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Heute Plus
Sehr dem Zeitgeist entsprechend

Fernsehen schauen junge Leute gar nicht mehr, so ein gängiges Vorurteil. Und wenn sie doch mal vor dem Fernseher sitzen, dann läuft höchstens eine Castingshow - aber sicherlich nicht die Nachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender. Das ZDF will das jetzt ändern mit der Nachrichtensendung "heute +", auch wenn am Anfang nicht alles gelingt.

Bastian Brandau im Gespräch mit Uli Biermann | 19.05.2015
    Uli Biermann: Heute plus wird um 23 Uhr im Internet veröffentlicht und läuft danach erst im ZDF. Bastian Brandau hat sich die Sendung für Corso angeschaut, im Internet oder im Fernsehen?
    Bastian Brandau: Ich war noch unterwegs und habe mich in den Livestream um 23 Uhr eingeschaltet und heute plus auf meinem Handy geschaut. Dann Diskussionen verfolgt.
    Biermann: Was war ihr Eindruck von der Sendung, was ist anders an heute plus?
    Brandau: Ich fand an heute plus alles irgendwie sehr dem Zeitgeist entsprechend. Moderator Daniel Bröckerhoff steht in Jeans und Hemd - ohne Krawatte natürlich - in einem leeren Studio. Also kein Tisch, kein Monitor.
    "Wir bringen den etwas anderen Rückblick auf den Tag. Das machen wir mit Hintergrundstücken, mit Erklärvideos, aber auch mit dem ein oder anderen Fernsehexperiment. Sie dürfen sich überraschen lassen."
    Keine Fernsehexperimente gestern - In den Videos tauchen dann eben nicht Merkel und Co in Berlin auf, sondern da gibt es dann ein Stück aus Nairobi über einen Schlepper. Oder es gibt eben nicht den Bericht vom Klimadialog. Sondern ein Erklärvideo, in dem gezeigt wird, dass der Klimawandel auf Dauer unseren Kaffee- und Weinkonsum bedroht.
    Die Stücke selbst sind flott geschnitten, da wackelt auch mal eine Kameraführung, viele Texteinblendungen. Und sie sind eher locker getextet. Genau wie Moderator Daniel Bröckerhoff den neuen Bahnstreik auch mal mit einem "Und alle so yeah" abnimmt.
    Biermann: Heute plus versteht sich als Sendung im Internet. Wie sieht denn die Umsetzung dort aus?
    Brandau: Das ist schon ein großer Unterschied zu anderen Nachrichtensendungen. Online zuerst: Alle Videos der Sendung werden schon vor der Sendung hochgeladen auf den gängigen Kanälen. Heute plus bespielt natürlich auch die sozialen Netzwerke und will in den Dialog mit den Zuschauern treten - die sollen auch darauf Einfluss haben, welche Themen in die Sendung kommen. Das bleibt abzuwarten. Ich habe mir heute morgen aber mal die Diskussionen bei Facebook angeschaut. Und da gab es viel Feedback, negatives wie positives, also der Einstieg in den Dialog, der scheint bei heute plus zu gelingen.
    Biermann: Wie hat es Ihnen persönlich gefallen?
    Brandau: Ja, dem Daniel Bröckerhoff merkte man gestern doch an, dass er bisher vor allem als Autor gearbeitet hat. Er wirkte auf mich nervös, hat sich öfter versprochen. Nicht so richtig souverän - hat aber ja auch seinen Charme.
    Und dann gibt es handwerkliche Fehler in den Videos. Da kann dann die flotte Machart nicht darüber hinwegtäuschen, dass in dem Erklärvideo über den Klimawandel inhaltlich nicht alles korrekt ist. Anderes Beispiel: Die Geschichte eines Ex-Junkies aus Köln. Der Beitrag wurde aber ganz offensichtlich in Berlin gedreht, die S-Bahn fährt durchs Bild. Warum dieser Kölner in Berlin portraitiert wird, kommt aber überhaupt nicht zur Sprache. Insgesamt fand ich die Einspieler recht seicht, weil man eben versucht, am Einzelfall das Große Ganze zu erklären. Das klappt aber eben nicht immer - und da bleiben Fragen offen.
    Gut gefallen hat mir die Haltung der Reporter. Die sagen: Das Beispiel des Ex-Junkies zeigt, dass wir diskutieren müssen über die Freigabe von harten Drogen. Oder bei dem Beitrag aus Nairobi: 90 Prozent aller Flüchtlinge bleiben in Afrika und kommen gar nicht nach Europa.
    Und trotz aller Experimentierfreude fand ich es doch irgendwie auch bieder. Die Videos hätten auch alle im Heute-Journal laufen können. Und wenn Moderator Bröckerhoff am Ende sagt: "Wir hoffen, wir haben niemanden verstört", dann kann ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen.