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"highly-strung"

Der Piper-Verlag hat die "Kritischen Schriften" von Ingeborg Bachmann veröffentlicht. Darin haben die Herausgeber erstmalig sämtliche Texte Bachmanns zur Literatur, Philosophie und Musik in einer historisch-kritischen Neuedition versammelt – neben bereits veröffentlichten Schriften sind es bislang verschollene, nachgelassene und aus dem Nachlass rekonstruierte Texte.

Von Astrid Nettling | 23.05.2005
    Seit je zählt Ingeborg Bachmann für mich zu den Persönlichkeiten, die man im Englischen highly-strung nennt, also zu jenen hochempfindsamen Naturen, deren Lebensnerven den Saiten eines Musikinstruments gleich bis zum Äußersten gespannt sind. Und stets klingt auch ihre Dichtung so – Sprache bis zum Äußersten gespannt, das heißt, bis zu dem extremen Grad getrieben, wo sie kompromisslos gegenüber allem Eingängigen jene kristalline Klarheit erlangt, die für das dichterische Ethos von Ingeborg Bachmann unabdingbar war.

    Dass solche Hochgespanntheit zugleich intellektuelle Nüchternheit und Strenge braucht, versteht sich. In diese Seite der Dichterin gibt nun der vorliegende Band "Kritische Schriften" interessanten wie umfassenden Einblick. Die Herausgeber haben darin erstmalig sämtliche Texte Bachmanns zur Literatur, Philosophie und Musik in einer historisch-kritischen Neuedition versammelt – neben bereits veröffentlichten Schriften sind es bislang verschollene, nachgelassene und aus dem Nachlass rekonstruierte Texte.

    Der Band umfasst ihre Reden, Rezensionen, Rundfunkbeiträge, ihre essayistischen und autobiographischen Texte, Textentwürfe sowie die berühmten 'Frankfurter Vorlesungen' von 1959/60. Von den rund 830 Seiten Gesamtumfang machen knapp 500 Seiten die Schriften der Autorin aus, die restlichen 330 Seiten bilden den ausführlichen textkritischen Kommentarteil, der nicht nur für ein wissenschaftliches Fachpublikum, sondern ebenso für interessierte Bachmannleser Orientierung und viel Wissenswertes zu Entstehungsgeschichte und biographischem Kontext zu bieten hat. Wie die Herausgeber in ihrem Nachwort zu Recht unterstreichen, besitzt das kritische Schreiben für Bachmann nicht den gleichen hohen Stellenwert wie für andere ihrer Schriftstellerkollegen. Dennoch begleitet es ihr gesamtes dichterisches Schaffen, dient es doch immer wieder ihrer Selbstvergewisserung als Dichterin, ihrem Sich-darüber-Klarwerden, was es überhaupt heißt zu schreiben. So lautet es schon früh in einer kurzen biographischen Notiz aus der Mitte der fünfziger Jahre:

    "Wachheit, Erinnerung und Klarheit sind vonnöten, und je klarer wir uns ausdrücken, desto dichterischer werden wir sein. Auf dem Grund ist Dunkelheit genug und Unsagbares, und Schreiben ist neben andrem ein stetes Zurückdrängen von Dunkelheit."

    Sätze programmatischen Inhalts, die für das ganze Werk der Dichterin Geltung besitzen. Sätze, in denen sich aber ebenso reflektiert, was es für die Nachkriegsgeneration von jungen Schriftstellern bedeutet hat, in ihrem Schreiben nicht mehr selbstverständlich an das geistige Erbe ihrer Väter und Vorväter, an die angestammten Wahrheiten der vorausgegangenen Generationen anknüpfen zu können. In diesem Sinne heißt schreiben zugleich ein Klarwerden vor dunklen, abgründig gewordenen Gründen.

    So lesen sich Bachmanns Literaturbesprechungen von Zeitgenossen wie Heinrich Böll, Thomas Bernhard, Sylvia Plath oder ihre Rundfunkbeiträge zu Autoren der literarischen Moderne wie Proust, Kafka, Musil und nicht zuletzt ihre fünf Frankfurter Vorlesungen immer auch als ein Bemühen um die Grundlagen eigenen Schreibens in 'dürftiger Zeit'. Auf ähnliche Weise lassen sich diejenigen Texte der "Kritischen Schriften" verstehen, in denen sich die bereits im Alter von 24 Jahren zum Doktor der Philosophie promovierte Schriftstellerin mit zeitgenössischer Philosophie auseinandersetzt. Hier sind vor allem ihre brillanten Rundfunkessays zur "Philosophie der Gegenwart", zu Ludwig Wittgenstein und zum "Wiener Kreis" zu nennen.

    Paradigmatisch ist ihre Beschäftigung mit Wittgenstein und seinem berühmten Satz aus dem "Tractatus": "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen". Seine Absage an jegliche Metaphysik – für Ingeborg Bachmann wird es ein Zuspruch an die Dichtung, dem sie ihr Leben lang gefolgt ist. Denn wo der Philosoph möglicherweise zu schweigen hat, da kann und da sollte der Dichter ein klares Wort wagen. So heißt es in ihrer berühmten Rede "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar" aus dem Jahr 1959:

    "Innerhalb der Grenzen aber haben wir den Blick gerichtet auf das Unmögliche. Im Widerspiel des Unmöglichen mit dem Möglichen erweitern wir unsere Möglichkeiten. Daß wir es erzeugen, dieses Spannungsverhältnis, an dem wir wachsen, darauf, meine ich, kommt es an. Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar. Ich glaube, daß dem Menschen eine Art des Stolzes erlaubt ist – der Stolz dessen, der in der Dunkelhaft der Welt nicht aufgibt und nicht aufhört, nach dem Rechten zu sehen. "

    "Kritische Schriften"
    Von Ingeborg Bachmann
    (Piper Verlag, München)