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"Hier ist ein riesiges Geflecht zwischen Banken entstanden"

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hat sich für noch weitreichendere Stresstests bei Banken ausgesprochen. So habe die europäische Bankenaufsicht CEBS bislang nicht untersucht, welche Folgen der Zusammenbruch einer Großbank auf andere Geldinstitute hätte.

Peter Bofinger im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 24.07.2010
    Jürgen Zurheide: Der Stresstest bei den Banken ist ja überwiegend positiv aufgenommen worden von der Politik, von den Banken selbst auch. Dann haben wir gestern gehört, dass die Konjunkturaussichten von der Wirtschaft überaus positiv bewertet werden, die Börsen haben auch freundlich reagiert. Man könnte fast sagen, Krise war einmal, Ende gut, alles gut. Dickes Fragezeichen dahinter. Ist das wirklich so? Über all das wollen wir reden, und dazu begrüße ich Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates, jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Bofinger!

    Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Bofinger, zunächst einmal kommen wir auf den Stresstest. Sind Sie eigentlich innerlich schon entschieden, hat Sie das auch so beruhigt, wie uns das alle Politiker und Banken im Moment erzählen?

    Bofinger: Ja, das Ganze war ja bewusst als vertrauensbildende Maßnahme konzipiert. Man wollte zeigen, dass die Banken doch besser dastehen, als das teilweise gedacht wurde, und deswegen hat man ja auch die Tests so konzipiert, dass manche Risiken gar nicht aufscheinen, zum Beispiel größere Verluste bei Anleihen.

    Die müssen dann nicht in diesem Stresstest berücksichtigt werden, wenn die Banken die Anleihen in ihrem sogenannten Bankbuch halten, das heißt, wenn sie das längerfristig halten wollen, und das tun ja sehr viele Banken. Das heißt also, bei Anleihen ist ein größerer Teil der Verluste gar nicht bei diesem Stresstest ausgewiesen worden.

    Zurheide: Kommen wir mal auf die eigentlichen Risiken, denn da zeigt sich ja, dass es da offensichtlich noch Probleme gibt. Es gibt ja zwei Kreise, über die wir vielleicht nacheinander diskutieren. Erstens das Eigenkapital zu niedrig und zweitens die Klumpenrisiken. Kommen wir zunächst auf das Eigenkapital. Wenn Sie das noch mal aus Ihrer Sicht bewerten, ist nicht immer noch zu wenig Eigenkapital eigentlich da?

    Bofinger: Also die Stresstests haben gezeigt, dass ja doch einige Banken sehr ordentlich kapitalisiert sind, und da hat sich auch sicher einiges getan, seitdem wir die Krise erlebt haben. Auf der anderen Seite wäre es sinnvoll, dass man insgesamt die Eigenkapitalregeln auf eine robustere Basis stellt, das heißt, dass man eine ganz feste Relation zwischen dem Eigenkapital und der Bilanzsumme festschreibt, das wäre eine sogenannte Leverage Ratio.

    Und all die Eigenkapitalregeln, die wir derzeit haben, beziehen ja das Eigenkapital auf die sogenannten risikogewichteten Aktiva, das heißt, man braucht mehr Eigenkapital für Aktiva, die riskant sind, weniger Eigenkapital für Aktiva, die weniger riskant sind. Die Schwierigkeit ist dabei, dass sich das ja oft sehr schnell ändern kann, dass aus sicheren Aktiva wie Staatsanleihen plötzlich unsichere Aktiva werden.

    Deswegen hätte eine Leverage Ratio, die einfach sagt, grundsätzlich, egal ob das sichere oder unsichere Aktiva sind, du brauchst dafür einen bestimmten Prozentsatz Eigenkapital. Deswegen hätte eine solche Leverage Ratio einen eindeutigen Vorteil. Wir haben das dem Sachverständigenrat vorgeschlagen, und das ist ja auch eine Idee, die jetzt bei den Reformvorschlägen auch ganz gute Erfolgsaussichten hat.

    Zurheide: Dann haben wir ja das Problem gehabt, dass viele Banken bestimmte Risiken außerhalb ihrer eigenen Bilanz in Zweckgesellschaften gelagert haben - kann uns das noch mal passieren, dass da dann mit einmal Risiken am Ende doch durchschlagen, von denen die Banken geglaubt haben, sie hätten sie abgekoppelt?

    Bofinger: Nein, da hat sich auch durch die Entwicklung der letzten Jahre einiges geändert. Man muss nun auch Eigenkapital für die Zweckgesellschaften vorhalten, sodass also die Probleme, die wir bei der IKB oder bei der Sachsen LB gehabt haben, dass die nicht mehr auftreten können.

    Zurheide: Kommen wir mal zu den sogenannten Klumpenrisiken. Das ist ja möglicherweise immer noch ein Problem, dass vielleicht, wenn es der Deutschen Bank schlecht geht, dass damit auch zum Beispiel alle Sparkassen in Deutschland, die wiederum bei der Deutschen Bank was angelegt haben, dass die mit in den Sog geraten. Sind wir gefeit, dass eine solche Situation eintreten kann?

    Bofinger: Nach wie vor haben wir das sogenannte "Too-Big-to-Fail"-Problem, das heißt, eine einzelne Bank, die sehr groß ist, darf eigentlich gar nicht insolvent werden, weil sie damit andere Banken in den Abgrund ziehen würde. Und das ist ja auch eine Risikoursache, die ja bei den Stresstests nicht untersucht worden ist. Das wäre mal ganz spannend gewesen, was passiert, wenn eine der zehn größten Banken aus welchen Gründen auch immer insolvent wird, wie wirkt sich das auf die Stabilität des Systems aus.

    Und gerade bei den Stresstests ist ja auch ein bisschen das Problem, dass man schlecht im Voraus weiß, wo die Schocks auftreten. Im Jahr 2007 hat man damit gerechnet, die Schocks kommen bei den Hedgefonds, man hat sehr viel gemacht, um die Probleme von Hedgefonds zu analysieren, aber man hat an die Zweckgesellschaften nicht gedacht.

    Und genauso können jetzt 2011 oder 2012 Probleme auftreten in ganz anderen Bereichen als in denen, die man jetzt bei den Stresstests berücksichtigt hat. Und deswegen ist eben dieses Risiko sehr hoch, dass eine einzelne Bank in Schwierigkeiten gerät und dann die Stabilität des Gesamtsystems gefährdet. Und leider ist nun gerade dieser interessante Fall bei den Stresstests nicht berücksichtigt worden.

    Zurheide: Das ist der Stresstest, aber es könnte ja auch die Frage in den Raum kommen, was kann man eigentlich tun, um dieses Problem, wie Sie es angesprochen haben – zu groß, um ein Problem zu haben, too big to fail –, was kann man dagegen tun?

    Bofinger: Aus meiner Sicht ist das Problem dabei, dass die Banken enorm vernetzt untereinander sind, sehr, sehr große in der Bank Kredite und in der Bank Forderungen haben. Die deutschen Großbanken haben etwa 40 Prozent ihrer Bilanzsumme als Forderung an andere Banken, gleichzeitig haben sie 30 Prozent ihrer Verbindlichkeiten gegenüber anderen Banken.

    Das heißt, hier ist ein riesiges Geflecht zwischen Banken entstanden. Und dieses Geflecht ist auch die Ursache dafür, dass dieses "Too-Big-to Fail"-Problem besteht. Deswegen wäre es aus meiner Sicht ganz zentral, dass man die Verflechtungen zwischen Banken auf das Notwendige reduziert, sodass wir idealerweise eine Situation hätten, wo selbst eine Deutsche Bank insolvent werden könnte und trotzdem alle anderen Banken stabil bleiben. Also diese Richtung müssen meiner Meinung nach die Reformbestimmung gehen, damit man dieses zentrale Problem des Finanzsystems effektiv reduzieren kann.

    Zurheide: Welche Regeln brauchte man, um das zu verhindern, was Sie da gerade beschreiben?

    Bofinger: Ja, wir haben derzeit schon Großkreditregeln, die bestimmen, dass eine Bank gegenüber einem einzelnen Kreditnehmer nicht mehr als 25 Prozent ihres haftenden Eigenkapitals auslegen darf. Diese Regeln sind auch verschärft worden, insbesondere auch, was in der Bank Beziehungen angeht.

    Aber 25 Prozent des Eigenkapitals ist immer noch ein sehr großer Betrag, deswegen wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, diese Relation noch mal deutlich zu reduzieren, dass man sagt, eine Bank darf gegenüber einer anderen Bank nicht mehr als 10 Prozent ihres Eigenkapitals an Gesamtpositionen haben.

    Zurheide: Kommen wir noch mal zum Schluss auf die Konjunkturaussichten, ich habe es zu Beginn angesprochen, da sind ja einige wieder außerordentlich positiv unterwegs und optimistisch unterwegs. Jetzt will ich Sie nicht als Kassandra missbrauchen, aber ist man da möglicherweise wieder zu optimistisch im Moment?

    Bofinger: Also ich bin schon etwas überrascht über diese sehr positive Konjunktureinschätzung. Es ist vor allem überraschend, wenn man den Ifo-Test betrachtet, dass ja der Optimismus aus dem Einzelhandel kommt, und wenn man die Daten für den Einzelhandel betrachtet, insbesondere auch die Kfz-Verkäufe, dann sieht das ja alles andere als rosig aus. Aber auch das globale Konjunkturbild ist ja alles andere als besonders positiv.

    In den USA mehren sich die Sorgen, dass die Wirtschaft wieder schwächer wird, weil da nun die ganzen staatlichen Impulse auslaufen. Auch auf dem europäischen Automobilmarkt sieht man, wie stark nach dem Auslaufen der Abwrackprämien doch die Nachfrage zurückgegangen ist.

    Und wenn man sich Europa insgesamt ansieht, das ist ja unser wichtigster Absatzmarkt nach wie vor, sind ja doch sehr scharfe Konsolidierungsprogramme jetzt überall geplant, die auch dazu führen werden, dass die Gesamtnachfrage sich abschwächt. Also es ist ein gewisser Widerspruch zwischen der aktuellen Einschätzung und dem, was man so am Horizont an Perspektiven sieht.

    Zurheide: Das war Peter Bofinger zur aktuellen wirtschaftlichen Lage und den Stresstest. Herr Bofinger, ich bedanke ich für das Gespräch, auf Wiederhören!