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"Hier siehste wat, erlebste wat und findste wat"

Der Kurfürstendamm in Berlin gehört zu den berühmtesten und geschichtsträchtigsten Boulevards der Welt. Mit der Fahrt der ersten Dampf-Straßenbahn wurde das mondäne Wahrzeichen Berlins am 5. Mai 1886 feierlich eröffnet.

Von Sabine Wuttke | 05.05.2011
    "Es war ja nicht nur die Eröffnung irgendeiner Bahn. Es war wirklich eigentlich auch die Eröffnung einer neuen, großen, breiten Straße. Denn die war immerhin über drei Jahre gepflastert worden. Aus einem kleinen Feldweg wurde eine große breite Straße, die dazu auserkoren war, der Berliner Boulevard zu werden, und das war mit großem Klimbim und Brimborium."

    Karl-Heinz Metzger, Buchautor und Chronist über das Fest, zu dem ganz Berlin gekommen war. Hüte wurden geschwenkt, Kinder hochgehalten, es wurde gelacht und gejubelt. Es war der 5. Mai 1886, und die erste Dampf-Straßenbahn schob sich gemächlich über den Kurfürstendamm.

    "Das ist so zwischen einer großen Kutsche und einer - wie wir sie heute kennen - elektrischen Straßenbahn, das heißt vorne und hinten konnte man im Freien stehen auf dem Perron und der Hauptteil war überdacht, aber mit großen Fenstern. Und es war vor allen Dingen ein ganz ausgeklügeltes technisches System, wie dann der Dampf unter dem Dach so abgeleitet wurde, sodass es weder gezischt hat, also weder laut war, noch in die Umwelt ging."

    Bismarck höchstpersönlich nahm an der Probefahrt teil. Denn es war seine Idee gewesen, in der jungen, schnell wachsenden Reichshauptstadt Berlin einen Boulevard nach dem Vorbild der Pariser Champs-Élysées anzulegen, eine – wie er es nannte - "Hauptader des Vergnügungsverkehrs".

    Dabei hatte alles recht bescheiden begonnen. Weil Churfürst Johannes II. der Tiergarten als Jagdrevier zu klein geworden war, ließ er im Grunewald vor den Toren der Stadt ein Jagdschloss bauen. Den Weg dorthin befestigte er 1542 mit einem sogenannten Knüppeldamm, einem durch sumpfiges Gelände geführten Holzweg. Als "Churfürstendamm", zunächst noch mit "Ch" geschrieben, war er im 17. Jahrhundert erstmals auf einer Karte verzeichnet.

    Rund 200 Jahre später war aus dem bescheidenen Reitweg bald eine repräsentative Wohnstraße zum Flanieren geworden: mit vier Meter breiten Bürgersteigen, zehn Meter breiten Fahrbahnen, einem Reitweg in der Mitte und je einem Gleis in jede Richtung für die neue Dampf-Straßenbahn. 53 Meter insgesamt. Für damalige Verhältnisse fast unvorstellbar.

    Schnell stieg der Kurfürstendamm in den sogenannten Goldenen Zwanziger Jahren zur Geschäfts- und Amüsiermeile auf. Kinos, Kabaretts und Theater, Varietés und Kneipen entließen spät abends ihre Gäste auf den Boulevard, der rund um die Uhr pulsierte. Man amüsierte sich im Lunapark oder im Union-Palast, hielt Hof im Hotel Kempinski oder Café Kranzler. Schon damals galt:

    "Hier siehste wat, erlebste wat und findste wat."

    Die Prachtfassaden der mehrgeschossigen Häuser zitierten alte deutsche, italienische und sogar maurische Elemente. Eine Mischung, die manchmal achtlos als "Kurfürstendamm-Architektur" gescholten wird und doch fasziniert.

    Charakteristisch und heute fast vergessen waren die siebeneinhalb Meter tiefen Vorgärten, die in den 30er-Jahren von findigen Geschäftsleuten kurzerhand umfunktioniert wurden. Birgit Jochens vom Heimatmuseum Charlottenburg-Wilmersdorf erinnert daran:

    "Dort gab es natürlich Restaurants, die sich dort draußen ausgebreitet haben, übrigens auch schon mit Wärmevorrichtungen aller Arten. Aber in den 30er-Jahren hat man vornehmlich in diesen Vorgärten Waren gefunden. Automobile natürlich, Kühlschränke, und gerade hier vor dem Haus Cumberland, das muss man sich vorstellen, haben im Herbst Kiepen mit Kartoffeln gestanden."

    Das Haus Cumberland, eines der repräsentativsten Häuser am Kurfürstendamm, wurde um 1910 für betuchte Besitzer konzipiert. Doch auf vornehmes Wohnen konnten die Ladenbesitzer im Erdgeschoss keine Rücksicht nehmen. Der Blick auf ihre Auslagen war durch die tiefen Vorgärten versperrt.

    Der Zweite Weltkrieg zerstörte vieles von dem, was für den Kurfürstendamm einst typisch war. Doch für West-Berlin, das keine Sperrstunde kannte, blieb die luxuriöse Einkaufmeile weiterhin das quirlige Zentrum. Erst der Fall der Mauer brachte erneut eine Zäsur. Viele Geschäfte wanderten ab in die aufstrebende neue Mitte Berlins. Nicole Urbschat, die mit dem Fotostudio ihres Großvaters den ältesten Laden des Boulevards betreibt, beobachtet die Lage jedoch gelassen:

    "Ich sehe es mit sehr viel Humor, dass viele Geschäfte, die nach Mitte gewandert waren, zurückkommen. Die Einwohner Berlins gehen am Kurfürstendamm einkaufen und zwar die, die das Geld besitzen, weil sie hier wohnen. Und das hat sich von 1886 bis heute nicht verändert."