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"Heute würde sich Camus für Rap interessieren"

Der französische Rapper Abd Al Malik wuchs im berüchtigten Straßburger Vorort Neuhof auf. Seine Banlieue-Erfahrungen hat er im Musiktheaterprogramm "Kunst und Revolte" verarbeitet. Es ist eine Hommage an den Denker der Revolte: Albert Camus.

Von Kathrin Hondl | 07.11.2013
    "Warum Camus? Weil sich Camus in meinem jungen Leben ziemlich schnell nicht nur als Inspiration, sondern auch als eine Art großer Bruder offenbart hat. So mit 11, 12 Jahren fing ich an, Camus zu lesen. Ganz besonders hat mich "Licht und Schatten" berührt. Es hat mich umgeworfen! Dieser Autor sprach von mir, von uns! Mir kam es vor, als wäre Camus ein Großer, der vor einem Wohnblock in meinem Viertel rumhängt."

    "Licht und Schatten" war Albert Camus‘ erstes Buch, erschienen 1937 in Algier. Da war Camus 24. In dem Buch beschreibt und reflektiert er Eindrücke aus Belcourt, dem Armenviertel von Algier, wo er aufwuchs: Eine "Welt der Armut" aber auch "des Lichts", die für Camus prägend war und mit der sich auch der Rapper Abd Al Malik identifiziert: Als Kind kongolesischer Eltern lebte er einige Zeit in Brazzaville. Die entscheidenden Kindheits- und Jugendjahre aber verbrachte er im Straßburger Stadtteil Neuhof. Ein sozialer "Brennpunkt" im wahrsten Wortsinn, berüchtigt wie viele Vorstädte in Frankreich für eine hohe Kriminalitätsrate, extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit und regelmäßige Gewaltausbrüche von Jugendlichen, die Autos oder Schulen anzünden. "Ich revoltiere, also sind wir" schrieb Camus 1951 in dem Essay "Der Mensch in der Revolte". Ein Satz, der für Abd Al Malik zur Maxime geworden ist.

    "Es geht darum, nicht alles einfach so zu akzeptieren, wie es uns präsentiert wird. Nur weil etwas eine Tatsache ist, muss man es noch lange nicht akzeptieren. Darum geht es: Man muss gegen alle Formen von Ungerechtigkeit kämpfen. Neinsagen, wenn man das Gefühl hat, dass etwas ungerecht ist. Aber Camus sagt nicht nur Nein, sondern auch 'also sind WIR'. Revolte funktioniert nur in Gemeinschaft."

    Die Revolte im Sinn von Albert Camus ist eine ideale, eine solidarische Revolte, ein Protest im Namen der Menschlichkeit, der auf ideologische Rechtfertigungen verzichtet. Und: Es ist eine gewaltfreie Revolte. Im Gegensatz zu den Gewaltausbrüchen der Jugendlichen in den französischen Vorstädten.

    "Das ist weniger eine Revolte als ein Hilferuf. Wie jemand, der einen Selbstmordversuch macht; der sich selbst wehtut und sich selbst verstümmelt, um den anderen zu sagen: Ich existiere, ich bin da. Wenn es Aufruhr gibt und wir Autos verbrennen, dann sind das die Autos in unserem Viertel. Oder wir zünden die Schule an, in die vielleicht unser kleiner Bruder geht. Oder den Kindergarten. In Straßburg-Neuhof, wo ich herkomme, hatten wir jedes Jahr an Silvester den Frankreichrekord an abgefackelten Autos. Alles nur, um zu sagen: Die Menschheit ist nicht da zu Ende, wo die Banlieues anfangen."

    Angesichts dieser verzweifelten Zerstörungswut wird oft das Schweigen der französischen Intellektuellen beklagt, die sonst schnell zur Stelle sind, wenn es darum geht, Missstände in aller Welt anzuprangern. Was die Medienintellektuellen von heute vermissen lassen, hat der Banlieue-Rapper Abd Al Malik bei Albert Camus gefunden: Klare Worte und Handlungsoptionen in einer scheinbar ausweglosen Situation. Und ein Vorbild für ein Leben als Künstler.

    "Wenn Camus heute hier wäre, würde er sich vielleicht für Rap und Slam interessieren. Weil es darum geht, mit den Menschen in seiner Zeit verbunden zu sein. Das ist die Rapmusik. Und sie ist Ausdruck einer Revolte. Wir akzeptieren nicht, was die Gesellschaft uns bietet, weil wir das zutiefst ungerecht finden."