Dienstag, 16. April 2024

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"Hier muss man ganz deutlich von Tötungsversuchen sprechen"

Am Samstag sind bei Protesten gegen den Sozialabbau in Berlin Polizisten durch eine Splitterbombe verletzt worden. Im Bundestag wird heute über linksextreme Straften debattiert. Wilfried Albishausen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter sagt, die Polizei habe in der Vergangenheit auf Demos zu wenig darauf geachtet, Straftäter zu identifizieren.

Wilfried Albishausen im Gespräch mit Gerwald Herter | 16.06.2010
    Gerwald Herter: Ein Bombenanschlag im Rahmen einer Demonstration, das klingt nach einer neuen Dimension der Gewalt. Der Bundestag wird deshalb in Kürze am Nachmittag in einer aktuellen Stunde über den Linksextremismus in Deutschland debattieren. Am Samstag waren bei Protesten gegen den Sozialabbau in Berlin mehrere Polizisten durch eine Splitterbombe verletzt worden. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) spricht deshalb von einem Comeback des linken Terrors. In einem Interview sagte er, dass die "Chaoten" sicherlich auch vor einem Mord nicht zurückschrecken. Muss man davon tatsächlich ausgehen? Dazu nun Einschätzungen von Wilfried Albishausen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Mit ihm bin ich verbunden. Guten Tag, Herr Albishausen.

    Wilfried Albishausen: Einen schönen guten Tag!

    Herter: Herr Albishausen, bei Demonstrationen werden Projektile mit Präzisionszwillen verschossen, Molotow-Cocktails auf Polizisten geworfen. Hat es Sie da überhaupt noch überrascht, dass nun Splitterbomben zum Einsatz kamen?

    Albishausen: Natürlich darf man immer noch überrascht sein bei einer derartigen Eskalation von Gewaltanwendungen. Gleichwohl muss man allerdings davon ausgehen, dass dieses linke Spektrum – und da handelt es sich ja zweifelsohne um Straftäter – entsprechende Bauanleitungen, entsprechende Strategien entwickelt haben, um ganz gezielt Polizeibeamte zu treffen, und hier muss man ganz deutlich von Tötungsversuchen sprechen.

    Herter: Worauf ist diese Eskalation zurückzuführen bei dieser Demonstration, oder rechnen Sie damit, dass jetzt generell solche Vorfälle berücksichtigt werden müssen, dass sich die Polizei darauf vorbereiten muss, dass Splitterbomben eingesetzt werden?

    Albishausen: Nun muss man sich selbstverständlich auf solche Dinge vorbereiten, wenn es denn einmal zur Anwendung gekommen ist. Ich glaube, es ist eine Eskalationsentwicklung eingetreten, die letztlich auch darauf zurückzuführen ist, dass die Polizei über viele Jahre eine sogenannte Deeskalationsstrategie entwickelt hat, also sozusagen Demonstrationen auch mit Gewaltanwendung (natürlich anderer Qualität) einfach mal so laufen zu lassen, und letztlich zu wenig darauf geachtet hat, diese Straftäter zu identifizieren und letztlich auch zu justiziellen Sanktionen zu bringen.

    Herter: Die Befürworter einer Deeskalationsstrategie bei Demonstrationen reklamieren Erfolge für sich. Erkennen Sie diese an?

    Albishausen: Nein, ich glaube nicht, denn wir sehen angesichts zunehmender Gewaltanwendung nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg eine deutliche Entwicklung zur Gewaltanwendung, und ich glaube, man muss ganz deutlich sagen: hier handelt es sich um linksextremistische Straftäter, die auf nichts anderes aus sind als auf Gewaltanwendung innerhalb von Demonstrationen, die ja die Bürger im Grunde genommen aufgrund unseres Grundgesetzes in friedlicher Absicht durchführen. So steht es ja im Grundgesetz. Aber diese Leute suchen die Gewaltanwendung und deswegen muss man auch mit anderen Mitteln und anderen Strategien auf diese Gewaltanwendung reagieren.

    Herter: Hat man in Deutschland Entwicklungen im Bereich des Linksextremismus jahrelang übersehen und unterschätzt?

    Albishausen: Ich glaube schon, wobei man natürlich auf der einen Seite auf dem einen Auge nicht blind sein darf, während man auf dem anderen Auge etwas genauer hinsieht, also was den rechtsextremistischen Bereich anbelangt. Aber ich glaube schon, dass man die Entwicklung innerhalb dieser Demonstration, aber auch anderer Auftritte bei anderen Veranstaltungen außerhalb von Demonstrationen im linksextremistischen Lager unterschätzt hat.

    Herter: Der Verfassungsschutz, die verschiedenen Behörden in Deutschland scheinen die NPD zum Beispiel ja geradezu durchdrungen zu haben, deshalb die Probleme mit dem Verbot. Gilt das für linke Organisationen nicht?

    Albishausen: Vielleicht ist es da etwas schwieriger, sozusagen mit verdeckten Ermittlungen einzusteigen. Was aber auch ein ganz wesentlicher Aspekt ist, dass beispielsweise zu wenig bei Demonstrationen, ich sage mal, genauer hingeschaut wird, diese Täter ermittelt werden, auch aus diesen Gruppierungen herausgeholt werden. Wir haben ja vielfach die Diskussionen auch im rechtlichen Bereich gesehen um Einkesselung, Formulierungen wie Einkesseln, wie Einschließen. Also ich glaube schon, die Polizei muss hier wesentlich offensiver vorgehen, diese Gruppierungen aus Demonstrationen herausnehmen, diese Personen identifizieren, die Beweisführung wesentlich verstärken, und letztlich dann auch die Justiz. Die muss dann natürlich mitziehen und auch zu Verurteilungen kommen. Wenn wir diese Leute kennen, können wir auch entsprechende Strategien im Vorfeld, Ermittlungen im Vorfeld, durchführen, die solche Taten zumindest deutlich minimieren können, wenn nicht gar verhindern.

    Herter: Was wäre von Seiten der Politik notwendig?

    Albishausen: Da hängt natürlich auch Personal, da hängen auch Personalfragen dran. Sie müssen davon ausgehen, bei solchen Demonstrationen, die ja nun flächendeckend oft in Deutschland stattfinden, sind unsere Hundertschaften im schutzpolizeilichen Bereich ständig unterwegs. Das heißt, man hilft sich untereinander aus in den Bundesländern. Aber auch Kriminalisten und Kriminalbeamtinnen und Kriminalbeamte sind sozusagen dahinter in sogenannten Festgenommenen-Sammelstellen tätig und die warten im Grunde genommen auf festgenommene Personen, damit man sich um sie aus strafrechtlicher Sicht, aber auch aus gefahrenabwehrender Sicht besser kümmern kann, und ich glaube, das wäre der richtige Weg. Also Personal hängt dahinter, aber auch die Einsatzstrategie. Wir dürfen nicht mehr laufen lassen und nur gelegentlich verhindern oder zurückdrängen; das ist ein Spiel, wo diese linksextremistischen Straftäter nur darauf warten und sich regelmäßig wieder bei neuen Demonstrationen einfinden. Wir müssen verhindern, dass diese Leute friedliche Demonstrationen von Bürgerrechtsorganisationen oder auch aller anderen Art unterwandern, zerstören und damit das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit ganz empfindlich infrage stellen. Das ist ja ein ganz wesentlicher Aspekt unserer Demokratie, unseres Rechtsstaates, dass man friedlich demonstrieren können muss, ohne Gefahr zu laufen, dass solche Straftäter solche Demonstrationen missbrauchen bis hin zu Tötungsversuchen an Polizeibeamten.

    Herter: Was ist denn mit härteren Strafen? Die werden ja seit einigen Monaten ohnehin bereits diskutiert.

    Albishausen: Ja. Das Thema härtere Strafen wird ja immer wieder diskutiert. Ich glaube, bevor man darüber diskutiert, ob man hier Strafverschärfungen durchführt, muss man erst mal die Leute zur Verurteilung bringen, und ich glaube, auch die Justiz ist aufgerufen, aus den vorhandenen Strafmaßmöglichkeiten das entsprechende auszuschöpfen. Dann wären wir schon einen ganzen Schritt weiter.

    Herter: Der Bundestag debattiert heute Nachmittag in einer aktuellen Stunde über den Linksextremismus und Gewalt gegen Polizisten. Das war Wilfried Albishausen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Vielen Dank für das Gespräch.

    Albishausen: Nichts zu danken.