Wertkonservative.

    Müller: Dann stimmt das ein bisschen, was wir eben im O-Ton von Claudia Roth gehört haben: die Teflon-Kanzlerin, die jetzt nicht wieder in Aktion treten soll. Sie ist Parteichefin und sie ist Kanzlerin, Regierungschefin. Hat sie damit etwas zu tun, mit dem Niedergang der CDU?

    Wagner: Ich mache mir nicht die Sprachregelung von der Frau Roth zu eigen, das habe ich noch nie gemacht, weil Frau Roth und mich Welten trennen. Aber sicherlich ist die Bundesvorsitzende aufgerufen, mit ihrer Partei darüber nachzudenken, wie wir in die nächsten Wahlen so aufgestellt hineingehen können, dass diese große Abfolge von Wahlniederlagen endlich ein Ende nimmt. Ich finde, dass die Kanzlerin auf europäischer Ebene im Interesse auch Deutschlands eine Riesen-Figur macht, eine große Stärke auch hervortritt. Das bekommt ihr innenpolitisch sicherlich, aber das ist offenbar zu wenig. Ich wiederhole es: Der Koalitionsstreit muss endlich ein Ende haben, da ist dann die Kanzlerin mit gefordert, und als Bundesvorsitzende müssen wir uns wieder deutlicher und klarer zu unseren eigenen Säulen, die uns tragen, die ich eben gerade genannt habe, bekennen.

    Müller: Herr Wagner, um da noch mal nachzufragen: Also für Sie ist das eine ganz klare ausgemachte Sache: Die CDU hat zu wenig Profil, und mit dazu beigetragen hat eine Kanzlerin, die kein Profil zeigt?

    Wagner: Ich wiederhole meine eigenen Worte: Wir haben ein hervorragendes Grundsatzprogramm, wir haben eine, das muss man ja auch sagen, eine hervorragende Politik, was die Wirtschaftsdaten angeht. Arbeitslosigkeit Rekordtief, Konjunktur hervorragend, erfolgreich durch die Weltwirtschaftskrise, Finanzkrise gegangen – das hat ja auch alles etwas mit der Kanzlerin zu tun, das darf man dabei nicht vergessen. Aber im Parteipolitischen wünsche ich mir, ich wiederhole es, eine stärkere CDU-Profilierung.

    Müller: Nennen Sie ein Beispiel ganz konkret, in der Wirtschaftspolitik – was muss anders sein? Kein Mindestlohn?

    Wagner: Ja, in der Wirtschaftspolitik, habe ich ja gerade gesagt, da sind wir gerade außergewöhnlich erfolgreich, …

    Müller: In der internationalen, europäischen Wirtschaftspolitik. Blicken wir nach innen. Sind Sie für den Mindestlohn?

    Wagner: … was ja seine Auswirkungen auch nach innen hat. Ich wiederhole es: Die Zahlen, die ich Ihnen gerade nannte, sind ja innenpolitische Zahlen – niedrigste Arbeitslosigkeit, weit unter drei Millionen, seit vielen, vielen Jahren hoher Beschäftigungsstand, das alles brauche ich jetzt nicht noch mal zu wiederholen. Das sind auch innenpolitische Erfolge. Aber ich denke, dass im ordnungspolitischen Bereich es immer wieder auch Irritationen gibt. Natürlich hat das im Zusammenhang mit der Frage des Mindestlohnes auch eine Entwicklung gegeben, die die Union nicht mehr so deutlich erkennbar macht, wie es früher der Fall war. Ich nehme aber andere Beispiele. Ich glaube, das Thema ist für mich beendet, weil es entschieden ist, aber im Prozess hätte ich mir die Frage der Energiewende dahingehend gewünscht, dass sie etwas intensiver auch auf einem Bundesparteitag diskutiert wird und nicht innerhalb von wenigen Wochen herbeigeführt wird.

    Müller: Dann ist ja Norbert Röttgen schon wieder schuld.

    Wagner: Da hat Norbert Röttgen, was die Systematik angeht, eine Position vertreten, die ich nicht vertrete.

    Müller: Und die Kanzlerin hat das innerhalb von fünf Tagen alles mitgetragen.

    Wagner: Das habe ich nicht mit denselben Worten, aber damals gesagt. Sie hat, wie ich fand, eine sehr kluge Entscheidung getroffen, ein Moratorium verkündet. An dieses Moratorium hat sich nur die Bundesregierung selbst nicht gehalten.

    Müller: Kennen Sie eine politische Kraft außer Ihnen, die in der Lage ist, das in den nächsten Jahren und Monaten zu ändern, der CDU mehr Profil geben?

    Wagner: Ja, also jetzt kann man mich mal aus… Ich bin Vorsitzender einer Landtagsfraktion. Aber ich bin der festen Überzeugung – ich kenne viele Bundestagsabgeordnete –, dass aus der Bundestagsfraktion heraus dieser Appell, den ich eben hier formuliert habe, auch aufgegriffen werden muss. Und ich will in dem Zusammenhang durchaus auch den Berliner Kreis ansprechen, dem sich ja eine ganze Anzahl von Bundes- und Landespolitiker zugehörig fühlen. Wir müssen mit unserer Forderung nach mehr Profil unter dieser insgesamt erfolgreichen Kanzlerin, müssen wir klar und deutlich sagen, was geschehen muss.

    Müller: Bei uns heute Mittag live im Deutschlandfunk Christean Wagner, CDU-Fraktionschef in Hessen. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Wagner: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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