Montag, 15. April 2024

Archiv

Hilary Mantel
Der Mörder ist immer der Klempner

Hilary Mantel, die "Großmeisterin des ausufernden historischen Romans", kann auch kurz. Ihr neues Buch "Die Ermordung von Margaret Thatcher" ist eine Sammlung von Erzählungen, die mit der größten Selbstverständlichkeit und stilistisch makellos die ungeheuerlichsten Ereignisse ausbreitet.

Von Hartmut Kasper | 07.07.2015
    Die britische Autorin Hilary Mantel, hier bei der Verleihung der London Evening Standard Theatre Awards 2014 im Palladium.
    Die britische Autorin Hilary Mantel, hier bei der Verleihung der London Evening Standard Theatre Awards 2014 im Palladium. (imago/Matrix)
    Hilary Mantel wurde 1952 in England geboren. Sie studierte Jura und war als Sozialarbeiterin tätig. Fünf Jahre lang lebte sie in Botswana, vier in Dschidda in Saudi-Arabien. Für ihren Roman "Wölfe" erhielt sie 2009 den Booker Preis; vier Jahre später noch einmal für die Fortsetzung "Falken". Kritiker haben sie dafür als die "Großmeisterin des ausufernden historischen Romans" bezeichnet. Im Jahr 2014 ernannte Königin Elisabeth II sie zur Dame Commander des Most Excellent Order of the British Empire; ihr Bild hängt in der British Library. Staatstragender ist kaum denkbar.
    Die Titelgeschichte ihrer Sammlung von Erzählungen aber klingt weniger nach Erhalt als nach Umsturz: "Die Ermordung von Margaret Thatcher" Margaret Thatcher wird demnach am 6. August 1983 erschossen. Die Ich-Erzählerin berichtet, welchen Anteil sie an diesem Attentat hat - einen zunächst ganz unfreiwilligen Anteil nämlich: Sie wohnt in Windsor, und zwar in einer "Straße mit hohen Häusern, die Fassaden wie mit weißem Zuckerguss bestrichen, das Mauerwerk honigfarben. [...] Im Sommer weht Musik aus offenen Fenstern: Vivaldi, Mozart, Bach. [...] Aus einem hochgelegenen Fenster über die Stadt sehend (wie ich es am Tag der Ermordung getan habe), spürt man die Nähe von Festung und Burg."
    Eigentlich wartet die Ich-Erzählerin in ihrer Wohnung auf den Installateur, einen Handwerker, der ihr von einer Zufallsbekanntschaft empfohlen worden ist. Er soll den Boiler reparieren. Doch der Mann, den die Erzählerin für den Installateur hält, ist in Wirklichkeit ein Attentäter.
    Drei Tage zuvor hat sich die Premierministerin in das gegenüberliegende Krankenhaus begeben, um sich einer Augenoperation zu unterziehen. Vom Fenster der Ich-Erzählerin hat man einen guten Blick auf die Klinik.
    Und freies Schussfeld.
    Warum will er Thatcher töten?
    Nur allmählich wird der Bewohnerin klar, welches Ziel dieser Mann tatsächlich verfolgt. Zunächst hält sie ihn noch für einen Fotografen auf der Suche nach einem Schnappschuss von der Premierministerin - Gelegenheit für eine schwarze Komödie in Miniatur:
    "'Wie viel bekommen Sie dafür?'
    'Lebenslänglich ohne Bewährung', sagte er.
    Ich lachte: 'Es ist kein Verbrechen.'
    'Das finde ich auch.'"
    Dann wird ihr die mörderische Absicht klar. Warum er Thatcher töten will?
    "'Drei Millionen Arbeitslose', sagte er."
    Mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt lässt sich die Ich-Erzählerin auf die Vorstellung ein, welche Wirkung wohl der Anschlag, wenn er denn gelänge, auf ihr Land hätte:
    "Ich dachte an die Touristentrauben, die sich gegenseitig von den Bürgersteigen drängten und um Andenkenblech und aufziehbare Beefeater kämpften. Es könnte ein anderes Land sein."
    Für die Premierministerien bringt sie kein Mitgefühl auf:
    "Ich dachte, sie hat keine Träne in sich. Nicht für die Mutter im Regen an der Bushaltestelle oder für den Seemann, der auf dem Meer verbrennt. Sie schläft vier Stunden pro Nacht und lebt von Whiskydämpfen und dem Eisen im Blut ihrer Beute."
    Die Ich-Erzählerin lässt nicht nur alles geschehen, sie kommt dem Attentäter zu Hilfe, indem sie ihm eine Tür öffnet, durch die er fliehen kann. Dann legt der Schütze an und wird Margaret Thatcher erschießen.
    Makellos und unverbraucht
    Mantels Geschichte frappiert. Ihre Sprache geht ins feinste Detail und erfasst Windsor, seine Mitbringsel-Buden und die Gegebenheiten vor Ort mit einer fotorealistischen Präzision. Ihr Stil ist makellos; jeder Satz klingt unerhört und unverbraucht.
    Doch die Welt, von der sie in dieser Sprache erzählt, ist eigenartig fragil. Einem Teil der Ich-Erzählerin bleibt durchaus bewusst, dass es in Wirklichkeit keinen solchen Anschlag auf Margaret Thatcher gegeben hat. Aber was heißt das schon für die Wirklichkeit?
    "Die Geschichte hätte immer auch anders sein können. Denn es gibt die Zeit, den Ort, die schwarze Gelegenheit: den Tag, die Stunde, die Neigung des Lichts".
    Mantels Erzählungen tragen Titel wie "Endstation", "Das Herz versagt ohne Vorwarnung" oder "Wie soll ich Sie erkennen?" Das klingt wie einfach aus dem Leben gegriffen und bereitet nicht wirklich auf die Doppelbödigkeit vor, auf die Abgründigkeit, die sich in den Geschichten auftut.
    Mantel erzählt mit der größten Selbstverständlichkeit von den ungeheuerlichsten Ereignissen. Von Ereignissen allerdings, die, trügen sie sich wirklich zu, das Radar der öffentlichen Wahrnehmung meist unterlaufen würden: Eine Ehe endet auf makabre Art tödlich; ein Gast nistet sich ungerufen ein im Leben der Gastgeberin; eine Frau sieht an einem verregneten Januarmorgen ihren toten Vater in einem Zug aus dem Bahnhof Clapham Junction fahren, Richtung Waterloo, und klagt:
    "Ich hatte nicht gewusst [...], dass die Toten losgelassen worden waren."
    Tatsächlich erwecken Mantels Erzählungen den Eindruck, als würde sich hier die Welt Schraubendrehung um Schraubendrehung entstellen.
    "Es könnte ein anderes Land sein."
    Ja, und eine andere Welt. Zu der die Autorin die Tür einen Spalt breit öffnet.
    Hilary Mantel: "Die Ermordung Margaret Thatchers"
    158 Seiten, DuMont Buchverlag Köln 2014, 18,00 Euro