Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Hier ist Lachen kein Unfall

Steffen Mensching macht in seinem aktuellen Buch "Lustigs Flucht" den Werteverlust der Medienwelt mit Humor und Satire sichtbar. Der Romanheld Ernst Lustig hat Probleme. Er steckt in einer tiefen Lebenskrise: Seine Geliebte hat ihn verlassen, mit seiner Schillerbiographie geht es nicht voran und mit der Medienwelt gerät er auch ständig in Konflikt.

Von Uwe Pralle | 14.02.2006
    Zu lachen gibt es nicht gerade oft in der Literatur, sieht man einmal von den unfreiwilligen Fällen ab. Steffen Menschings Roman "Lustigs Flucht" gehört jedenfalls zu den seltenen Romanen, bei denen Lachen kein Unfall ist und die sich trotzdem nicht nur auf der Comedy-Ebene ständiger Blödeleien bewegen. Der Held seines Romans, ein Schiller-Forscher in den Mittvierzigern, Sohn eines Reichsbahners aus dem Berliner Osten und am Rocksaum von vier älteren Schwestern aufgewachsen, ist nicht nur ein schrulliger Kauz, weil er Ernst Lustig heißt.

    Es wurde in meiner Familie oft von meiner Geburt gesprochen, wohl, weil das freudige Ereignis mit einiger Unruhe verbunden war. Ich kam – in früher Abgrenzung zu meinen Schwestern, die sich alle zum vorgegebenen Zeitpunkt einstellten – mit zweiwöchiger Verspätung auf die Welt, ein Umstand, der meinen Vater echauffierte. Bereits auf der Entbindungsstation sorgte sich Vater um die berufliche Zukunft seines Sohnes. Er war überzeugt, der fünfte Spross würde der lang erwartete Stammhalter sein, der ihm später in seiner Profession folgen sollte. Doch zu den Tugenden, die er dafür benötigte, gehörte, jedenfalls nach meines Vaters Überzeugung, absolute Pünktlichkeit. Er stand also am Wochenbett meiner Mutter, die im Krankenhaus unter medizinischer Beobachtung auf die Wehen wartete, und klagte, ein Junge, der ganze vierzehn Tage Verspätung hätte, könne doch unmöglich Eisenbahner werden. "Aber wieso?" soll meine Mutter entgegnet haben, "zum Reichsbahner ist er doch damit bestens empfohlen." Diese Spitze bewirkte, dass das Ehepaar erst wieder miteinander redete, als Mutter abgestillt hatte, nach einem guten Dreivierteljahr.

    Unter solch Auspizien geboren, dürfte es nahe liegen, sich mit jeder denkbaren Marotte und Schrulle dagegen zu wehren, das eigene Leben ohne weiteres aufs falsche Gleis schieben zu lassen. Mensching erzählt mit den Rückblicken, die er den Helden im Lauf des Romans immer wieder auf das Familien- und Staatsleben werfen lässt, in dem er aufgewachsen ist, jedenfalls auch von einem DDR-Lebenslauf, dessen Waffen beim Aufbegehren gegen die Machthaber vor allem Witz und Komik waren. Das besitzt durchaus einige autobiographische Parallelen, denn zu DDR-Zeiten war Steffen Mensching ein Teil des Duos "Wenzel & Mensching".

    "Also wir haben bestimmte Dinge, die tabuisiert waren, immer thematisiert. Die Unmöglichkeit zu reisen, wir haben die Führungselite ironisch und grotesk veralbert, ohne Namen zu nennen, aber alle wussten, wer gemeint ist,"

    sagt der 1958 in Berlin geborene studierte Kulturwissenschaftler über die Zeit, als er seit den späten 70er Jahren begann, über diverse Musik- und Theaterbühnen kreuz und quer durch die DDR zu tingeln.

    "Ich habe als Literat sozusagen angefangen mit Lyrik und bin dann in Kontakt gekommen zu Leuten, die Liedermacher waren und versucht haben nicht nur reine Liedermacherei zu betreiben, sondern liedtheatermäßig aufzutreten. Ich bin dann in eine solche Gruppe hineingeraten, die nannten sich "Karls Enkel", das wurde immer etwas verkürzt nur in Bezug auf Karl Marx interpretiert, aber es war damals schon etwas mehr, es war Karl Valentin und Karl Kraus und die diversen Karls, die es in der deutschen Geschichte und Kunst gab, die standen auch als Paten an. Das war eine sehr junge und sehr motivierte Truppe, die in der DDR glaube ich eine wichtige Rolle gespielt hat im halbalternativen Kulturbereich, und aus dieser Truppe ist dann dieses Duo entstanden von Wenzel und mir; das war clownesk, erstmal schon allein durch die Kostümierung, wir waren dann wirklich als Clowns geschminkt und angezogen. Mit dieser Clownsmaske konnten wir bestimmte Dinge sagen, die man vielleicht mit seinem Privatgesicht nicht hätte sagen können. Wir waren also absurd, wir waren schwerer angreifbar, man konnte uns politisch nicht so festmachen. Die Dialoge, die Stücke waren ein teilweise wildes Konglomerat aus Poesie, Nonsense, körperlichem Slapstick, Liedern, theatralischen Formen. Der Vorteil war eben auch, sie waren, ja, schwerer zu verbieten."

    In den Donquichotterien seines Romanhelden hat Mensching die aus dieser DDR-Vorschule geläufigen Tugenden der Aufsässigkeit jetzt zu einem bissigen Satyrspiel auf der literarischen Bühne genutzt – nur dass dieses Mal die heutige Kulturindustrie und nicht mehr die DDR-Funktionärskultur der Antipode ist. Ernst Lustig nämlich, Literaturhistoriker statt Lokführer geworden, einige Jahre nach der Wende allerdings von seiner Stelle an der Universität ins frei schwebende Intellektuellendasein gewechselt und als Schiller-Spezialist zum 200.Todesjahr des Klassikers bei einem Verlag mit einer Biographie unter Vertrag – dieser schrullige Eigenbrötler gerät kurz vor dem großen Jubiläum mit den Marketingstrategien seines Verlages überkreuz.

    "Weil man nicht daran glaubt, dass sich eine Schiller-Biographie als reine Schiller-Biographie verkauft, kommt man auf die glorreiche Idee, ihn sozusagen an einen VIP zu koppeln, einen Mann aus der Unterhaltungsindustrie, dem Showbusiness, in der Hoffnung, dass sich dann, mit diesem Ko-Autor, das Buch besser verkaufen lässt. Dieter Bohlen ist ja nicht bewusst genannt, aber wer Augen hat zu sehen oder zu lesen, der wird ihn erkennen, das ist auch in Ordnung so. Der Mann ist für mich sozusagen nur ein Typus, der als solcher funktioniert. Er ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten auf diesem Gebiet, und er eignet sich einfach für so etwas; der Mann ist ja Satire in lebendiger Gestalt, da muss man nicht viel dazudichten, da muss man eigentlich nur genau hingucken und versuchen, bestimmte Verhaltensweisen, bestimmte Marotten und Strategien, die er verfolgt, zu erkennen und dann nachzugestalten."

    Friedrich Schiller und Dieter Bohlen – und eingeklemmt zwischen diesen Giganten von einst und jetzt Ernst Lustig, der das alles überhaupt nicht mehr komisch findet und eben "Lustigs Flucht" antritt. Seine fast abgeschlossene Schiller-Biographie befördert er in den elektronischen Reißwolf, den besorgten Schwestern macht er vor, sich auf eine Reise nach Vietnam zu begeben – und da er mit seiner russischen Geliebten ohnehin gerade Streit hat, scheint ihn nichts und niemand mehr zu hindern, sich in einer Berliner Hinterhofwohnung mit seinem Weltekel zu verschanzen.

    "Das war der erste Impuls für das Buch. Ich wollte eine Geschichte schreiben über einen Mann, der sich zurückzieht. Das schien mir auch einer gewissen Sehnsucht zu entsprechen, dass ich mir sagte, irgendwie möchte ich mich zumindest für eine gewisse Zeit herauskatapultieren aus bestimmten privaten, aber auch sozialen und politischen Verhältnissen von mir aus, und dann die Frage zu stellen: was passiert mit einem Mann, mit einer Figur, die sich verweigert? Wie kann man das durchleben, wie kann man das aushalten? Und was passiert dann mit dem? Ist es durchzuhalten? Ist es durchzuhalten aufgrund der psychischen Struktur und ist es aber auch praktisch durchzuhalten in einer Welt, die medial vernetzt ist, wo ständig Handys klingeln, wo Internet und Faxe eingehen und so weiter und so fort. Kann man das noch?"

    Zumindest kann man es versuchen, und wohin der Versuch führt, ist in
    Menschings Roman nachzulesen. Ein Ergebnis dieses grotesken Echos des
    soeben zu Ende gegangenen Schiller-Jahrs lässt sich allerdings
    vorwegnehmen, ohne all zuviel zu verraten: aus seinem Schmollwinkel
    mitten in der Berliner Gegenwart feuert Menschings skurriler Held ein
    Feuerwerk von Ulk und Spott auf eine Kultur, in der ein Schiller ohne
    Geleit von solchen Lichtgestalten des Entertainments wie des ewig
    braungebrannt, grinsenden Dieter Bohlen, dem sein spezielles Ressentiment
    gilt, auf völlig verlorenem Posten stehen würde.

    Dabei erregten meinen Ekel – der allerdings körperlich spürbar war –
    weniger seine Kompositionen, Shows und Interviews, die ich im Grunde
    kaum kannte, als vielmehr die Schamlosigkeit seiner
    Vermarktungsstrategie. Würde D. an seine Produkte geglaubt haben, hätte
    ich ihn tolerieren können. Er aber verscherbelte Dreck, den er für
    solchen hielt. Ein zynischer Schrotthändler, bewundert und zum Idol
    erhoben, als lebender Beweis dafür, dass man nichts in der Birne haben
    muss, um erfolgreich zu sein. Während Politiker, Theologen,
    Ethiker, Lehrer, Lyriker, Fußballschiedsrichter und andere Modenarren
    des Überbaus die allgemeine Blöße noch mit halbseidenen Mäntelchen
    höherer Werte zu bedecken suchten, ging D. daran, die Wahrheit gelassen
    auszusprechen: Der König ist nackt. "Es herrscht der Erde Gott, das
    Geld," wie Schiller im Gedicht "An die Freunde" singen ließ. Und zwar
    als absoluter Monarch, als Weltherrscher, inthronisiert, geadelt und
    bejubelt von der parlamentarischen Demokratie. Majestät Mammon. Dekret
    Nummer 1: It’s money that matters.


    Wie sehr Ressentiments seinen Kampf gegen die Windmühlenflügel des
    "Typus D." nähren, verhehlt Steffen Mensching nicht.

    "Er ist, wie gesagt, nur einer unter vielen, macht aber einen bestimmten
    Wahnsinn, der in der Öffentlichkeit eingerissen ist, wie ich glaube,
    ziemlich deutlich. Und das war auch so ein Impuls: ich fühle mich von
    vieler Idiotie, mit der ich belästigt werde, in meinem eigenen
    Lebensrhythmus gestört. Und ich dachte mir irgendwann: wenn die mich so
    nerven, ist es vielleicht irgendwann auch mal Zeit, dass jemand sagt:
    Genug! Ab heute wird zurück geschossen, man muss sich das alles nicht
    bieten lassen, das gehört zur geistigen Kultur oder Hygiene eines
    Landes, dass man sich bestimmte Dinge auch verbittet."

    Gut ist allerdings, dass Mensching trotz aller Ressentiments bei dieser
    Notwehr niemals den Kopf verliert – denn so ist einer der raren Romane
    entstanden, die nicht nur bissigen Witz besitzen, sondern auch
    intelligent sind.