Donnerstag, 28. März 2024

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Hilfe für Aufnahmeländer von Flüchtlingen verstärken

Jürgen Zurheide: Diese Meldung ist ganz typisch, die ich gerade auf meinem Computer aufgerufen habe, Cádiz/Lampedusa steht davor, stammt von der Nachrichtenagentur dpa und berichtet davon, dass beim Untergang eines Bootes mit 33 illegalen Einwanderern vor der Küste Südspaniens mindestens fünf Menschen ertrunken sind. Unter der Ortsmarke Lampedusa heißt es dann, der Zustrom nach Italien hält an. Das alles wissen wir und wir wissen auch, dass in Deutschland eine politische Debatte begonnen hat, wie man damit umgehen kann, Bundesinnenminister Otto Schily hat vorgeschlagen, Auffanglager in Afrika zu machen, das sorgt für heftigen Streit. Wir wollen mal etwas grundsätzlich über dieses Thema reden, Einwanderung, Zuwanderung, Armut und da wollen wir mit jemandem reden, der sich besonders gut auskennt auf diesem Gebiet. Ich begrüße ganz herzlich Martin Salm, den Leiter der Hilfsorganisation Caritas International. Was bewegt Sie, Herr Salm, wenn Sie hören, was Otto Schily vorhat?

Moderation: Jürgen Zurheide | 02.08.2004
    Martin Salm: Mich bewegt bei dieser Nachricht vor allem die Frage, ist das wirklich eine Lösung für das Flüchtlingsproblem, ist das wirklich eine Hilfe für Afrika, so wie das angekündigt wurde? Ich befürchte, dass es hier nur darum geht, den Wall um Europa noch ein Stückchen höher zu ziehen, aber dass dadurch nicht wirklich die Probleme gelöst werden. Die Leute, die sich heute auf diese lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer machen und sich den Schleusern anvertrauen, ich befürchte, dass sie das auch in Zukunft tun werden.

    Zurheide: Wenn wir noch einmal grundsätzlich fragen, es heißt ja dann häufig in Deutschland, wir können nicht viel mehr aufnehmen. Sie kennen nun viele andere Länder und kennen auch die Verhältnisse dort. Wenn Sie so etwas hören, wie, wir schaffen das nicht mehr, wir kriegen das nicht hin, was bewegt Sie dann?

    Salm: Gut, ich habe auch den Eindruck, dass die ganze Debatte davon ausgeht, dass die Flüchtlinge aus Afrika, die armen Menschen aus Afrika sich auf dem Weg nach Europa bewegen. Nichts ist falscher als das, die Flüchtlinge aus dem Darfur befinden sich im Darfur selbst und im benachbarten Tschad. Im Tschad sind es 200.000 Menschen, die einheimischen Menschen teilen dort das Wenige, das sie haben mit diesen 200.000 Menschen. Ein weiteres Land, das von Flüchtlingszuströmen sehr betroffen ist, ist Tansania, es hat dort etwa 700.000 Flüchtlinge, Deutschland hat 900.000, das zum Vergleich. Nur ist Tansania ein sehr armes Land, das diese Flüchtlinge seit zum Teil über zehn Jahren beherbergt und dort muss Hilfe geleistet werden. Es berührt mich dann schon etwas eigenartig, dass hier, wo die Flüchtlingszahlen so stark heruntergegangen sind, man so viel Energie darauf konzentriert, sich weiter abzuschotten.

    Zurheide: Auf der anderen Seite ist es natürlich so, es kann das Problem nicht dadurch gelöst werden, dass die Menschen zu uns kommen. Wir müssen wahrscheinlich auch mehr in den jeweiligen Ländern selbst tun und wir haben immer mal wieder Versprechen gemacht, die Entwicklungshilfe aufzustocken, da ist am Ende relativ wenig passiert. Beginnen wir doch erstmal damit, was müsste in den Ländern selbst passieren, was können wir da machen?

    Salm: Alle Erfahrung zeigt, dass die Flüchtlinge aus Konfliktregionen im Nachbarland bleiben, von dort zurückkehren wollen oder sich in dem Erstaufnahmeland reintegrieren wollen. Das ist in Tansania so, das ist in Westafrika so, das wird wahrscheinlich auch im Tschad so sein. Hierfür gibt es auch Strukturen, also diese Länder haben ja die internationale Flüchtlingskonvention unterzeichnet und sich zur Flüchtlingsaufnahme verpflichtet. Sie bekommen, um diese Aufgabe wahrnehmen zu können, internationale Unterstützung von den Hilfsorganisationen, vom UNHCR und so weiter. Wenn jetzt gesagt wird, wir müssen den Flüchtlingen in Afrika helfen, dann ist das im Prinzip richtig, aber wir brauchen dafür keine neuen Strukturen, wir brauchen dafür eher eine Aufstockung der Mittel. Und wenn wir sehen, dass in den letzten Jahren die Entwicklungshilfe aus Deutschland und auch die humanitäre Hilfe im Wesentlichen stagnieren, dann ist diese Ankündigung, jetzt zusätzliche Hilfe in Afrika zu leisten, nicht ganz glaubwürdig.

    Zurheide: Was machen Sie von der Caritas, wo sind Sie aktiv?

    Salm: Wir sind in sehr vielen Ländern Afrikas und auch in anderen Erdteilen aktiv. In Afrika kümmern wir uns vor allem um die Konflikte, von denen man hier in den Medien sehr wenig hört, zum Beispiel Angola, Kongo oder Burundi, in denen es sehr viele lokale Konflikte gibt. Aber sehr große Sorgen macht uns auch Westafrika, wo wir seit vielen Jahren in der Elfenbeinküste, in Sierra Leone, Liberia, Guinea helfen. Aus dieser Region stammt auch ein Großteil der Flüchtlinge, die versuchen durch die Wüste und über das Mittelmeer nach Europa zu kommen.

    Zurheide: Wie wichtig sind die Medien? Sie haben es gerade selber angesprochen, es gibt viele Konflikte, von denen man hier eher wenig hört. Es gibt Hinweise darauf, dass immer dann, wenn die Kameras dabei sind, etwas passiert, dann gibt es mehr Hilfe. Wobei das, das haben wir zuletzt bei der Aktion der Cap Anamur gesehen, sehr zweischneidig ist.

    Salm: Die Rolle der Medien ist sehr wichtig, die Medien prägen das Bild der Lage in der Welt, und was wir sehen, ist, dass der Fokus der Medien, insbesondere auch der Fernsehanstalten sich immer mehr auf näherliegende Konflikte konzentriert oder auf Konflikte, in denen, sage ich mal, hiesige, europäische Länder auch Interesse haben, Afghanistan oder ausgewählte Konfliktsituationen wie Sudan. Dabei werden sehr viele andere Problemzonen ausgeblendet, ich nannte schon einige in Afrika, aber es gibt noch einige andere in der Welt. Das macht uns auch das Helfen sehr schwierig, weil unsere Spender, auf die wir angewiesen sind, um Hilfe zu leisten, uns vor allem dort unterstützen, von wo die Medien Bilder liefern.

    Zurheide: Wenn wir jetzt noch mal zurückkommen auf das, was hier zu Lande getan werden kann. Sie sagen, auch da muss zum Teil mehr aufgenommen werden. Aufnehmen ist noch immer das eine, Integration der Menschen ist dann das andere, daran mangelt es ja auch.

    Salm: Ich habe dafür kein Patentrezept, aber ich möchte auf zwei Dinge hinweisen. Ich denke, es ist ein sehr wichtiger Wert für Deutschland, für Europa, das Asylrecht als zentrales Rechtsgut hochzuhalten. Ich glaube, das sollte nicht verwässert und weiter geschwächt werden, das ist einfach eine Lehre, die wir aus unserer Geschichte ziehen müssen, dass wir das weiter brauchen. Das andere ist, solange es ein so dramatisches Gefälle im Wohlstand und in der Stabilität, in der Sicherheit zwischen unserem Nachbarkontinent Afrika und Europa gibt, werden wir uns damit auseinandersetzen müssen, dass es auch einen Migrationsdruck gibt. Durch Abschottung ist dieser Migrationsdruck nicht wegzuhalten, im Gegenteil, wo abgeschottet wird, da werden die illegalen Wege bestritten, da profitieren die Schlepperbanden, da profitiert die Mafia. Ich glaube, Europa und Deutschland wird das Tabu brechen müssen und sich darüber auseinandersetzen müssen, wie viel Einwanderung, geregelte Einwanderung wir zulassen wollen und dieses auch als Ressource für die Entwicklung in den Herkunftsländern nutzen wollen.

    Zurheide: Gehen Sie denn davon aus, dass die Menschen dann doch ihre Beziehung zum Heimatland behalten, vielleicht dann irgendwann auch wieder zurückgehen?

    Salm: Diese Chance bestünde dann. Wenn sie jetzt illegal kommen, dann sind die Beziehungen abgeschnitten, Geld kann nur sehr schwierig zurück überwiesen, der Kontakt zur Familie kann nicht gehalten werden. Wenn Menschen legal kommen, dann wird Geld überwiesen, die Familien werden unterstützt, man kann den Kontakt halten und man kann auch davon ausgehen, dass viele, die hierher kommen, das Alter auch wieder in ihrem Heimatdorf verbringen. Da entstehen Beziehungen, da entsteht Zusammenarbeit, wie wir es in vielen Migrationssituationen ja kennen. Ich glaube, dass das auch eine Chance für uns und insbesondere für Afrika ist.

    Zurheide: Vielen Dank für das Gespräch. Das war Martin Salm, der Leiter der Hilfsorganisation Caritas International.