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"Hier hätte keine Bewährungsstrafe heraus kommen müssen"

Der rechtspolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Wolfgang Neskovic, hat das Urteil im Fall Klaus Zumwinkel als zu milde kritisiert. Dass der ehemalige Post-Chef trotz der Höhe des Schadens nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden sei, sei ein verheerendes Signal für die Öffentlichkeit. Steuerhinterziehung bedeute Diebstahl zulasten der Allgemeinheit, betonte der frühere Richter am Bundesgerichtshof.

Wolfgang Neskovic im Gespräch mit Stefan Heinlein | 27.01.2009
    Stefan Heinlein: Der ehemalige Manager des Jahres muss nicht hinter Gitter. Zwei Jahre auf Bewährung und eine Million Euro Geldstrafe, so das Urteil gegen Klaus Zumwinkel. Die Kalkulation des ehemaligen Postchefs und seiner Anwälte ging auf. Das umfassende Geständnis, seine Kooperation mit den Behörden und seine Bereitschaft, die Steuerschuld zu sühnen, wirkten strafmildernd. Auch die Ermittlungspannen im Vorfeld verhinderten wohl ein härteres Urteil. Viele vermuten deshalb einen Deal, eine Absprache der Prozessbeteiligten. Der Fall Zumwinkel sorgt auch nach dem Urteil für reichlich Diskussionsstoff, und dazu begrüße ich jetzt den rechtspolitischen Sprecher der Linksfraktion, Wolfgang Neskovic, ehemals Richter am Bundesgerichtshof. Guten Morgen, Herr Neskovic.

    Wolfgang Neskovic: Schönen guten Morgen!

    Heinlein: Ist Klaus Zumwinkel noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen?

    Neskovic: Ja, das kann man sagen. Ich glaube, dieses Urteil ist für die Öffentlichkeit ein verheerendes Signal. Wer die Reaktionen in der Öffentlichkeit, in der Presse, aber auch auf der Straße erlebt weiß: hier wird das Vertrauen in den Rechtsstaat erheblich beschädigt. Dieses Verfahren und das Urteil gibt erneut denjenigen Nahrung, die von einer Zwei-Klassen-Justiz in Deutschland reden. Besser Verdienende sind in der Lage, Inhalt und Umfang des Verfahrens mit hervorragend ausgebildeten und teuer bezahlten Anwälten zu bestimmen. Die Justiz befindet sich in einer Notlage, weil ihr das notwendige Personal fehlt. Im Gerichtssaal herrscht in solchen Prozessen keine Waffengleichheit und dann kommen solche unbefriedigenden Ergebnisse heraus.

    Heinlein: Sie hätten also Klaus Zumwinkel hinter Gitter geschickt?

    Neskovic: Man muss sehen, dass es in der Tat für Herrn Zumwinkel durchaus Momente gab, die bei der Strafzumessung zu seinen Gunsten sprechen, aber hier ist der enorme Schaden. Es ging um Straftaten, die über einen sehr langen Zeitraum sich hingezogen haben, eigentlich über 20 Jahre. Davon ist ein ganz großer Teil verjährt, aber auch juristisch ist es möglich, nicht verjährte Straftaten in die Strafzumessung einzubeziehen. Ich will aus der Ferne als ehemaliger Richter nicht sagen, wie ich den Fall beurteilt hätte. Ich hätte das ganze Verfahren nicht so angefangen, wie es die Kollegen in Bochum getan haben.

    Heinlein: Wie hätten Sie es denn angefangen?

    Neskovic: Ich hätte keine Vorgespräche getroffen. Sicherlich ist es notwendig, in solchen Verfahren den Verfahrensablauf mit den Anwälten zu erörtern, um zu wissen, worauf man sich einstellen muss, aber in einer solchen Situation war es aus meiner Sicht ohne Weiteres für die Richter absehbar, dass ein Mann wie Herr Zumwinkel, der über ein enormes juristisches Verteidigungspotenzial verfügt, ein Geständnis nicht ohne Gegenleistung anbietet. Bei mir wäre ein Gespräch auch stillschweigend über diesen Bereich nicht zu Stande gekommen. Ich kann nicht davon ausgehen, dass hier ein Deal im unmittelbaren Sinne, sprich eine ausdrückliche Absprache stattgefunden hat, aber es gibt auch einen stillschweigenden Deal. Alle Umstände in diesem Verfahren deuten zumindest auf einen solchen stillschweigenden Deal hin. Zumwinkel hat genau zwei Jahre bekommen. Das ist also das äußerste mögliche, was das Gesetz zulässt. Man hat unmittelbar nach dem Urteil einen Rechtsmittelverzicht erklärt. Die Verhandlung war praktisch in kürzest möglicher Zeit über die Bühne gebracht worden.

    Heinlein: Sie glauben also, Herr Neskovic, dass Klaus Zumwinkel seine Rolle als reuiger Sünder nur gespielt hat? Alles ist fein säuberlich kalkuliert aus Ihrer Sicht?

    Neskovic: Das würde ich so nicht sagen. Ich kann es mir aus der Ferne nicht anmaßen, ein solches Urteil abzugeben, aber hier spricht eine kluge Verteidigungsstrategie. Man muss das gesamte System sehen, in dem sich dieses Verfahren bewegt. Schon seit vielen, vielen Jahren befindet sich die Justiz in der Situation, dass sie einfach solche großen aufwendigen, juristisch komplizierten Verfahren nicht mit dem notwendigen Personal gestalten kann, und deswegen ist es so, dass eben viele Kolleginnen und Kollegen sich auf diese Deals einlassen. Deals stellen einen unwürdigen Handel mit der Gerechtigkeit dar. Ich betone es immer wieder: das Strafgesetzbuch ist kein Handelsgesetzbuch. Ich habe in der Zeit, in der ich Richter gewesen bin, kein einziges Mal gedealt und meine Kollegen haben auch - und das ist bezeichnend - daraus die Konsequenzen gezogen. In der Zeit, in der ich Vorsitzender einer Strafkammer war, habe ich nie eine Wirtschaftsstrafkammer geführt, weil meine Kollegen ganz genau wussten, bei mir würde niemals gedealt werden.

    Heinlein: Dennoch: Klaus Zumwinkel - Sie haben es selber gesagt - war im vollen Umfang geständig. Er hat mit der Staatsanwaltschaft kooperiert und seine Steuerschuld ohne Murren beglichen. Das sind doch Gründe auch für einen Manager, die zwingend strafmildernd mit einer Bewährungsstrafe zu bewerten sind.

    Neskovic: Nein! Das sind Gründe, die zwingend zu berücksichtigen sind bei der Strafzumessung. Sie sind auch strafmildernd, aber das heißt nicht zwingend, dass deswegen eine Bewährungsstrafe heraus kommen muss. Man muss ja den enormen Schaden sehen. Ich kann mich erinnern: Noch Mitte der 90er Jahre gab es bei uns am Landgericht so eine grobe Regel, ein Jahr für 100.000 D-Mark Schaden. Hier geht es um knapp eine Million Schaden, der entstanden ist. Diese Regeln, die noch Mitte der 90er Jahre bestanden, haben sich aufgrund dieser Notsituation der Justiz dermaßen explodierend entwickelt, dass heute ja sogar Leute - das ist jetzt in München geschehen im Bereich der Siemens-Korruptionsverfahren -, dass ein Manager bei einer Untreuehandlung, die einen Schaden von 54 Millionen Euro hervorgerufen hat, noch zwei Jahre mit Bewährung bekommen hat. Das ist für mich unfassbar und das hat mit Gerechtigkeit nichts mehr zu tun.

    Heinlein: Wenn ich richtig gerechnet hätte, hätten Sie Klaus Zumwinkel zehn Jahre hinter Gitter geschickt?

    Neskovic: Nein, das geht so nicht. Das ist auch nicht richtig, dass man dann die Höhe des Schadens proportional hochrechnen muss. Es gibt eine Grundregel und dann stuft man das nachher ab. Aber hier eine Bewährungsstrafe zu geben aufgrund der Gesamtumstände ist etwas, so weit man das aus der Ferne beurteilen kann, was ich nicht für gerecht halte.

    Heinlein: Muss man nicht auch einen Manager den größten Fehler seines Lebens verzeihen?

    Neskovic: Ja, selbstverständlich! Aber wenn ich jetzt Herrn Leyendecker - und das entnehme ich auch Ihren Fragen - so sehr viel an Wohlwollen entgegenbringe ... Ich würde mir wünschen, dass in den deutschen Gerichtssälen, wenn es um andere Menschen geht - und da muss man mal in die Lebenswirklichkeit der deutschen Gerichte einsteigen -, so viel Nachsicht und so viel Milde entgegengebracht wird, wie das hier der Fall ist. Das ist alles juristisch zutreffend, diese Dinge zu berücksichtigen. Entscheidend ist aber: kommt dabei eine Bewährungsstrafe heraus oder nicht. Und da bin ich der Meinung, hier hätte keine Bewährungsstrafe heraus kommen müssen.

    Heinlein: Um es einfach zu sagen aus Ihrer Sicht: Prominenz schützt vor Strafe?

    Neskovic: Man kann das so sagen. Man muss sich ja auch hier vor Augen führen, worum es in diesem Strafverfahren geht. Hier ist es so, dass Steuerhinterziehung betrieben wurde. Steuerhinterziehung bedeutet, dass hier Diebstahl zu Lasten der Allgemeinheit stattfindet. Deswegen haben wir weniger Geld für Schulen, weniger Geld für den Straßenbau, weniger Geld für öffentliche Krankenhäuser, und das erstaunliche ist: auch weniger Geld für Polizei und Justiz. Diese Steuerhinterziehung führt letztlich dazu, dass Steuerkriminelle weniger stark bestraft werden, weil eben die Justiz personell nicht richtig ausgestattet ist. Das ist eine absurde Konsequenz.

    Heinlein: Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Wolfgang Neskovic, heute Morgen im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Neskovic: Vielen Dank.

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