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Heute schon an morgen denken

Anthropologie. - Das Planen der eigenen Zukunft galt lange als zutiefst menschliche Eigenschaft. Nun hat ein Forscher bei Tests mit Menschenaffen in Leipzig das Gegenteil bewiesen: Auch Bonobos und Orang-Utans können planvoll an die Zukunft denken. Die Fähigkeit ist vor etwa 14 Millionen Jahren entstanden.

Von Kristin Raabe | 22.05.2006
    Gar nicht so übel das Leben als Menschenaffe: In ihrem Lebensraum haben sie kaum etwas zu befürchten. Sie stehen beinahe am Ende der Nahrungskette und leiden eher selten Hunger. Sorgen um die Zukunft muss sich ein Schimpanse eigentlich nicht machen. Und so ist es auch kein Wunder, dass bislang noch kein Verhaltensforscher bei irgendeiner Menschenaffenart eine Form von vorrausschauendem Handeln beobachtet hat. Aus Sicht der Evolution gibt es im Leben der Menschenaffen schlichtweg keine Notwendigkeit, warum sie über die Fähigkeit zu planvollem Handeln verfügen müssten. Josep Call vom Max-Planck-Institut in Leipzig würde den Menschenaffen aber allein aus diesem Grund die Fähigkeit zu vorrausschauendem Handeln nicht absprechen.

    "Es gibt einige Dinge, die von der Evolution nicht vorgesehen waren, für die kein Selektionsdruck bestand, und trotzdem verfügen wir über diese Fähigkeiten. Wir Menschen können beispielsweise lesen und schreiben. Für das Überleben eine völlig überflüssige Fähigkeit. Nicht alles, was wir können, muss auch notwendigerweise im Laufe der Evolution durch Selektion entstanden sein. Bei vielen Fähigkeiten, die wir besitzen, ist das sicherlich so, aber einige sind einfach ein Teil des Gesamtpakets, das wir mitbekommen haben."

    Der Verhaltensforscher testete im Leipziger Zoo Orang-Utans und Bonobos. Letztere sind von allen Menschenaffen, dem Menschen am ähnlichsten - und die Orangs sind am weitesten vom Menschen entfernt. Alle Affen brachte er zunächst bei, einen Haken durch eine Öffnung zu schieben, um im Nebenraum, eine von der Decke hängende Saftflasche zu angeln.

    "Am nächsten Morgen kommen die Affen wieder in denselben Raum. Aber diesmal können sie den Haken nicht mehr durch die Öffnung schieben, weil eine Plexiglasscheibe sie blockiert. Nach etwa fünf Minuten gehen die Tiere in den Nebenraum, ein Pfleger räumt dann alle Werkzeuge im Testraum weg. Erst nach einer Stunde kommen die Affen wieder in diesen Raum. Nun blockiert keine Scheibe mehr die Öffnung durch die sie nach der Saftflasche angeln können, der Haken und alle anderen Werkzeuge sind allerdings weg. Die Lösung ist eigentlich ganz einfach. Der Affe muss am Morgen das richtige Werkzeug, den Haken, an sich nehmen, ihn in den Nebenraum transportieren, dort aufbewahren und später wieder in den Testraum mitbringen. Nur wenn ein Affe das tut, kann er das Problem lösen."

    Tatsächlich bestanden die Affen in den allermeisten Fällen diesen Test. Und auch als Josep Call, einen ganzen Tag verstreichen ließ, bis er die Tiere wieder in den aufgeräumten Testraum führte, versagten die Tiere nicht. Sie nahmen am Morgen das Werkzeug an sich, bewahrten es sogar über Nacht auf, damit sie es am nächsten Morgen verwenden konnten. Bonobos und Orang-Utans schnitten gleich gut, bei diesem Test ab. Ein Hinweis, dass die Fähigkeit für die Planung der eigenen Zukunft vor etwa 14 Millionen Jahren entstanden ist, als der letzte gemeinsame Vorfahr von Bonobos, Orang-Utans und Menschen lebte.

    "Bis jetzt gab es so gut wie gar keine Hinweise, dass irgendein anderes Tier über diese Fähigkeit verfügt. Niemand hielt es für möglich, dass ein Menschenaffe ein Werkzeug nimmt, es eine Nacht lang aufbewahrt, nur damit er es am nächsten Tag benutzen kann. Die Leute, die dieses Thema schon lange diskutieren, waren der Ansicht, dass die Fähigkeit, die eigene Zukunft zu planen, eine ausschließlich menschliche Eigenschaft ist. Sie glaubten, diese Fähigkeit hätte sich frühestens vor 2,5 bis 1,6 Millionen Jahren entwickelt. Wir haben nun bewiesen, dass es sie schon vor 14 Millionen Jahren gab – das macht einen ziemlichen Unterschied."

    Josep Call glaubt, dass es möglicherweise im Leben der Menschenaffen doch einen Grund gibt, warum die Fähigkeit ihre Zukunft zu planen für ihr Überleben wichtig ist. Die Tiere legen oft große Strecken zurück. Unterwegs müssen sie manchmal übernachten. Wer weiß, vielleicht plant ein Schimpanse vor dem Einschlafen die Route für den nächsten Tag.