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Hightech in der Tierforschung
Ein Storch geht online

Immer leistungsfähigere Mini-Computer und Sender am Körper wild lebender Tiere machen es möglich, Wanderwege, Gruppenverhalten und Körperfunktionen in Echtzeit zu untersuchen, vom Schmetterling bis zum Weißen Hai. In Radolfzell am Bodensee verfolgen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Ornithologie die Flugbewegungen von Störchen mit Sendern. Drei dieser Störche wurden jetzt nach der Deutschlandfunk-Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt" benannt.

Von Lennart Pyritz | 31.08.2014
    Drei Störche liegen in ihrem Nest, "Storchenvater" Wolfgang Schäfle schaut auf sie herunter.
    "Storchenvater" Wolfgang Schäfle aus Radolfzell legt drei besenderte Tiere in ihr Nest im Stadtteil Böhringen zurück. (Lennart Pyritz)
    Ein Parkplatz in einem schwäbischen Wohngebiet. Auf den Dächern und Bäumen balzen mehr als zwei Dutzend Storchenpaare. Allein auf dem Grundstück der evangelischen Kirche bauen die großen Vögel mit den roten Schnäbeln an acht Nestern. Ströme von weißem Kot zieren die Schindeln des Gotteshauses.
    "Also in Böhringen fing das auch vor zwei Jahrzehnten mit einem einzigen Paar an. Und am Anfang ist es dann auch so, dass ein einzelnes Storchenpaar gar nicht so verträglich ist gegenüber anderen. Aber wenn immer mehr Paare versuchen, sich dort auch anzusiedeln, dann entsteht irgendwann eine kleine Gruppe. Und so haben wir jetzt hier diesen Nukleus von 25 Horsten auf relativ engem Raum."
    Der Ornithologe Wolfgang Fiedler blinzelt in den März-Himmel. Ein Flugzeug zieht vorüber. Ein Stück die Straße hinunter sägen Bauarbeiter in einem Vorgarten Holz. Die Vögel balzen unbeeindruckt weiter. Es sind Weißstörche, und die Wissenschaft setzt große Hoffnungen in sie.
    "Der ist schön groß, der zieht weit, der kann unsere Ausrüstung tragen. Und er hat so viel Charisma, dass es auch nicht so schwierig ist den Leuten zu erklären, was wir da machen."
    Die Böhringer Storchen-Kolonie liegt nur wenige Kilometer entfernt vom Max-Planck-Institut für Ornithologie. Der Chef ist hier Martin Wikelski, Ende 40, schwungvolle Ausstrahlung. Er ist von der amerikanischen Elite-Universität Princeton an den Bodensee gezogen, hat im Regenwald und auf den Galapagos-Inseln geforscht und sogar einen Pilotenschein gemacht, um Vögeln in der Luft zu folgen. Im Verhalten von Störchen, Fledermäusen, Meeresschildkröten und Co. stecken für ihn Informationen von globaler Bedeutung. Und er setzt auf Spitzentechnologie, um es zu entschlüsseln.
    "Moderne Hightech ist für uns essentiell in der Freilandbiologie, weil wir nur damit Tiere beobachten können zu Zeiten, wo sie bisher einfach immer verschwunden waren."
    An einer Wand in Wikelski Büro hängt ein geschwungenes Schild mit der Aufschrift "Antenna Shop". Darunter liegen aufgereiht Daten-Logger von der Größe einer schmalen Streichholzschachtel. Knapp 2000 Euro kostet einer davon. Auf dem Rücken befestigt messen die Logger die Körpertemperatur, orten die Position per GPS und registrieren, ob sich ein Tier bewegt. Energie spendet eine Solarzelle. Einige der Böhringer Störche tragen bereits Logger. Im Sommer soll auch der bis dahin geschlüpfte Nachwuchs besendert werden.
    "Wir können jetzt praktisch von einem Storch im Süd-Sudan, im Tschad, in Mali, in Saudi-Arabien feststellen, was er gerade macht, frisst er gerade, fliegt er."
    Martin Wikelski, Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell, mit einem Modell der Antenne, die an der Internationalen Raumstation befestigt werden soll (linke Hand) und einem GPS-Sender, der bei Ziegen eingesetzt wurde.
    Martin Wikelski, MPI für Ornithologie, mit einem GPS-Logger (links) und einem Antennen-Modell für die Internationale Raumstation. (Lennart Pyritz)
    GPS-Rucksäcke im Miniatur-Format, Herzraten-Logger, Geolokatoren – die Technik wird immer ausgefeilter, und sie liefert immer mehr Daten. Die könnten nicht nur den Naturschutz revolutionieren, schwärmt Wikelski.
    "Ich glaube der Quantensprung ist wirklich, dass wir Tiere über deren gesamte Lebenszeit und auf der ganzen Welt beobachten können. Weil die großen Fragen in der Biologie, die ungeklärt sind, sind weiterhin: Jugendentwicklung, also wie entwickeln sich Merkmale während der Lebenszeit eines Individuums, und wo überlebt ein Tier, und wo stirbt's. Wir haben keine Ahnung."
    "So this is my field car. Usually it's equipped with an antenna that allows us to track birds while they are moving. Usually we try to follow the migration also. And here in the field site it helps me to locate where my birds are, too."
    Ende März. Kurz vor Sonnenaufgang rumpelt Daniel Zuñega mit bunter Pudelmütze im institutseigenen VW-Bus über reifgesäumte Feldwege. Auf dem Dach die Vorrichtung für eine große Radio-Richtantenne. Mit der können Signale der besenderten Tieren geortet und verfolgt werden. Am Waldrand hält er an. Langsam geht die Sonne auf. Der Doktorand und eine Assistentin beginnen damit, Japannetze auf einem Waldweg aufzustellen – feinmaschige schwarze Netze, die an zwei dünnen, in den Boden gerammten Metallstangen aufgespannt werden.
    "Wir versuchen heute Amseln zu fangen, die bereits einen GPS-Logger oder einen Telemetrie-Sender tragen. Wir wechseln die Sender. Und wenn wir unbekannte Amseln fangen, statten wir sie mit Technik aus."
    Zehn Netze hat Zuñega aufgestellt. Zunächst gibt es nur "Beifang": Ein Rotkehlchen, eine Meise und ein Goldhähnchen verheddern sich in den Maschen. Zuñega lässt sie sofort wieder frei. Beim dritten Kontrollgang hat er Glück. In einem der Netze flattert ein Amsel-Männchen. Ein alter Bekannter.
    "So now, we have recaptured one of the GPS-birds...cool."
    Behutsam befreit Zuñega den Vogel und trägt ihn zum Auto.
    "So I take basic measurements, for example tarsus length..."
    Die Beringungsnummer der Amsel wird notiert. Der Vogel gewogen und vermessen.
    "The new one at least is working..."
    Wanderverhalten der Amseln
    Dann testet Zuñega einen neuen GPS-Logger. Ein anderes Modell als das in Wikelskis Büro, Es ist nur etwa so groß wie eine Speicherkarte. Er befestigt das Gerät mit elastischen Bändern wie einen Rucksack zwischen den Flügeln. Obendrauf klebt er zusätzlich einen bohnengroßen Radio-Sender mit Antenne. Dann wird die Amsel wieder in die Freiheit entlassen.
    "Diese GPS-Logger wiegen nur 3 bis 3,5 Gramm. Ich versuche alle 30 Minuten einen Datenpunkt zu bekommen. Mit Glück halten die Logger dann drei bis vier Wochen."
    Die Sonne steht inzwischen hoch am Himmel. Am Waldrand verstaut Zuñega Logger, Netze und Gestänge im Auto. Zwei Amseln hat er heute gefangen. Die Daten der Vögel sollen helfen, ein Rätsel zu lösen, erzählt er: Ein Teil der Amseln verlässt Deutschland im Winter und zieht nach Süden, der andere bleibt vor Ort.
    "Die Daheimbleibenden könnten sich den Zugang zu besseren Revieren sichern als die ziehenden Amseln, weil sie früher im Jahr dort sind."
    Das Zugverhalten der Amseln ist zumindest zu einem gewissen Grad flexibel. Inwieweit genetische oder Umwelt-Einflüsse die Amseln zum Wandern bewegen, wissen die Forscher noch nicht.
    "Wir sehen Wechsel im Zugverhalten. Es gibt Amseln, die ziehen im Herbst und im nächsten Jahr ziehen sie im Winter. Oder sie ziehen im Winter und bleiben im nächsten Jahr zu Hause. Aber wir haben noch keine Vögel beobachtet, die ihr Verhalten komplett von Herbst-Zieher auf ortsansässig umstellen. Es scheint also den Zwischenschritt der Winter-Migration zu geben. Und die könnte von Umweltbedingungen abhängen. Wenn es sehr kalt wird und die Nahrung knapp, könnten sich die Tiere zum Ziehen entscheiden."
    Ein VW-Kastenwagen steht auf einem Feld, vor der geöffneten Seitentür steht der Ornithologe Daniel Zunega vom Max-Planck-Institut für Ornithologie, Radolfzell.
    Daniel Zunega steht vor dem Einsatzwagen des Max-Planck-Instituts für Ornithologie, Radolfzell. (Lennart Pyritz)
    Künftig sollen die Geräte so klein sein, dass die Amseln auch lange Strecken damit zurücklegen können. Über das Gewicht entscheidet vor allem die Batterie. Neue Entwicklungen treiben die Miniaturisierung der Logger immer weiter voran, erzählt Martin Wikelski.
    "Das heißt in Zukunft werden wir den etwa, na ja, ein Fünfzigstel so groß haben und damit wirklich auch kleine Tiere besendern können."
    Als Faustregel gilt: Die aufgeschnallte Technik darf nicht mehr wiegen als fünf Prozent der Körpermasse.
    "Natürlich beeinflussen wir etwa Vögel in ihrem Verhalten, ihrer Manövrierfähigkeit und Wanderbewegungen. Wir sollten wirklich aufpassen, die negativen Effekte zu minimieren."
    Susanne Åkesson, Evolutionsökologin an der Universität Lund in Schweden und Direktorin des dortigen "Centre for Animal Movement Research", kurz CAnMove.
    "Bei unseren Mauerseglern hatten wir erst große Sorge, weil es Vögel sind, die sich ständig in der Luft aufhalten. Allerdings konnten wir sie beim Brüten in Nistboxen filmen. Also haben wir die Geräte während der Brutphase getestet, und es ging alles gut. Tatsächlich sind später auch 80 Prozent der technisch ausgerüsteten Vögel von ihrem Zug nach Afrika zurückgekehrt, das entspricht der natürlichen Rate. Die Geräte hatten also offenbar keinen großen Einfluss."
    Für die Mauersegler haben die Forscher Geolokatoren genutzt. Die Geräte sind einfacher aufgebaut als GPS-Logger und wiegen nur etwa ein Gramm. Über eine Fotozelle messen sie die Lichtstärke der Umgebung über die Zeit. Daraus können die Koordinaten der Tiere bestimmt werden. Die technischen Möglichkeiten sind für Susanne Åkesson noch lange nicht ausgeschöpft.
    "Hightech wird eine zentrale Rolle spielen, besonders wenn die Systeme immer kleiner werden. Dazu werden neue Sensoren kommen. Vielleicht können wir bald weitere physiologische Werte messen, nicht nur die Herzrate, sondern auch Hormon-Spiegel. Da können wir noch viel lernen!"
    Haie durchqueren den Pazifik
    Bereits heute erfahren Biologen dank der neuen Methoden von Eigenschaften, die sie zuvor nicht für möglich gehalten hätten.
    "Wir haben einmal einen Hai in Kalifornien ausgerüstet. Im darauf folgenden Jahr haben wir den Logger nur 100 Meter von dem Ort geborgen, an dem wir den Hai getaggt hatten. Man könnte denken, das Tier sei das ganze Jahr über dort geblieben. Aber dann zeigte sich: Der Hai war bis nach Hawaii und zurück geschwommen."
    Taylor Chapple, Wissenschaftler an der Hopkins Marine Station in Monterey. Sein Team erforscht die Wanderungen unterschiedlicher Hai-Arten vor der US-Westküste. Dabei müssen sie innovativ sein – GPS-Signale lassen sich im Wasser nicht wie an Land übertragen.
    Blick auf den Rücken eines Haies, auf dem zwei Instrumente angebracht sind, mit denen kalifornische Forscher die Bewegungen des Tieres aufzeichnen und übermitteln.
    Ein Hai mit zwei Instrumenten des TOPP-Projektes aus Kalifornien. (Scott Anderson/Hopkins Marine Station, Stanford University)
    "Bei Weißen Haien nutzen wir zum Beispiel Akustik-Sender, um kleinräumige Bewegungen zu untersuchen. Die senden über 500 Meter Pulsgeräusche aus. Die nehmen wir mit Empfangsstationen auf, an der Küste oder auf wellenreitenden Plattformen. Das sind autonome Roboter, die für uns den Ozean abhören."
    Ein weiterer Geräte-Typ berechnet die Koordinaten aufgrund der Lichtverhältnisse und sammelt Daten zu Wassertiefe und -temperatur. Sobald der Hai auftaucht, funkt der Sender die Daten via Satelliten an die Forscher und lässt sie die langen Wanderungen mitverfolgen. Chapple und seine Kollegen haben auch ein Gerät für Hammerhaie entwickelt, das das Magnetfeld um die Fische herum verändert."
    VO: Wir glauben, dass Haie mit Hilfe von Magnetfeldern navigieren, ähnlich wie Vögel. Die einzige Möglichkeit, das an frei lebenden Tieren zu untersuchen, ist, ihnen ein Gerät mitzugeben, das das magnetische Feld um sie herum beeinflusst."
    Die Geräte haben korrodierende Sollbruchstellen oder andere Mechanismen, die sie nach einigen Wochen oder Monaten abfallen lassen. Wie die Haie technisch aufgerüstet werden, hängt von der Art ab. Hammerhaie werden gefangen und auf den Rücken gedreht. Dadurch geraten sie in eine Starre, während ihnen die Sender angelegt werden. Anders beim Weißen Hai.
    "So große Tiere sollte man nicht aus dem Wasser angeln. Wir pflanzen ihnen die Sender neben der Rückenflosse ein, mit einem drei Meter langen Aluminium-Stab, während der Hai schwimmt."
    Martin Wikelski: "Was wir inzwischen wissen, ist, dass biologische Phänomene im Labor manchmal 180 Grad anders sind als im Freiland. Das heißt, wenn man was untersucht im Labor, kann es sein, dass man genau das Gegenteil von dem findet, was im Freiland passiert."
    In den Bergen und Grasländern zwischen Peru und Feuerland leben Tuko-Tukos oder Kammratten. Nagetiere mit gedrungenem Körper und kleinen Ohren, die selbst gegrabene Bauten bewohnen, Wurzeln und Knollen fressen. Nach Beobachtungen im Labor galten die Tiere als nachtaktiv. Eine erste Studie im Freiland zeigte: Sie waren hauptsächlich tagsüber unterwegs.
    Wie reagieren Marder auf Zersiedelung?
    Immer wieder erleben die Forscher Überraschungen. Im US-Bundesstaat New York hat Scott LaPoint für seine Doktorarbeit Fischermarder beobachtet, größere Verwandte der europäischen Marder. Die Raubtiere bevorzugen Waldgebiete. Die sind allerdings durch Straßen und Baugebiete unterbrochen. LaPoint analysierte, welche Verbindungswege die Marder nutzen. Dabei waren die Logger so programmiert, dass sie flexibel auf das Verhalten der Tiere reagierten.
    "Wenn das Tier aktiv umherlief, zeichnete der GPS-Logger alle zwei Minuten einen Datenpunkt auf. Ruhte der Marder speicherte er nur einen pro Stunde."
    Zusätzlich stellten LaPoint und seine Kollegen Kamera-Fallen auf, die vorbeiziehende Marder automatisch fotografierten. Die Ergebnisse verglichen sie mit mathematischen Modellen. Die fußten auf der Annahme, dass die Marder Wald-Korridore brauchen.
    "Unsere Freiland-Daten haben dagegen gezeigt, dass die Marder ganz unterschiedliche Korridore nutzen: Manchmal Wald, aber auch Uferstreifen, Golfplätze und sogar Straßen. Normalerweise überqueren Fischermarder keine Straßen, aber in dieser zersiedelten Landschaft tun sie es."
    Die Modelle sagten nur fünf der 23 tatsächlich genutzten Korridore voraus - tatsächlich verhielten sich die Marder weitaus flexibler als am Computer berechnet.
    Millionenfach schwimmen, fliegen und wandern Tiere jeden Tag durch Meer, Luft, Berge und Savannen. Ihre Routen verraten viel über die eigene Art. Doch die Erwartungen gehen weiter: Die Evolution hat aus den Tieren selbst sensible Sensoren gemacht. Ihr Verhalten ist gleichzeitig ein Gradmesser für den Zustand ihrer Umgebung. Ein feinmaschiges, weltumspannendes Netz, das darauf wartet, ausgelesen zu werden. Etwa von Dina Dechmann. Sie untersucht eine Art, die eine ebenso bedrohliche wie unersetzliche Rolle in Afrika spielt.
    Fliegende Gärtner
    "Flughunde sind ganz, ganz wichtige Samenausbreiter und Bestäuber. Und unsere Fokus-Art, der Palmenflughund, Eidolon helvum, ist wahrscheinlich die wichtigste Art in dieser Hinsicht, weil sie sehr große Distanzen jede Nacht von den Quartierbäumen zu den Futterbäumen zurücklegt. Das können bis zu 88 Kilometer pro Individuum, ein Weg, sein, dabei mehrere Bäume besucht und zusätzlich noch eben zieht über mehrere Ländergrenzen und bis zu 2000 Kilometer."
    Aber Flughunde verbreiten nicht nur Samen und pflanzen so neue Bäume. Sie können auch Krankheitserreger übertragen, unter anderem das Ebola-Virus. Auch Dina Dechmann forscht am MPI für Ornithologie. Gemeinsam mit ihren afrikanischen Kollegen kämpft sie darum, dass die für den Menschen gefährliche Eigenart nicht die ökologische Bedeutung der Tiere überdeckt.
    Verschiedene Flughunde drängen sich um Obst.
    Flughunde sind ganz versessen auf Früchte. (Picture Alliance/DPA - Bernd Thissen)
    Künftig wollen Wikelski und seine Kollegen anhand der tierischen Sensoren Epidemien sogar frühzeitig erkennen.
    "Wie wandern die Tiere. Und vor allem, wie wandern sie, wenn sie krank sind, und was machen sie dann. Interagieren sie mit ihren Artgenossen? Mit irgendwelchen Haustieren?"
    Um kranke Tiere zu erkennen, wollen sie künftig auch physiologische Messgrößen sammeln. Mit Geräten, so Wikelski,...
    "...die man eben dann wie einen Herzschrittmacher implantiert. Und die können dann die Herzrate und die Körpertemperatur feststellen und an uns übertragen, erst mal nur lokal über Funk, aber später dann auch über Satellit. Und damit können wir natürlich wo auch immer auf der Welt feststellen, ob ein Tier gerade Fieber hat, sich sein Verhalten ändert und sich natürlich auch sein Energieverbrauch oder die Herzrate ändert."
    In Schweden haben die Forscher bereits entsprechende Logger bei Enten implantiert. Auf einem Flugweg, der auch bei der Ausbreitung der Vogelgrippe und anderer viraler Erkrankungen aus China und Russland eine Rolle spielt.
    Martin Wikelski: "Und da sind wir gerade dabei zu verstehen, welche physiologischen Muster sehen wir da bei den Enten. Also wenn so eine Viruserkrankung durchkommt, wie ändert sich die Körpertemperatur, wie ändert sich das Verhalten, wie ändert sich die Herzrate."
    Ziegen sagen Eruptionen voraus
    Geflügel könnte in Zukunft nicht nur Epidemien anzeigen, sondern auch als Frühwarnsystem bei anderen Bedrohungen dienen. Schließlich sollen schon Gänse einer Legende nach durch ihr Geschnatter das antike Kapitol in Rom vor Plünderern bewahrt haben, die sonst niemand rechtzeitig bemerkt hatte.
    "Tiere sind ja seit dem Altertum dafür bekannt, dass sie auch, vielleicht, Naturkatastrophen voraussagen können. Es gibt immer wieder Hinweise darauf: Bei jedem Erdbeben, jedem Tsunami, heißt es, die Tiere hätten es vorher gewusst. Aber es gab eben keine systematischen Untersuchungen."
    2011 reiste Wikelski mit einem Team auf die italienische Insel Sizilien – zum Ätna, dem höchsten und aktivsten Vulkan Europas. Ursprünglich sollten Gänse ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen...
    "Und dann haben aber die lokalen Ziegenhirten gesagt: Nee, nee, nehmt die Ziegen – also die laufen auch wild am Ätna rum – die sind am sensitivsten."
    Das Team um Wikelski vertraute den Hirten und nutzte eine der wenigen Gelegenheiten, zu der die Ziegen ins Tal getrieben wurden, um einige Tiere mit knapp 400 Gramm schweren GPS-Halsbändern auszustatten. Neben der Position nahmen diese auch die Beschleunigung in drei Achsen auf. Nach einigen Monaten kehrten die Forscher zurück, lasen die Daten der Halsbänder über ein lokales Funknetz aus und verglichen sie mit den Messungen italienischer Vulkanologen.
    "Und dann kam raus, die Ziegen könnten uns jeden von den großen Ausbrüchen voraussagen. Die kleinen, also wenn es nur einen Auswurf gibt von Lava intern in den Krater oder ein bisschen Gas, das rauskommt, das ist denen egal. Aber wenn es einen richtig großen Ausbruch gibt, werden sie vorher nervös. Wenn es nachts passiert stehen die auf, werden unruhig, die Beschleunigung nimmt zu – das ist das, was wir messen können. Oder wenn es tagsüber passiert, dann laufen die zu Orten, wo Bäume stehen, wo sie sich unterstellen können und wo sie sich sicherer fühlen."
    Wie die Ziegen die Erdbeben vorausahnen, ist noch unklar. Ohnehin wird noch einige Zeit vergehen, bis sie als Frühwarnsystem etabliert werden könnten.
    "Das ist so neu und so verrückt eigentlich, dass viele Leute noch sagen: Also das glauben wir erst einmal nicht. Und wir sagen natürlich auch selber, wir brauchen noch sehr viel mehr Daten von verschiedenen Gegenden der Welt, verschiedenen Tierarten, um wirklich zu sehen, ob das stimmt."
    Jungstörche im Dienst der Forschung
    Ein sonniger Nachmittag Ende Juni. Zurück bei den Störchen in Böhringen. Vor der ockerfarbenen katholischen Kirche mit Zwiebelturm parkt ein Wagen der Freiwilligen Feuerwehr. Zwei Männer stehen im Korb und manövrieren die Drehleiter von einem Nest auf dem Dachfirst hinab zum Boden. In der Hand zwei Bananenkisten.
    Andrea Flack: "Wir besendern alle Jungstörche in diesem Dorf beziehungsweise 60 Jungstörche. Und im Moment fahren wir gerade mit der Feuerwehr hoch, um die Jungstörche aus dem Nest zu holen, um dann die GPS-Sender anzubringen."
    Lennart Pyritz: "Also die bringen die in diesen Pappkartons hier runter und die werden dann hier unten besendert?"
    Flack: "Genau, ja, die werden hier unten besendert und auch beringt."
    Pyritz: "Und die lassen sich so einfach schnappen da im Nest, die Jungstörche?"
    Flack: "Der Trick ist, dass man von oben kommt. Als Abwehrmechanismus ducken die sich dann und setzen sich hin, und dann kann man sie ganz einfach greifen."
    Am Boden warten 40 Schülerinnen und Schüler aus Singen und Konstanz: Freiland-Unterricht in Verhaltensbiologie. In der Mitte der Zuschauertraube stehen Andrea Flack und Wolfgang Fiedler und nehmen die beiden Pappkartons entgegen. Darin ducken sich vier Jungstörche. Mit sieben bis acht Wochen sind sie schon fast so groß wie ihre Eltern. Die Wissenschaftler vom MPI knien sich in den Schatten der Kirche, vermessen Schnabellängen und Spannweiten und schnüren die GPS-Sender wie kleine Rucksäcke zwischen die Flügel.
    Deutschlandfunk-Reporter Lennart Pyritz interviewt Martin Wikelski, MPI für Ornithologie, Radolfzell.
    Deutschlandfunk-Reporter Lennart Pyritz interviewt Martin Wikelski, MPI für Ornithologie, Radolfzell. (Lennart Pyritz)
    Flack: "Es gibt zwei Arten von Loggern. Die alten senden zweimal am Tag eine SMS mit jeweils fünf GPS-Positionen. Und die neuen senden ihre kompletten Daten, also GPS- und Beschleunigungs-Daten per GPRS."
    Die monatliche Telefonrechnung am Institut ist vierstellig – trotz Spezialtarif für weltweites Roaming. Die Logger speichern weit mehr Daten, als sie verschicken. Die können die Forscher mit einem Handgerät aus der Nähe auslesen, vorausgesetzt man sieht sich wieder.
    Auch Martin Wikelski ist unter den Schaulustigen
    "Ja, das ist richtig schön zu sehen, dass es jetzt losgeht, dass die ganzen Jungstörche besendert sind und dann demnächst losziehen und wir verstehen werden, hoffentlich, wie sie interagieren."
    Viel vorgenommen hat sich auch Taylor Chapple. Ab Herbst wollen er und seine Kollegen nicht nur wissen, wo sich die Haie aufhalten, sondern auch mit den Augen der Räuber sehen.
    "Unser nächstes Ziel ist es, die Tiere mit Sensoren und Kameras auszurüsten. Durch die Videos können wir dann über Monate hinweg ihr Verhalten analysieren, auch wenn sie weit draußen im Meer schwimmen."
    Mobiles Biosphären-Observatorium
    Und auch Susanne Åkesson und ihre Kollegen vom CanMove-Zentrum rüsten auf. Gemeinsam mit Physikern und Computer-Experten haben sie das Lund University Mobile Biosphere Observatory entwickelt, kurz LUMBO.
    "Das ist ein Observatorium, mit dem wir mittels Laser und LiDAR Insekten aus der Ferne identifizieren können. Wir haben das auch schon für Vögel getestet."
    Die optischen Instrumente, Laserquelle, Teleskop und Infrarotkamera, liegen unter einer wetterfesten, weißen Kuppel. LUMBO kann von einem Lastwagen transportiert und an beliebiger Stelle abgesetzt werden. Mit Hilfe reflektierter Laserstrahlen werden dann Eigenschaften von Objekten in der Luft bestimmt, entlang eines mehrere Kilometer umfassenden Transekts. Im Herbst soll LUMBO den Vogelzug über Schweden vermessen, auch bei Nacht und bis in Höhen von 2000 Metern.
    Åkesson: "Wir werden künftig Insekten im Flug identifizieren können, abhängig von ihrer Größe, Flügelschlag-Frequenz, Reflexion und so weiter. Und für die Vögel können wir das reflektierte Laserlicht analysieren und bekommen unterschiedliche Signale abhängig von der Gefieder-Farbe."
    In Böhringen gibt es viel zu tun. Einen Horst nach dem anderen klappert die Feuerwehr ab. Der nächste liegt im Garten eines Wohnhauses. Im Schatten einer Hecke hilft Wolfgang Schäfle beim Beringen der Nestlinge. Sein Spitzname: Storchenvater. Seit mehr als 30 Jahren kümmert er sich ehrenamtlich um die Böhringer Störche und hat einige Geschichten für die schaulustigen Kinder parat.
    Ein Storch mit einem Sender auf dem Rücken liegt auf einem Tuch.
    Einer der drei besenderten Störche, die nach der Deutschlandfunksendung "Wissenschaft im Brennpunkt" Wibi 1 bis 3 benannt wurden. (Lennart Pyritz)
    "Jetzt erzähl ich Euch noch was. Schaut mal, die haben verkackte Beine. Seht Ihr das? Das Weiße. Wisst Ihr, warum die das machen? Das hat einen Grund."
    Schüler: "Weil es cooler aussieht?"
    Schäfle: "Nein, ganz bestimmt nicht."
    Schüler: "Ah, weil die nicht Schwitzen können vielleicht."
    Schäfle: "Nicht ganz. Aber das ist denen Ihr Sonnenschutzmittel."
    Schüler: "Wollte ich gerade sagen..."
    Schüler: "Bäähhh."
    Für all die SMS der Störche gibt es mittlerweile eine Sammelstelle – Movebank: eine internationale Datenbank für alle erdenklichen Tierbewegungen, auf der Wissenschaftler Informationen austauschen und analysieren können. Martin Wikelski will sie bald mit noch viel mehr Daten füttern – aus dem All.
    "Das wird ein Riesen-Durchbruch, weil wir dann mit kleinsten Sendern weltweit funken können und diese Informationen auch von kleinen Tieren übertragen können. Weil im Moment kann man natürlich einen Elefant oder Storch besendern. Aber die Vögel oder Fledermäuse oder Fische, die für uns wirklich wichtig sind, sind meistens relativ klein."
    Überwachung aus der Umlaufbahn
    Ende 2015 sollen Kosmonauten eine Antennenanlage auf der Internationalen Raumstation installieren – eine Relaisstation zwischen den Tiersendern und einem Betriebszentrum am Boden. ICARUS heißt das Projekt. Der Vorteil: Regelmäßig überfliegt die ISS jeden Ort auf der Erde in nur etwa 400 Kilometer Höhe, auch solche ohne Mobilfunkabdeckung. Zusätzlich ist die geplante Technik moderner als alle bisher genutzte.
    "Dass wir wirklich mit kleinsten Sendeleistungen in den Weltraum funken von überall auf der Welt und diese Informationen zu uns zurück bringen."
    ICARUS ist nicht kommerziell ausgerichtet.
    "Das heißt, es ist ein Forschungssystem, das wirklich Forschern auf der ganzen Welt ermöglicht, die Zusammenhänge der Lebensbedingungen zu verstehen."
    Inzwischen liegt ein modriger Geruch in der Böhringer Luft: die Störche stinken nach Tümpel, Erde und ungemachtem Nest. Nach einer Viertelstunde Arbeit pro Tier geht es wieder hinauf zum Horst. Der Drehleiter-Korb schwankt leicht beim Aufstieg. An der Baumkrone angekommen, legt Wolfgang Schäfle die besenderten Störche behutsam zurück ins Nest. In etwa zwei Wochen werden sie flügge.
    Martin Wikelski: "Wir nehmen die Daten auf wie früher die Naturkundler, die rausgegangen sind und für Museen gesammelt haben. Und so ist es jetzt auch, dass wir mit Hightech sehr viel mehr Information sammeln über die Tiere, über deren Verhaltensweisen, deren physiologische Parameter, deren Entscheidungen, wo wir jetzt überhaupt noch nicht abschätzen können, wie wichtig die sind in Zukunft."
    80 Millionen Positionspunkte von 400 Tierarten: Ergebnisse hunderter Forschungsprojekte aus Afrika, Amerika, Europa, Asien und Australien sind bereits in Movebank gespeichert. Die Vermessung der Welt hat gerade aufs Neue begonnen.