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Hier kommt frisches Schwarz

Durch den neuen Gedichtband von Bert Papenfuß weht der Geist der Freibeuterei. Wie sich die Freibeuter nehmen, was sie brauchen und finden, so wildert Papenfuß im großen Gelände der Sprache - von Eulenspiegel über Störtebeker bis althochdeutschen Muspilli kommt wenig ungeschoren davon.

Von Joachim Büthe | 31.05.2006
    dreckwasser, schwarzes / wasser, tiefes blut / hüftschwung, hirngespinst / unstaat oder kein staat
    he ho sabberlatz / hier kommt frisches schwarz / prompt auf die kniescheibe / bei lebendigem leibe
    gefallene söhne, schlechte töchter / allesamt in schauprozessen gesessen / liquidiert, dehydriert, kaustifiziert / die reihen aufgefüllt & rehabilitiert
    he ho sabberlatz / hier kommt frisches schwarz / prompt auf die kniescheibe / bei lebendigem leibe


    So geht es zu in Bert Papenfuß' neuem Gedichtband, mit frischem Schwarz ist jederzeit zu rechnen, zu Wasser und zu Lande. Rumbalotte, die Titel gebende Figur, deren wahre Herkunft hier verschwiegen werden soll, wird man wohl zu den Seeräuberbräuten zählen können. Der Geist der Freibeuterei weht durch dieses Buch, er kann auch elektrisch verstärkt werden, und wie sich die Freibeuter nehmen, was sie brauchen und finden, so wildert Papenfuß im großen Gelände der Sprache. Vorzugsweise bringt er die Unkräuter in Anschlag gegen die gepflegten Gärten. Die Störtebeker von heute bewegen sich an Land und bleiben doch den Vorfahren verpflichtet.

    " Die Störtebeker-Thematik hat mich eigentlich schon immer interessiert, natürlich jetzt in den neunziger Jahren. Auf der einen Seite steht Störtebeker für das revolutionäre Aufbegehren und natürlich für das Freibeutertum. Widerpart war natürlich die Hanse. Und die Hanse war, in diesem Zusammenhang von Rumbalotte, das erste kapitalistische Konstrukt, mit dem es sich auseinanderzusetzen gilt. So entstand dieser Zusammenhang. Der Hauptakteur in der damals angedachten Rockoper "Rumbalotte" ist aber eigentlich eher Eulenspiegel. Zumindest in de Costers Version von Uhlenspiegel hat mich der sozialrevolutionäre Impetus von Eulenspiegel interessiert. Und der kommt in dem Rumbalotte-Konstrukt sehr deutlich raus. Teilweise tritt Eulenspiegel auf oder sein Avatar Arschwisch. Uhlenspiegel, oder Uhlenspägel, ist ja Plattdeutsch, wurde dann fälschlich ins Hochdeutsche übertragen als Eulenspiegel. Aber eigentlich heißt uhlen so etwas wie säubern, sauber machen, wischen. Und Spägel ist eigentlich der Arsch, wie man beim Wild auch sagt, Spiegel für das Hinterteil."

    In diesem Sinn liefert Papenfuß das, was man von kritischer Literatur gern erwartet: Sie hält der Gesellschaft den Spiegel vor. Daran hat sich nichts geändert. Noch immer wird die abgenutzte, verbrauchte Sprache geöffnet und aufgeraut durch Witz und Vulgarität, durch Slang und Plattdeutsch und weitere Zutaten und Zeitensprünge, die sich, befeuert von Stabreim und Knittelvers, zum unverwechselbaren Papenfuß-Sound vermählen und zur Zeugung der Rumbalotte, währenddessen der "Sturmgesang der baltischen Horden" aufbraust.

    wenn der norden den osten küsst / werden die weißen laken gehisst / "niebiskoczarni" spielen wie sau / im glanz der finsteren frontfrau /
    es jault der gassenhauer der bettenbauer / durch den schauer, unter dem ich kauer' / erneuert punk rock & erheitert den mitjok / tief sitzt der schock im ganzen westblock / denn die pruzzen obsiegten den borussen / & raubten den luschen sämtliche tussen
    wenn der norden den osten küsst / werden die schwarzen fahnen gehisst / frischfrankfröhlichfrei der totenkopp / flattert höllenwärts vom gekaperten topp

    Dass diese Gedichte häufiger als in andern Bänden von Bert Papenfuß einen Refrain haben, ist nicht nur der Sangeslust der Seeleute geschuldet. Wie schon angedeutet, war Rumbalotte ursprünglich als Rockoper geplant, ein Projekt, das mehr als nur dichterische Energien erforderte. Bert Papenfuß hat von Beginn an mit Musikern kooperiert, ein Zusammenhang, der sich auch aus der naturwüchsigen subkulturellen Multimedialität der Prenzlauer Berg - Szene ergeben hat. Inzwischen hat sich die Szene ausdifferenziert. Insofern war und ist dieses Projekt ein Blick zurück nach vorn.

    " Mein Ansatzpunkt für die Rockoper "Rumbalotte" war, die Energien zu bündeln, die literarischen, musikalischen und performerischen Energien zu bündeln, und das richtige Medium schien mir damals eine Rockoper zu sein. Aber ich habe nicht bedacht, dass sich die Geschmäcker und Persönlichkeiten schon auseinanderdifferenziert hatten. Und das es gar nicht mehr möglich war, diesen Zusammenhang herzustellen, diesen großen, urkommunistisch gedachten Zusammenhang. Die Musiker haben von mir erwartet, dass ich Verträge abschließe mit irgendwelchen Theatern und dann bekommen sie den Kompositionsauftrag und dann machen sie sich an die Arbeit. Das ist natürlich gar nicht eingetreten. Das habe ich mir viel organischer vorgestellt. Ich dachte, okay, die produzieren erst mal was, und dann haben wir ein paar Demo-Tapes und mit denen kann man dann zum Theater gehen und sich bewerben. So organisch ist das nicht gelaufen."

    So sind aus diesem Projekt bisher drei Bücher entstanden, zwei mit mehr essayistischen Texten in den Verlagen Peter Engstler und Karin Kramer und dieser Gedichtband, kongenial illustriert vom, auch musikalischen Mitstreiter Ronald Lippok. Eine CD, ebenfalls bei Urs Engeler, ist noch in Planung. Zunächst müssen die Texte ihre Musikalität zwischen Buchdeckeln behaupten, und das gelingt ihnen mühelos. Bert Papenfuß bleibt ein Solitär, dessen Kunstfertigkeit in der Verbindung der rebellischen, und heute weitgehend vergessenen, Impulse der Rockmusik mit experimentellen, und ebenso vergessenen Ansätzen nur mit Rolf Dieter Brinkmann vergleichbar ist. Obwohl oder gerade weil sie aus völlig unterschiedlichen Quellen schöpfen. Bei Papenfuß geht es weit zurück in die Geschichte der deutschen Literatur, bis ins 9. Jahrhundert. Seine Version des Muspilli, des verzweifeltsten Stückes der althochdeutschen Literatur, beschließt diesen Band. Muspilli ist der Weltenbrand, das Ende der Welt im Feuersturm. Ironischerweise ist die Papenfußsche Aktualisierung zugleich sein bis dato meistübersetzter und meistvertonter Text. Und weil es nach dem Weltende immer weiter geht und uns Bert Papenfuß noch lange erhalten bleiben möge, kann ein Ausschnitt aus seinem Muspilli spezial auch diesen Beitrag beschließen, hier in einer Variante mit den Musikern Ronald Lippok und Bernd Jestram.

    so listig ist kein mann, dass er hier lügen kann / dass er verbergen kann eins seiner verbrechen / vorwitz wird der kripo vorauseilend gehorsam kund / billig der sünder, der bereits gebüßt / bevor er zitiert, bricht sein blick
    dann wird vorangetragen der angetrunkene odin / den der heilige christ im voraus gekupfert / er zeigt die wunden, die er um geschlechtes willen empfing / die er um der liebe willen in den wirren des untergangs / zum geschlechte erduldete, und bediente sich des ausschanks
    muspilli, jah war, jihad, siemens-martin doom dab / der grund geht unter, die gruft wird munter / muspilli, jah war, jihad, siemens-martin doom dub / die kalte hand winkt ab, und sinkt zurück ins grab
    pix, nix, nox - pax!


    Bert Papenfuß: Rumbalotte. Gedichte. Mit Zeichnungen von Ronald Lippok
    Urs Engeler Editor 2005, geb, 160 S., EUR 19,00