Aserbaidschan auf der Biennale

"Ich stehe ja schon beinahe für diese Art Dialog"

Der Eingang zum aserbaidschanischen Pavillon.
Der Eingang zum aserbaidschanischen Pavillon. © Deutschlandradio - Vladimir Balzer
Martin Roth im Gespräch mit Vladimir Balzer · 11.05.2017
Im "Fazit"-Gespräch verteidigt Martin Roth sein Engagement als Kurator des aserbaidschanischen Pavillons auf der Biennale. Wenn man sich näher kommen wolle, gehe das nur über kulturellen Austausch, sagte er. "Wenn mir einer reinreden würde, wäre ich weg."
Vladimir Balzer: Es gibt ja eine alte Tradition hier auf der Biennale, schon von Anfang an, nämlich eben diese Nationenpavillons. Es gibt Nationenpavillons und es gibt eine Ausstellung, die wiederum von der Chefkuratorin gestaltet wird, aber diese Nationenpavillons, da geht es natürlich immer auch um die Themen und um die Künstler und Künstlerinnen, die aus diesen Ländern kommen.
Ein Land fällt dabei besonders auf, weil es nun nicht gerade der Hort der Freiheit ist, sondern eher von einem autokratisch regierenden Präsidenten geführt wird, nämlich Aserbaidschan, was auch schon durchaus diskutiert worden ist auf dieser Biennale, weil ausgerechnet dort ein Motto ist "Unter einer Sonne – die Kunst des Zusammenlebens", gerade dort, wo es ja vielleicht ganz besonders politische Probleme gibt. Ich habe Emin Mammadov gefragt, er ist der Vertreter der Alijew-Stiftung, der präsidentennahen Stiftung, die diesen Auftritt koordiniert und finanziert, und ihn gefragt nach dieser Kritik an dem Auftritt seines Landes und auch, was die Situation der Künstler in seinem Land angeht.

Aserbaidschans Unabhängigkeit ist erst gut 25 Jahre her

Emin Mammadov: You have to understand, Azerbaijan is a young country. It's more than 25 years old country, it is young. And of course we are in a process development and I as an Azerbaijan citizen living in Azerbaijan. I'm very happy and happily living in my country. Yes, I do call it a real understandable democratic country.
Er sagte also, wir sind ein Land der Entwicklung, ein relativ junges Land, und ich als aserbaidschanischer Bürger kann das durchaus bestätigen, dass es dort in Aserbaidschan eine Demokratie gibt, dass wir offen sind für Dialog und dass wir auch Kritik akzeptieren. Und bei mir ist der Kurator dieses aserbaidschanischen Pavillons, nämlich kein geringerer als Martin Roth, ein Mann, der schon die Kunstsammlungen in Dresden geleitet hat, der das Victoria and Albert Museum in London geleitet hat, im Rahmen des Brexit dann aber wieder nach Deutschland zurückgekommen ist, einer der renommiertesten Museumsleute Europas. Herzlich willkommen bei uns, hallo, Herr Roth!
Martin Roth: Vielen Dank für das Lob!

Viel Kritik eingesteckt für Zusammenarbeit mit Iran und China

Balzer: Ja, es ist die Realität, würde ich sagen. Ganz nüchtern. Wir erleben dort in diesem aserbaidschanischen Pavillon, der ist außerhalb der Giardini, der ist in Venedig selbst, also ein Künstlerkollektiv, das Stimmen von 20 verschiedenen Kulturen gesammelt hat, die in Aserbaidschan leben. Es geht um Traditionen, es geht um das Leben mit verschiedenen Religionen, es geht um Identität, aber was man nicht liest, ist Kritik am autoritären System. Fehlt Ihnen das auch?
Martin Roth, von 2011 bis 2016 Direktor des Victoria and Albert Museums in London
Martin Roth, von 2011 bis 2016 Direktor des Victoria and Albert Museums in London© Imago / Images
Roth: Na ja, das ist immer relativ schwierig, ich bearbeite ja solche Themen nicht zum ersten Mal. Ich hab ja viel Kritik eingesteckt in den letzten Jahren für die Zusammenarbeit mit dem Iran, mit China, mit vielen anderen Ländern. Also ich stehe ja schon beinahe für diese Art von Dialog oder auch Nichtdialog. Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich besonders stolz drauf bin, ich bin bloß der Meinung, wenn man zusammenarbeiten möchte, wenn man sich näherkommen möchte, dann geht es nur über einen gewissen kulturellen Austausch.
Und das funktioniert auch nur, indem man sich zuhört und Gehör verschafft woanders, aber man sollte damit nicht zu viel erwarten. Ich glaube nicht, dass die Aseris bereit wären, im eigenen Pavillon das eigene Land zu kritisieren. Das wäre, glaub ich, in der Tat zu viel verlangt. Man kann vielleicht zwischen den Zeilen lesen bei dem ein oder anderen Beitrag, und dann sieht's etwas anders aus. Dennoch würde ich da nicht zu viel erwarten wollen.

"In Aserbaidschan wird viel für Kultur getan"

Balzer: Aber dennoch ist das ja ein von einer präsidentennahen Stiftung finanzierter Pavillon, der nun nicht vom aserbaidschanischen Kulturministerium direkt betreut wird, sondern eben von dieser Stiftung, die damals vom ersten Präsidenten Alijew gegründet worden ist, jetzt von der Ehefrau, also von der First Lady des jetzigen Präsidenten, der ebenfalls Alijew heißt, also der auch aus dieser Familie stammt, geführt wird. Ist das nicht ein bisschen zu viel Verstrickung mit diesem autoritären Staat, auch was die Entstehung dieses Pavillons angeht?
Roth: Unser Punkt ist tatsächlich, dass man sich in einer gewissen Weise aufeinander einlassen muss, wenn man miteinander reden möchte. Es wird viel in Aserbaidschan für Kultur gemacht. Als ich das erste Mal in Baku war – 2006/2007 –, sah es noch etwas anders aus wie jetzt. Wenn Sie jetzt hinkommen, dann sehen Sie Zaha Hadid und Jean Nouvel und vieles andere. Auch da sind halt unterschiedliche Finanziers im Hintergrund.
Balzer: Die ja beide gebaut haben.
Roth: Sie müssen sehen, dass ich nicht jetzt erst angesprochen worden bin, sondern wir arbeiten oder ich arbeite mit Aserbaidschan seit 2006 zusammen. Das hing auch mit meiner Dresdner Zeit zusammen, weil ich versucht habe, in der Folgezeit nach der Wende, nach der Perestroika Kontinuitäten weiter zu erhalten, nicht alles über Bord zu werfen, sondern eben bestehende Kooperationen auszubauen. Und dazu gehörte auch Aserbaidschan, wir hatten eben dann 2008 eine Ausstellung in Dresden. Also, das ist ein Dialog, der seit vielen, vielen Jahren besteht, seit zehn Jahren besteht, und ich bin froh, dass wir das so lange gehalten haben.

"Wenn einer versucht hat, mir reinzureden, war es das Bundesland Sachsen"

Balzer: Aber Sie hatten komplett freie Hand in der Gestaltung dieses Pavillons?
Roth: Ja, das werde ich oft gefragt. Ich glaube, Sie kennen mich so gut, wenn mir einer reinreden würde, wäre ich weg. Auch wenn ich mein Sachsen wirklich besonders liebe, aber wenn einer versucht hat, mir reinzureden, dann war es das Bundesland Sachsen. Sonst wäre ich sofort weg gewesen, wenn mal so was passiert wäre.
Balzer: Ist nicht die Gefahr dennoch groß, dass Aserbaidschan so ein Pavillon eben auch als Feigenblatt bemüht?
Roth: Ja, oder mich ausnützt …
Balzer: Und Sie, auch Ihren Namen, Ihren renommierten Namen …
Roth: … oder "...den Roth gekauft" [schwer verständliche Passage], wie in der "Süddeutschen Zeitung" stand. Wissen Sie, ich komme wirklich von den Inhalten her, und mir geht's um die Menschen im Zusammenleben. Ich glaube, niemand kann mir vorwerfen, ich wäre unpolitisch, aber es gibt Momente, wo Sie einfach, wenn Sie mit Menschen zusammenarbeiten wollen, zuerst auf den Menschen und auf die Künstler zugehen müssen. Anders wird es nie funktionieren, und das ist halt wieder so ein Beispiel. Wenn Sie in den Dialog kommen wollen, können Sie nicht sagen, ich wasch mir die Finger und ich rede nicht da mit. Ich meine, vor allen Dingen wir Deutschen, die im letzten Jahrhundert gleich zwei Diktaturen erleben durften, sollten vorsichtig sein bei dem, wie man miteinander umgeht.

Kunstkritiker: Die Worte zerfallen in Buchstaben

Balzer: Rudolf Schmitz, Sie sind ja seit über 40 Jahren Kunstkritiker, wenn nicht sogar noch länger. Diese Zusammenarbeit mit autoritären Staaten und gleichzeitig aber auch die Freiheit der Kunst zu wahren, das erleben Sie ja vielleicht auch nicht zum ersten Mal, mit dem Sie konfrontiert sind. Sie haben sich den aserbaidschanischen Pavillon angeschaut – haben Sie das Gefühl, dass es dennoch ein komplett freier, sozusagen nach den richtigen Maßstäben kuratierter Pavillon ist, der in dieser Biennale komplett mitgehen kann, oder ist das ein besonderer Fall?
Rudolf Schmitz: Sagen wir so: Dieses Geschichtenerzählen über Videoporträts, es sind ja 20 Videoporträts – alte Leute, junge Leute, mittelalte Leute, verschiedene Religionen, verschiedene Ethnien, und die sprechen über ihr Leben. Und diese Töne hört man allerdings nicht, weil das ein Ensemble von 20 Bildern und Filmen gleichzeitig ist, sondern das, was sie sagen, wird sozusagen transkribiert als Text unterhalb des Videobildes …
Balzer: Und verschwimmt auch ineinander.
Schmitz: Da haben Sie für mich schon gerade einen etwas kritischen Punkt berührt. Ich finde das wunderbar, man hört gerne Leuten zu normalerweise, die Geschichten aus ihrem Leben erzählen, aber dieses Verschwimmen der Aussage sozusagen, die Worte zerfallen in Buchstaben und bilden dann nur noch ein Muster …
Roth: Sie können einen Hörer nehmen und können es mithören. Was ich aber trotzdem – deshalb gebe ich Ihnen in gewisser Weise recht, wo ich sehr dafür gekämpft habe, aber es wäre zu teuer geworden: Ich wollte die Originalsprache dabei haben, weil ich es viel interessanter gefunden hätte.
Schmitz: Aseri.
Roth: Nee, nee, die verschiedenen Sprachen. Es sind ja im Prinzip über 20 Sprachen, das macht ja das, und nicht Dialekte, sondern Sprachen.

Permanente Diskussion über Religionsfreiheit

Schmitz: Was mich ästhetisch daran irritiert hat, wenn man die Aussage ernst nimmt, dann kann man sie nicht einen halben Meter später zerfließen lassen. Da habe ich mir die Frage gestellt, wie ernst ist es eigentlich gemeint, dass man hier Individuen verschiedener Ethnien, verschiedener Alter, verschiedener Religionen vorstellen will. Ist das wirklich ernst gemeint? Ich hab's nicht ernst genommen.
Balzer: Da sind ja auch wichtige Stichwörter dabei, Krieg, Mitbestimmung, Nationalität, Religion, all diese Stichwörter, die ja wichtig sind auch in der Kritik an diesem autoritären …
Roth: Religionsfreiheit war so ein Thema, von dem ich wirklich mehr wissen wollte oder mehr hören wollte. Da gab's halt tatsächlich permanent Diskussionen darüber.
Balzer: Waren Sie auch selbst ein bisschen enttäuscht, Martin Roth, über das, was …
Roth: Ich bin nicht nur enttäuscht, sondern wir haben uns vorher da ein paar Mal... nicht gestritten, Streit ist das falsche Wort, aber es gab viele Skype-Gespräche dazu, weil ich einfach das in der Originalsprache noch hören wollte und dann auch nicht alles immer nur auf Englisch. Also da gibt es sicherlich einiges, wo man noch was machen könnte … Es müsste deutlicher sein.
Schmitz: Diese Dominanz des amerikanischen Kunstmarktes, die hier immer wieder über die englische Sprache symbolisiert und zum Ausdruck gebracht wird, das, finde ich, müsste man auch vermeiden in so einem Zusammenhang.

Eine Gesprächsplattform bereiten

Balzer: Martin Roth, weil Sie vorhin gesagt haben, dass Sie offenbar schon fast zum Experten geworden sind in der Zusammenarbeit mit autoritären Regimen in weitestem Sinne – Sie haben mit China zusammengearbeitet, mit Aserbaidschan, was kommt als Nächstes?
Roth: Wer, bitte, ruft mich jetzt an? Ich trau mich's ja kaum zu sagen, weil ich da immer so als hart gelte, aber da spielen schon emotionale Dinge eine Riesenrolle. Gucken Sie mal, ich ging 1990 in diesen Teil unserer deutschen Heimat, das eben nicht mehr als deutsche Heimat empfunden worden ist, wenn man aus dem Westen kam. Wenn man aus dem Osten kam, war es genau andersrum. Ich hab so viele Jahre meines Lebens zugebracht, zwischen Deutschland West und Deutschland Ost zu vermitteln, und das steckt nach wie vor drin, dieses Gefühl, wir müssen die Plattform bereiten, damit Leute miteinander ins Gespräch kommen, dass sie Chancen haben, auch das Land zu verlassen.
Balzer: Aber die Kunst muss frei bleiben. Das ist, glaube ich, der Sinn des...
Roth: Also, ich hab's auch oft genug gesagt, auch in Interviews in Aserbaidschan – ob es da wirklich immer abgedruckt ist, weiß ich nicht –, aber der Armenienkonflikt, was man sich zumindest wünschen kann, ist, dass Künstler mehr zusammenarbeiten, also auf künstlerischer Ebene, mit Armenien, die ich auch weiterhin verfolgen werde.
Schmitz: Aber das ist natürlich eine alte Diskussion hier auf der Biennale Venedig vor allen Dingen mit den nationalen Pavillons. Stehen die Künstler tatsächlich für die nationale Mentalität oder sind sie genau die Gegenwelt. Das ist ja die leise Hoffnung, die wir alle vielleicht haben, dass die Künstler eine Gegenwelt artikulieren.

Wie brauchen mehr politische Statements

Roth: Und ich will jetzt nicht alles rumdrehen und sagen, ätsch, guck doch mal in die andere Richtung, aber ich meine, ich kenn gerade nicht wenige Leute, die in die USA einreisen wollen und zuerst zu einem Interview eingeladen werden in die amerikanische Botschaft, um getestet zu werden, ob sie in die USA einreisen dürfen, obwohl sie schon viele Monate ihres Lebens dort verbracht haben. Also momentan ist ziemlich viel aus den Fugen geraten, und manches muss man ein bisschen wieder neu sortieren. Und ich hätte mir gewünscht hier bei diesem Thema, dass wir deutlich mehr politische Statements haben.
Balzer: Generell auf dieser Biennale?
Roth: Ja, ja, die fehlen so. In dieser Zeit kann man nicht … Es geht jetzt nicht immer nur um Flüchtlingstaschen und sonstige Slogans, mit denen wir durch die Welt laufen, sondern es geht wirklich um harte Statements und auch Provokation.
Balzer: Martin Roth, einer der renommiertesten Museumsmänner und -kuratoren Europas, der lange in Dresden über die staatlichen Kunstsammlungen war, dann am Victoria and Albert Museum in London war, jetzt zurück in Deutschland ist und den Pavillon von Aserbaidschan, den durchaus umstrittenen Pavillon von Aserbaidschan, also dieses autoritären Landes kuratiert hat. Hier stand er bei uns neben dem deutschen Pavillon auf dieser Biennale in Venedig. Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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