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Hightech-Studentenwohnheim Cubity
Neue Hoffnung auf dem Wohnungsmarkt

Studierende stoßen schnell an ihre finanzielle Grenzen, wenn sie bezahlbaren Wohnraum in Großstädten suchen. In Frankfurt wird zurzeit das Wohnprojekt Cubity erprobt: Studierende wohnen hier in winzigen Wohnboxen, jede gerade mal sieben Quadratmeter klein. Die jungen Leute sind dennoch sehr zufrieden.

Von Christian Welp | 26.07.2017
    Besonders in Ballungszentren ist der Bedarf an Wohnungen gestiegen
    Drastische Reduktion des Individualraums zugunsten großer, attraktiver Gemeinschaftsflächen: So funktioniert das Cubity-Konzept in Frankfurt, eine Alternative auf dem Wohnungsmarkt. (dpa / picture-alliance / Armin Weigel)
    Als Barbara M. vor drei Jahren eine Zusage fürs Medizinstudium an der Frankfurter Goethe-Uni bekam, machte sie sich sogleich auf die Wohnungssuche. Am liebsten wäre die damals 19-Jährige in eine eigene Wohnung gezogen, doch Kaltmieten von 600 Euro für 45 Quadratmeter lagen klar über ihrem Budget. Auf dem Internetportal Studenten-WG fand sie schließlich ein WG-Zimmer in Nähe des Frankfurter Hauptbahnhofs. "Also, am Hauptbahnhof, das ist ein großes Rotlichtviertel mit Prostitution überall. Und auch in unserem Haus gab es so etwas. In zwei oder drei von den acht Wohnungen in dem Haus ist angeschafft worden, und da klingelten also unten ständig welche an der Tür."
    Nach drei Monaten wollte Barbara M. nur noch raus aus der WG im Bahnhofsviertel. Kurz vor Semesterbeginn entschied sie sich notgedrungen für ein Zimmer im Wohnheim eines privaten Investors. "Ich habe noch nie so viele Angeber auf einem Haufen gesehen. Für mich sind 610 Euro für ein 20 Quadratmeter großes Zimmer in dem sogenannten 'Premium-Wohnheim' einfach nur krasse Wucher. Als ich fünf Monate später wieder raus bin da, wollten die auch noch 300 Euro von der Kaution einbehalten, weil das Zimmer angeblich professionell nachgereinigt werden müsse."
    Heute wohnt die 22- Jährige gemeinsam mit ihrem Freund in Oberursel im Taunus. 30 Minuten brauchen die beiden morgens, um mit dem Auto in die Frankfurter Innenstadt zu gelangen. Ideal ist das nicht, finden sie.
    "Wie ein Blechkasten"
    Cubity heißt das Projekt, auf dem im Kampf gegen die Wohnungsnot in Frankfurt große Hoffnungen ruhen. Das Hightech-Studentenheim haben Studierende der TU Darmstadt konzipiert. Der 16 mal 16 Meter große Cubity-Prototyp mit großer Photovoltaikanlage auf dem Dach steht jetzt im Frankfurter Stadtteil Niederrad, inmitten einer Wohnhaussiedlung aus den 50er-Jahren. Mit seiner Fassade aus milchfarbenen Polycarbonatplatten erinnert das Gebäude an eine Lagerhalle. Bei einigen Anwohnern löst der Anblick kein Entzücken aus. "Weil es nicht schön aussieht, ganz einfach." -
    "Wie so ein Blechkasten." - "Das sieht doch unmöglich aus."
    Elf Studierende machen den Praxistest. Im Herbst vergangenen Jahres haben sie ihre Zimmer im Cubity bezogen, die Cubes. Jedes ist gerade mal 7,2 Quadratmeter groß. Zwar ist es den Architekten gelungen, auf der winzigen Fläche Bett, Schreibtisch, Kleiderschrank und sogar ein kleines Bad unterzubringen, aber zu langen Aufenthalten außerhalb der Schlafzeiten laden die Cubes nicht unbedingt ein. Dafür bietet das Wohnheim eine große, ansprechende Gemeinschaftsfläche im Loft-Stil mit offener Küche und Esstisch. Hier kommen die Bewohner zusammen, um zu kochen, zu essen und zu plaudern.
    Der 19-jährige Yannic Bakhtari, der in Frankfurt Politikwissenschaft studiert, schätzt den intensiven Kontakt mit den anderen Bewohnern des Cubity sehr. "Bei vielen Wohnheimen ist es so, dass man teilweise nicht wirklich weiß, wer neben oder über einem wohnt. Das ist hier anders. Hier sind die Zimmer halt so klein, dass einem irgendwann die Decke auf den Kopf fällt, wenn man da immer drin bleibt. Deswegen ist man gezwungen, mit den anderen Kontakt zu haben. Man trifft sich immer in der Küche oder so, oder vor allem bei der Größe ist es so, dass, wenn ich nach Hause komme, ich weiß, da ist wahrscheinlich immer irgendwer da, mit dem ich mich unterhalten kann. Das finde ich super."
    Soziologische und energetische Forschung
    Drastische Reduktion des Individualraums zugunsten großer, attraktiver Gemeinschaftsflächen: Die Architekten sehen das als Antwort auf das Phänomen der Vereinsamung in den großen Wohnheimen. Ob Cubity die Studierenden einander näher bringt, beobachtet regelmäßig ein Soziologe der TU Darmstadt.
    Doch nicht nur sozialwissenschaftlich soll der Prototyp in Niederrad wichtige Erkenntnisse liefern, sagt Elisa Stamm vom Fachbereich Architektur der TU Darmstadt. "Naja, man muss dazu sagen: Cubity ist extrem technisiert. Wir betreiben hier auch energetische Forschung, und das heißt, wir haben extrem viel Sensorik, und im Optimalfall steuert sich das Gebäude komplett alleine. Das heißt, die Bewohner müssen noch nicht mal die Fenster öffnen, wenn es zu warm wird, sondern das geht alles von alleine. Das bedeutet, wir haben extrem viele Technik-Schnittstellen, und wo viel Technik verbaut ist, kann natürlich auch schnell mal was ausfallen, gerade am Anfang."
    Im Winter, erzählt ein Cubity-Bewohner, als es draußen Minus zehn Grad kalt war, sei einmal für zwei Tage die Heizung ausgefallen, wegen eines eingefrorenen Sensors. Bei 15 Grad Raumtemperatur hätten die Studierenden schlotternd am Esstisch gesessen und die Konstrukteure ihres High-Tech-Wohnheims verflucht. Doch dann habe einer heißen Tee gekocht und warme Wolldecken verteilt, und man habe sich gegenseitig Mut zugesprochen. Der Soziologe im Cubity dürfte dieses Ereignis als "für die Gruppenmoral förderlich" vermerkt haben.