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Hexentanz und Hinne Hoch

Auch im Südwesten unseres Landes wird der Fasching eröffnet. Ein Blick nach Sulz am Neckar und dem Städtchen Buchen im Odenwald.

Von Isabell Ullrich | 19.02.2012
    Hört, der Ausscheller kommt! Wenn die rund 10.000 Einwohner des Städtchens Buchen im Odenwald dieses heißersehnte Geräusch vernehmen, gibt es kein Halten mehr. Sie schmücken ihre Altstadt mit alten Wäschestücken, die an Leinen hoch über den Straßen baumeln.

    "Buche ist ja faschingsverrückt. Mir gefällt das auch richtig gut, wenn das Haus mit der Wäsche gespannt ist, wenn die Leute lustig sind und richtig schön feiern könne, das gefällt einem Zugezogenen sozusagen auch."

    Damit auch alle Neu-Buchener vom Beginn der närrischen Zeit erfahren, zieht am sogenannten Schmutzigen Donnerstag der Ausscheller durch die Stadt. Dieser frohe Bote ist Ludwig Lemp, ein gebürtiger Buchener, der die Faschenacht schon mit der Muttermilch aufgesogen hat.
    Seine erste Station bei der Faschingsverkündung ist der Kindergarten.

    Kinder singen: "Kerl wach uff, vergess die Not, die Bloch. Kurz ist's Leben darum hinne hoch!"

    Schon die Allerkleinsten kennen den lokalen Narrenmarsch und so schallt er dem Ausscheller schon als Begrüßung aus einem Halbkreis von Prinzesschen, Mini-Clowns und Cowboys entgegen. Respektvoll lauschen sie dann, wie Ludwig Lemp seines Amtes waltet:

    "Bekanntmachung. Der große Rat tut allen Närrinnen und Narren der Bleckerstadt und Umgebung kund, um zu wissen, dass jetzo die Narretei in die Mauern Buchens ihren Einzug hält. Der hohe Elferrat. Hinne hoch! Hinne hoch! Hinne hoch!"

    Im Kindergarten weiß man es nun schon: Der Fasching ist da! Aber nun heißt es: schnell weiter. Nach überregionaler Sitte wird noch eine Tüte Naschwerk an die Kinder verteilt, dann springt der Ausscheller auf seine Kutsche, um es auch dem restlichen Städtchen zu verkünden.
    Hoch erhobenen Hauptes steht er in der Kutsche, grüßt allenthalben einen Fußgänger mit dem Schlachtruf "Hinne hoch" und springt bei jeder Gelegenheit ab, um die Faschnacht auszurufen. Um dem Nachdruck zu verleihen, sitzt in der offenen Kutsche auch ein Vertreter aus dem Elferrat und schwingt immerzu die große goldene Glocke, die dem Aussscheller seinen Namen gibt. Auf den Kutschbock sitzt der Zeremonienmeister und die Gesandschaft wird komplettiert von einem Huddelbätz, der Traditionsfigur der Stadt. Genauer gesagt: Heute ist es eine Huddelbätzin.

    "Der Huddelbätz, das ist halt unser Kostüm, damit wir die Geister austreiben können. Man sieht es ja hier, wir haben so alte Fleckchen dran, aus alten Betttüchern, alter Bettwäsche. Also, jeder macht den normal selber. Da nimmt man dann eine alte Latzhose und näht die Fleckchen drauf. Also ich denke, das sind bestimmt so an die 1000 Fleckchen. 2000 Fleckchen!"

    Die ursprüngliche Herkunft ihrer Tracht kann mir Dominique Gentescher nicht erklären. Verwunderlich ist das aber nicht, ist doch die Buchener Faschenacht fast 550 Jahre älter als sie.

    "Das ist ein ganz tolles Gemeinschaftserlebnis für Jung und Alt. Das heißt, man kann mit seinen Kindern bis mit eigentlich seinen Großeltern Fasching feiern. Und das ist dann doch eine Sache, die gibt es so in anderer Form nicht."

    Ganz klar zur Großelterngeneration gehört unsere nächste Anlaufstelle: Kurt Hemberger ist der Urvater der Huddelbätze und Ehrenvorstand der Faschingsgesellschaft. Der müsste es doch wissen?

    " -"Woher kommt der Huddelbätz?"
    - "Das wisse mer net! Der Huddelbätz war 1836 schon.""

    Stattdessen erzählt er mir, wie er den Huddelbätzen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine geholfen hat:

    "Aus dem kleinen Heer, das von der Zeit übrig geblieben war, das waren sieben Huddelbätzen. Und die habe ich dann aufgebaut und hab sie unterstützt und hab Auftritte gehabt in den Städten in Limburg, Frankfurt in Zürich und in Nancy und Nantes und da waren wir bekannt geworden und durch den Bekanntheitsgrade haben sich dann immer mehr Huddelbätze dazugestellt und da haben wir heute fast 2000 Huddelbätze und die gehen dann am Sonntag zur Kirche und das ist dann der Beginn der Fastnacht."

    Ist es nicht verwunderlich, wenn die Buchener Narren mit der geistigen Obrigkeit Hand in Hand gehen und einen Gottesdienst besuchen? Nein, meint da Kurt Hembergers Frau Ida:

    "Das ist halt, weil da die Fastenzeit beginnt und da haben sich die Leute noch mal richtig ausgetobt und auch gut gegessen, weil sie ja nachher fasten mussten. Und so ist, glaube ich, die Fastnacht auch entstanden."

    Diese Entstehungssage der Fastnacht, die das Fasten ja schon im Namen trägt, ist die wahrscheinlichste, mussten doch früher vor der Fastenzeit die verderblichen Lebensmittel aufgebraucht werden.

    Dass es sich dabei unmöglich um die Austreibung des Winters handeln kann, spürt jeder Narr beim Schweinberger Faschingsumzug schon an den tiefen Temperaturen. Aber die Sonne scheint warm auf den Hügel mit der Turmruine an dessen Fuß sich das Örtchen schmiegt. Deshalb sind trotzdem viele Narren gekommen, vielleicht mehr als die 700-Seelen-Gemeinde Einwohner hat. Und alle tragen sie mit stolz geschwellter Brust die Tracht ihrer Heimatgemeinde zur Schau:

    "Wir sind die Rosenberger Milchsäule. Der Grund ist ganz einfach. Damals hat man das Vieh weggenommen, den ganzen Bauern im Krieg. Und weil alles außer dem Milchvieh abgegeben werden musste, haben wir gesagt, das sind alles Milchschweine, die müssen da bleiben. Und seitdem gehen wir an Fasenacht als Milchsäule."

    Auf den Dörfern, wo die Faschingstraditionen noch nicht ganz so alt sind, kennt man noch so manchen Ursprung einer Tracht, der oft auf derart alten Bauersagen beruht. Die Milchsäue haben ein dickes, rosa Plüschkostüm an, das sie vor der Kälte schützt und so hüpfen sie vergnügt den Hügel hinunter in das Dorf, das passender Weise auch noch Schweinberg heißt.

    "Das hat viel mit Tradition zu tun und lustig sein. Aber besonders so Traditionen. Besonders gefallen mir dann Umzüge mit Personengruppen. Das find' ich schön, wenn die Leute lustig sind und die anderen mit einbeziehen."
    Besonders traditionell wirkt Fasching 200 Kilometer weiter südlich im schwäbischen Sulz, wo kunstvolle Holzmasken und teure Gewänder den Straßenkarneval ausmachen. Dort ist Karl Albert Ziegler das Urgestein der Fasnet, wie man dort zu sagen pflegt. 26 Jahre lang hat er die Narrenzunft geprägt und dabei unter anderem den Narrenbrunnen der Stadt initiiert und mit aufgebaut. Dieser zeigt zwei Traditionsfiguren, die an die Symbole des griechischen Theaters erinnern.

    "Das ist ja dem Gesicht nach zu urteilen: Der Optimist, freudig strahlend streckt er die rechte Hand in Richtung Osten, da wo die Sonne aufgeht. Und das ist der Pessimist, der betrübt selbst bei Sonnenschein noch den Regenschirm offen hat. Und sein Gesichtsausdruck sagt aus, was er eigentlich in seinem Stübchen gerade denkt. Und da sagt der Optimist zu ihm: Wenn Sorge drückt, wenn Not und Pein dich zwingt, ein Pessimist zu sein. Schau auf, tu es dem Optimisten gleich. Ein fröhlich hoffnungsvoller Blick den Weg zum Licht, zur Sonne weist."

    Diesen Sinnspruch gab Albert Ziegler aus seiner Feder dem Brunnen zum Motto, um das auszudrücken, was Fasnet seiner Generation, die das Brauchtum nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut hat, bedeutet:

    "Nach dem Krieg war das etwas Besonderes. Und diese beiden Figuren verkörpern diese Zeit mit ihrem Ausdruck des Traurigen, was zehn Jahre auf uns eingestürzt ist. Und auch der anderen Seite das Freudige, das Strahlende, was diese Figur wiederum ausdrückt."

    Den jungen Männern, die in derselben Nacht die Sulzer Fasnet mit dem Hexentanz eröffnen, liegt die Trauer des Pessimisten fern. Ebenso kunstvoll wie seine Maske sind zwar auch die der Hexen, aber darunter steckt heute kein weinendes Auge, sondern 50-mal jugendlicher Übermut und Spaß am Schabernack.

    "Die Welt ist so ernst und Fastnacht ist einfach viel lockerer. Man kann die ganzen Sachen einfach machen, die man sich das ganze Jahr nicht traut, weil einem alle dumm ankucken. An Fastnacht kann man's machen."

    Dazu gehört auch, dass die Sulzer Hexen ausschließlich von Männern verkörpert werden – ein ungeschriebenes Gesetz der Narrenzunft. Das Narrenoberhaupt ist allerdings eine Frau. Ursula Leinert eröffnet heute als Zunftmeisterin zwar den Hexentanz, erinnert sich aber noch an andere Zeiten.

    "Die ersten zwei, drei Mal Sulzer Fasnet hatte ich immer unheimlich Angst vor den Sulzer Hexen. Das war schon Horror pur. Also die haben schon umgetrieben."

    Aber es hilft nichts, um die Fasnet zu eröffnen müssen die Hexen aus ihrem vier Jahreszeiten andauernden Winterschlaf geweckt werden. Dazu müssen ein paar der jungen Männer mit ihren Hexenmasken zuerst in die Kanalisation verschwinden:

    "Dolenhexen verkriechen sich in der Dole zwei Stunden, bevor es losgeht. Eigentlich ist das ja ein Frischwasserschacht. Man kann sich vorstellen, das sind zwei auf zwei Meter. Und da muss man dann gebückt drin sitzen."

    Keine Spur mehr von Dohlenhexe Dennis Schneider. Dafür säumen immer mehr Zuschauer den Marktplatz.

    Zunftmeisterin Ursula Leinert lässt den Bürgermeister abführen und verkündet die fünftägige Herrschaft der Narren.

    "Also fort jetzt, ab in den Kerker. Narri Narro, Narri Narro, Narri Narro! Hexe Bolle, Hexe Bolle, Hexe Bolle Saure Brüh!"

    Dann geht das Licht aus und das Geläut der Kirchenglocken kündigt schaurig die Ankunft der Hexen an.

    Die ersten schwarz-roten Hexen fliegen auf ihrem Besen an einem Drahtseil über den Marktplatz und der Hexenvater ruft die Dohlenhexen aus ihrem feuchten Versteck.
    Aus Nebelschwaden steigen die Hexen vom Berg und aus dem Schacht hin zum Feuer in der Marktplatzmitte, bis alle versammelt sind und die Stadtkapelle aufspielt.
    Das Feuer, um das sie nun ihren altehrwürdigen Faschingsreigen beginnen, wechselt dank chemischer Zusätze seine Farbe von feuerrot nach grün und wirft die Silhouetten der Tanzenden an die Gebäude, die den achteckigen Platz umgeben.

    Doch spätestens, als sich auch die übrigen Narren auf dem Marktplatz versammeln, der Optimist, der Pessimist und die sogenannten Weißnarren, zeigen die Hexen, dass sie so übel gar nicht sind und teilen ihre Hexenbrühe mit den Zuschauern. Und schon findet man sich wieder mitten drin in Fasnet, Fasching oder Faschenacht.