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Hilfe für das ägyptische Militär "muss eingestellt werden"

Angesichts der Gewalt des ägyptischen Militärs gegen Mursi-Anhänger müssten die Kooperationen der NATO und der Bundeswehr mit Ägypten überprüft werden, sagt Rolf Mützenich, SPD-Außenpolitiker im Bundestag. Er wirbt für eine gemeinsame europäische Strategie.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Thielko Grieß | 15.08.2013
    Thielko Grieß: Die Nacht ist ruhig geblieben in Ägypten, jedenfalls verhältnismäßig ruhig. Das dürfte nun nicht die Beruhigung der Lage insgesamt sein, davon geht dort in Ägypten wohl kaum jemand aus. Gestern starben nach Behördenangaben fast 450 Menschen, als das Militär zwei Protestcamps der Muslimbrüder geräumt hat. Die Muslimbrüder selbst sprechen von deutlich mehr Toten, und was wir aus Kairo hören an diesem Vormittag, ist in der Tat immer wieder dies: Die Zahl der Toten steigt.
    Wir bleiben beim Thema Ägypten, nehmen nun den seit Jahrzehnten wichtigsten Verbündeten Ägyptens in den Blick. Für die Vereinigten Staaten war und ist Ägypten immer ein Anker der Stabilität gewesen in der Region, ein Staat, der immerhin mit Israel einen Frieden verhandeln konnte, ein Staat, der den Transportweg für Erdöl durch den Suez-Kanal freihält. Davon hat bislang stets auch das ägyptische Militär profitiert, das Jahr für Jahr Milliarden erhält. Es ist damit eine der moderneren Armeen der Region.

    Die Vereinigten Staaten tun sich nun schwer mit einer Reaktion angesichts der Gewalt in Kairo und anderen Städten, einer Gewalt, die auch das gut ausgestattete Militär mit zu verantworten hat. Dort in Washington herrscht, das war herauszuhören, eine gewisse Ratlosigkeit. Die Haltung des Westens gegenüber dem, was in Ägypten vor sich geht, das wollen wir jetzt vertiefen mit Rolf Mützenich, dem außenpolitischen Sprecher der SPD. Er ist jetzt bei uns hier im Deutschlandfunk in Köln im Studio. Guten Tag!

    Rolf Mützenich: Guten Tag!

    Grieß: Herr Mützenich, was bleibt jetzt noch? Können wir uns im Westen nur noch zurücklehnen und müssen zuschauen?

    Mützenich: Natürlich ist der Einfluss begrenzt, das haben wir ja gesehen. Es gab ja genügend Anstrengungen vonseiten der Europäischen Union, aber eben auch von zwei amerikanischen Senatoren, unmittelbar vor Ort auf die einzelnen Akteure einzuwirken. Das hat nicht gefruchtet, das hat nicht den Erfolg gezeigt, den wir uns gewünscht haben. Dennoch glaube ich, überhaupt nichts in den nächsten Tagen zu unternehmen, wäre falsch.

    Grieß: Was bleibt denn zu unternehmen, denn die Vermittlung – Sie haben es angesprochen – ist ja offenkundig gescheitert?

    Mützenich: Ich glaube, es geht jetzt insbesondere darum, eine gemeinsame europäische Haltung zu finden. Es ist gut, dass heute in einzelnen europäischen Hauptstädten die ägyptischen Botschafter einbestellt wurden, um auch den Protest zu hören. Ich hoffe, dass das eine gemeinsame europäische Sprachregelung ist, die dort übermittelt wird, weil das ist ganz entscheidend. Und ich finde, dass die nationalen Außenminister gerade Lady Ashton, der Beauftragten der Europäischen Union für die auswärtigen Beziehungen, den Raum lassen, den sie haben muss, um, glaube ich, das Vertrauen, was sie bei den einzelnen Akteuren hat – weil wir haben ja gesehen: Bei ihrer Reise hat sie sowohl mit den Militärs, aber auch mit der Übergangsregierung, aber auch mit dem gestürzten Präsidenten Mursi reden können -, dass sie diesen Spielraum auch in nächster Zeit hat. Ich finde, Frau Ashton macht da einen sehr guten Job.

    Grieß: Haben Sie denn den Eindruck, dass die Vermittlungsbemühungen zum Beispiel von Lady Ashton in der Vergangenheit zu wenig energisch waren?

    Mützenich: Nein, ich glaube, es war nicht zu wenig energisch gewesen. Aber wir sind nicht durchgedrungen. Weder die Europäer, noch die US-Politik, und dort sehen wir einfach, dass die behaupteten Möglichkeiten, die wir immer noch in Händen haben müssen, wie zum Beispiel die Frage der Unterstützung des ägyptischen Militärs - wenn man das zurückzieht, würde man keinen Einfluss mehr haben -, aus meiner Sicht nicht mehr tragende Argumente sind. Ich finde schon, hier muss was überdacht werden. Die NATO-Kooperation mit Ägypten muss auch überprüft werden, und ich finde, zum Beispiel auch die Ausstattungshilfe, die vonseiten der Bundeswehr an das ägyptische Militär geht, muss nicht nur überprüft, sondern muss eingestellt werden.

    Grieß: Sie plädieren also dafür, die Daumenschrauben doch durchaus anzuziehen, zu sagen, wir kürzen, kappen möglicherweise zum Teil oder ganz die Finanzhilfen?

    Mützenich: Nach diesen Ereignissen ja. Vor den Tagen, als es noch um Vermittlungsbemühungen gegangen war, hätte ich das anders beantwortet, aber ich finde, nach den Vorfällen, nach dem massiven Eingreifen nicht nur der Polizei, sondern des Militärs auch im Inneren, haben wir hier die Notwendigkeit, dass die Europäische Union und dass auch die NATO und dann eben auch zusammen mit den USA gemeinsam sehr deutlich werden reagieren müssen. Ich glaube, dann ist auch vielleicht wieder das eine oder andere an Einflussnahme möglich.

    Grieß: Glauben Sie denn, dass das den moderaten Kräften in Ägypten in irgendeiner Weise hilft, wenn in europäischen Hauptstädten Finanzzusagen gekürzt werden?

    Mützenich: Es sind ja die Finanzzusagen, die unmittelbar an die Regierung, das heißt an staatliche Stellen gehen. Es geht ja nicht sozusagen darum, die Entwicklungshilfe für bestimmte Projekte zum Beispiel einzuschränken oder ganz zu streichen. Wir haben ja Zugänge teilweise auch zu der Zivilgesellschaft. Ich finde, wir müssen uns jetzt insbesondere darauf konzentrieren, dass der Ausnahmezustand nicht dazu missbraucht wird, gerade die Kräfte weiterhin zu schwächen, die vor zwei Jahren mit zum Sturz auch von Mubarak beigetragen haben. Das waren ja nicht in erster Linie die Muslimbrüder gewesen, sondern das waren sehr stark junge Menschen, sehr viele mutige Menschen gewesen, die dann auch inhaftiert worden sind. Und wenn es zum Beispiel dazu kommt, dass sie auch wieder in den Fokus staatlicher Repressionen kommen, ist es nach meinem Dafürhalten Aufgabe westlicher Regierungen, auch hier zu reagieren.

    Grieß: Sie sprechen Ansprechpartner an, die zum Beispiel und vor allem in der Zivilgesellschaft zuhause sind. Aber sehen Sie denn in der Übergangsregierung oder im Militär auch noch Ansprechpartner, die so moderat sich verhalten, dass sie für Kritik noch zugänglich sind?

    Mützenich: Es ist schwierig. Nachdem el-Baradei zurückgetreten ist, gibt es nach meinem Kenntnisstand innerhalb der Übergangsregierung nur noch wenige unmittelbare Ansprechpartner, auf die wir direkt werden Einfluss nehmen können, die sich auch offen zeigen vielleicht für Gespräche und auch für Kritik. Ich glaube aber dennoch, dass es notwendig ist, auch von außen klare Verlautbarungen zu machen und insbesondere auch gemeinsam innerhalb der Europäischen Union zu reagieren. Und wenn Lady Ashton zum Beispiel die Möglichkeit hat und ihr sinnvoll erscheint, auch nach Ägypten zu reisen, finde ich, sollte man ihr die Unterstützung geben und keine unterschiedliche Sprachregelung mit auf den Weg geben, sondern da, finde ich, muss sich die europäische Außen- und Sicherheitspolitik gemeinsam beweisen.

    Grieß: Sie haben den Namen el-Baradei angesprochen, der Vizepremier in dieser Übergangsregierung und Friedensnobelpreisträger, der von außen oft gehandelt wurde als ein Ansprechpartner zum Moderieren. Nun ist er gestern zurückgetreten, weil er diese Gewalt nicht weiter verantworten will. Wird dadurch die zivile Regierung, werden dadurch die zivilen Kräfte in Ägypten noch weiter geschwächt?

    Mützenich: Es gibt ja in dem Sinne sozusagen nicht die zivile Regierung, sondern sie scheint ja, offensichtlich sehr stark von den Militärs dirigiert zu werden. Aber dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass sich das Rad nicht zurückdrehen lässt, dass die Menschen auch wissen, dass sie für Veränderungen eintreten können. Und es ging ja nicht damals nur darum, als Mubarak gestürzt wurde, dass es die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz waren. Dem vorausgegangen sind zum Beispiel eine Menge an Protesten aus der sogenannten Zivilgesellschaft bis hin zu den Gewerkschaften, die für bessere Löhne, die für bessere Arbeitsbedingungen auch protestiert haben, und das lässt sich nicht so leicht unterdrücken.

    Grieß: Sie haben einige Dinge skizziert, die Sie sich vorstellen, die Sie sich wünschen für Ägypten, für die nächsten Tage, für die nächsten Wochen. Sehen Sie das auch widergespiegelt in der Arbeit der Bundesregierung, des Bundesaußenministers Westerwelle?

    Mützenich: Es geht mir natürlich insbesondere darum, klarzustellen, dass die Bundesregierung gerade den Handlungsspielraum, den ich anmahne, auch Lady Ashton, der europäischen Union gibt. Damals hatte ich die eine oder andere Äußerung, die nach der Wahl von Mursi, also dem damaligen Präsidenten, getan wurde, nicht so für glücklich gehalten, weil der Außenminister ja als Erster damals nach Kairo gereist war und ihm zum Beispiel attestiert hatte, dass er für Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus eintritt. Ich fand das etwas voreilig, weil das konnte sich erst ja in den Monaten danach beweisen. Das war nach meinem Dafürhalten eine falsche Botschaft, aber das sei jetzt so, wie es damals gewesen ist.

    Ich glaube, wir müssen insbesondere die Kräfte in Ägypten, aber auch in vielen anderen arabischen Umbruchstaaten darauf hinweisen, dass nicht nur Kompromisse notwendig sind, sondern dass auch die Opposition nicht nur eine Rolle hat, sondern auch eine Verantwortung. Und wenn wir zum Beispiel an die Muslimbruderschaft heute appellieren, Kompromisse einzugehen, gilt das natürlich für andere Kräfte genauso, die damals, als noch Präsident Mursi an der Macht war, zur Zusammenarbeit nicht bereit gewesen sind. Auch das sind Schlussfolgerungen, wie ich finde, die in westlichen Hauptstädten gezogen werden müssen.

    Grieß: Unter dem Strich wünschen Sie sich von Guido Westerwelle, um es sozialdemokratisch zu formulieren, eine klarere Kante?

    Mützenich: Ich will keinen Wahlkampf über die Außenpolitik machen, aber ich glaube schon, was man verlangen kann, ist eine gewisse vorsichtige Formulierung und sozusagen nicht nur eine Betroffenheitssprache, sondern dann auch die Möglichkeiten, die wir haben, und die sehe ich zurzeit innerhalb der Europäischen Union.

    Grieß: Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD, hier in den "Informationen am Mittag" über die Strategie des Westens, Deutschlands und der Europäischen Union beim Thema Ägypten. Danke schön für Ihren Besuch in unserem Studio.

    Mützenich: Danke für die Einladung.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Rolf Mützenich, SPD-Außenpolitiker
    Rolf Mützenich sagt, derzeit gebe es in der ägyptischen Regierung nur wenige Ansprechpartner für Gespräche. (Rolf Mützenich MdB)