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Hilfe für den Libanon

Die Entschlossenheit der libanesischen Regierung, grundsätzliche Wirtschafts- und Verwaltungsreformen anzugehen, steht infrage. Doch in der gegenwärtigen politischen Krise im Libanon sollen internationale Hilfsgelder auch die Regierung Fuad Siniora stützen. Langfristige wirtschaftliche Ziele treten da bisweilen zurück.

Von Birgit Kaspar | 25.01.2007
    Barrikaden aus Autoreifen und Mülltonnen brennen, schwarzer Rauch hüllt das Zentrum Beiruts ein. Dunkel gekleidete junge Männer, teilweise mit Gesichtsmasken, bewachen die lodernden Straßenblockaden. In einigen Vierteln Schüsse, Steinwürfe und Rangeleien zwischen Unterstützern der Regierung und Anhängern der Opposition. Szenen am vergangenen Dienstag, die viele Libanesen an die dunkelsten Stunden des Zedernstaates erinnern.

    Die Propagandamusik in der Protestkolonie im Zentrum Beiruts ertönt wieder in gewohnter Manier. Doch auch hier ist die Spannung, die in der Stadt herrscht, spürbar. Immer wieder kommt es zu vereinzelten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Regierungsanhängern und Regierungsgegnern. Seit Anfang Dezember lebt der Kern der Opposition in dutzenden weißen Zelte in der Innenstadt. Die Anhänger der schiitischen Hisbollah sowie des christlichen Ex-Generals Michel Aouns sind bestens ausgerüstet mit sanitären Anlagen und Generatoren. Sie demonstrieren für eine Regierung der nationalen Einheit, ein neues Wahlrecht, vorgezogene Neuwahlen und gegen die vom Westen und von Saudi-Arabien unterstützte Rumpf-Regierung von Fuad Siniora. Die Demonstranten wollen bleiben, bis Siniora ihre Forderungen erfüllt oder zurücktritt.

    Im Südlibanon sind in vielen Dörfern immer noch Bagger und Räumfahrzeuge im Einsatz, um die Trümmer der geschätzten 9000 zerstörten Häuser zu beseitigen. In der überwiegend von Schiiten bewohnten Dahiyeh, so heißen die südlichen Vororte Beiruts, ist diese Phase des Wiederaufbaus fünf Monate nach dem Ende des Krieges zwischen Hisbollah und Israel weitgehend beendet. Der Schutt von 300 Wohnhäusern mit rund 4500 Apartments ist weggeräumt, der Staub hat sich gelegt, die meisten Straßen sind wieder geteert.

    Der 29-jährige Mohammed Said, Besitzer eines kleinen Schuhgeschäfts, lobt die Wiederaufbautruppe der Hisbollah, Jihad al Binna, für ihren unermüdlichen Einsatz:

    "In der ersten Zeit haben sie sehr hart geschuftet. Aber jetzt ist Winter, das Wetter ist schlecht. Doch bis jetzt sind wir zufrieden, die Geschäfte gehen wieder besser, und wir leben wieder."

    Die größten Probleme hätten diejenigen, die ihre Geschäfte oder Fabriken verloren haben, meint Zeinab Farhat, aber insgesamt gehe es bergauf. Auch die 25-Jährige dankt für diese Fortschritte in erster Linie der Hisbollah:

    "Von der Regierung erhalten wir überhaupt keine Unterstützung. Während des Krieges hat sie uns ein wenig Hilfe zukommen lassen, aber bis jetzt haben wir weder Entschädigungen noch sonst irgendetwas erhalten."

    Die libanesische Regierung hatte versprochen, all denen, deren Haus komplett zerstört wurde, umgerechnet rund 50.000 US-Dollar zu zahlen. Nach Regierungsangaben hat die Auszahlung begonnen, doch hier im Dorf Haret Hreik ist davon offenbar noch nichts angekommen. Ihre Familie überlebe nur, weil sie 12.000 US-Dollar von der Hisbollah erhalten habe, klagt die 49-jährige Fatima, eine Mutter von fünf Kindern. Sie vertraue der Regierung nicht, die habe den Menschen noch nie geholfen.

    "Ich bin in das zuständige Büro der Regierung gegangen und habe meinen Antrag gestellt. Man hat mich gebeten, bestimmte Papiere vorzulegen, das habe ich getan. Dann sagte man mir, oh, wir haben vergessen, Dir zu sagen, dass du noch ein anderes Papier brauchst. In der folgenden Woche das gleiche Spiel. Die haben überhaupt keinen Plan."

    Die Hisbollah sei viel besser, sie habe umgehend ausgezahlt, was sie versprochen hatten. Fatima betont, sie gehöre keiner politischen Partei an:

    "Aber wie kann die Regierung von uns erwarten, dass wir nicht für Hisbollah sind? Ich werde sie unterstützen, obwohl ich nicht zu ihnen gehöre."

    Die libanesische Regierung hat sich in ihren Wiederaufbaubemühungen bis jetzt auf die Infrastruktur konzentriert. Man arbeitet noch an der Strom- und Wasserversorgung entlegener Gebiete. Die Straßenverbindungen im Land sind weitgehend wieder hergestellt, einige nur provisorisch. Insgesamt hatten israelische Luftangriffe rund 100 Brücken ganz oder teilweise zerstört. Nach Angaben des Rates für den Wiederaufbau sind 12 Brücken inzwischen vollständig einsatzfähig, an 40 weiteren werde gearbeitet. Finanziert werden die Projekte durch Patenschaften, im Südlibanon waren es zu etwa gleichen Teilen die libanesische Milliardärsfamilie Hariri wie die iranische Regierung, die für den Bau der Brücken gezahlt haben. Zwölf kleinere Brücken sind noch zu haben, sie haben noch keinen geeigneten Paten gefunden.

    Ähnlich erfinderisch war die Regierung Siniora bei einigen der am schwersten zerstörten Städte und Dörfer im Süden. So hat sich beispielsweise der Golfstaat Qatar für den Wiederaufbau Bint Jbeils, Aita al-Shaabs, Khiams und Ainatas stark gemacht. Die libanesische Regierung hat inzwischen ihre Schätzung der Wiederaufbaukosten inklusive der Entschädigungszahlungen auf 2,8 Milliarden US-Dollar nach unten korrigiert. Einige Beobachter halten das immer noch für übertrieben, so auch der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige libanesische Finanzminister Georges Corm:

    "Die Schäden waren geringer als angegeben. Einigen europäischen Schätzungen zufolge belaufen sie sich auf nicht mehr als 800 Million Dollar, inklusive der zerstörten Häuser. Die Brücken, das war spektakulär, aber einige kann man mit einer halben Million Dollar reparieren, andere kosten 10 Millionen."

    Die Hisbollah hat die erste Phase ihres Wiederaufbauprogramms, vor allem die Entschädigungszahlungen für vollkommen zerstörte Häuser und Apartments, abgeschlossen. Im März beginne man mit dem Bau der Wohnhäuser in den südlichen Vororten Beiruts, so Bilal Naim, Sprecher der partei-eigenen Wiederaufbauorganisation Jihad al Binna.

    "Der Wiederaufbau der Dahiyeh, der Beiruter Vororte, wird rund 350 Millionen kosten, im Süden werden es rund 500 Millionen sein. Alles in allem schätzen wir die Wiederaufbaukosten für den ganzen Libanon auf rund eine Milliarde Dollar."

    Die Gesamtkosten dessen, was die Hisbollah an Wiederaufbauprojekten finanziert, inklusive der bereits geleisteten Zahlungen, sollten sich am Ende auf rund 600 Millionen Dollar belaufen, so Naim. Das Geld dafür komme aus religiösen Quellen.

    "Der größte Teil dieses Geldes kommt von der iranischen Führung, nicht aus dem iranischen Staatssäckel, sondern von Sayed Khamenei, dem spirituellen Führer der Schiiten weltweit."

    Doch die Debatte darüber, wer was finanziert und mit welchen Absichten, ist nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Georges Corm müßig. Der Wiederaufbau sei nicht das größte Problem des Libanon, meint er.

    "Wohnungen müssen gebaut werden, und das dauert eine Weile, doch dank iranischen Geldes, unglücklicherweise, haben alle Bedürftigen die Mittel erhalten, eine andere Wohnung zu mieten, bis ihre Häuser neu errichtet sind."

    Viel größere Herausforderungen seien dagegen die galoppierenden Schulden und eine Wirtschaft, die von Grund auf umstrukturiert werden müsse.

    An einem strahlenden Sonnentag ist das Skigebiet Faraya in den libanesischen Bergen normalerweise ein beliebtes Ausflugsziel für Libanesen, Europäer, die im Nahen Osten leben, oder Besucher aus den Golfstaaten. Doch in dieser Saison herrscht an den Sesselliften meist gähnende Leere.

    "Das Geschäft ist mies in diesem Jahr. Es ist wegen des Sit-ins der Opposition in Beirut. Das Land ist gelähmt, es ist ein Riesenproblem."

    Der Skilehrer Joe Daoud klagt, er verdiene nicht mal die Hälfte dessen, was er in einer normalen Saison nach Hause bringe. Rony Khalil geht es ähnlich in seinem Sportgeschäft in Faraya:

    "Die Saison läuft nicht wie sonst, es ist das erste Mal so schlecht, in den letzten Jahren war es immer gut."

    Der Tourismus im Zedernstaat ist nach dem Krieg im Sommer vergangenen Jahres eingebrochen, offiziellen Angaben zufolge verzeichnete der Tourismussektor Verluste in Höhe von mehr als einer Milliarde Dollar. Insgesamt ist die libanesische Wirtschaft nach Regierungsangaben 2006 um fünf Prozent geschrumpft, im Gegensatz zu den erwarteten sechs Prozent Wachstum. Das größte Problem ist allerdings der Schuldenberg, den das Land seit dem Bürgerkrieg aufgetürmt hat: Die öffentlichen Schulden belaufen sich auf gut 40 Milliarden US-Dollar. Ungefähr die Hälfte der jährlichen Ausgaben zahlt der Staat allein, um die anfallenden Zinsen zu begleichen. Premierminister Siniora warnte deshalb vor der internationalen Geberkonferenz in Paris, kurz "Paris III", die Hilfe der internationalen Gemeinschaft sei die letzte Chance, um den Libanon vor einem finanziellen Absturz zu bewahren. Wirtschaftsexperten sind sich jedoch darin einig, dass der Zedernstaat nicht vor einer unmittelbaren Finanz- und Wirtschaftskrise steht. Das Szenario sei bei weitem nicht so dramatisch wie vor der letzten großen Pariser Geberkonferenz im Jahr 2002, die Beirut letztlich 2,6 Milliarden Dollar eingebracht hat. Hat das Geld damals geholfen, die Probleme des Libanon zu lösen, die Schuldenspirale umzukehren? Elias Saba, Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger Finanzminister, sagt Nein"

    "Infolge von 'Paris II' haben wir insgesamt 10,2 Milliarden US-Dollar erhalten - inklusive dessen, was die libanesische Zentralbank und die lokalen Banken beigesteuert haben. Die haben uns zwei Jahre über Wasser gehalten. Im Herbst 2004, als ich ins Kabinett kam, hatten wir wieder große Probleme."

    Die Geberländer in Paris haben dem Zedernstaat jetzt erneut Zusagen in Höhe von mehr als 7,6 Milliarden US-Dollar gemacht. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat angekündigt, dass Deutschland 103 Millionen Euro bereitstellen will. Ein großer Teil all dessen wird aber erst ausgezahlt, wenn die libanesische Regierung die in einem Regierungspapier versprochenen Reformen auch umsetzt. Dabei geht es vor allem um Verbesserungen im Finanz- und Steuerwesen, Erleichterungen für ausländische Investitionen, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Privatisierung der Mobilfunknetze sowie der staatseigenen Elektrizitätsversorgung Electricité du Liban. Darüber hinaus sollen die Subventionen für Benzin und Brot aufgehoben werden. Um das all denen im Zedernstaat etwas schmackhafter zu machen, die ohnehin ums finanzielle Überleben kämpfen, fügte das Rumpf-Kabinett Siniora einen eher diffusen Sozialplan hinzu, dessen Ziele aber vage bleiben.

    Immerhin lebt nach Regierungsangaben ein Viertel der libanesischen Bevölkerung in Armut. Nicht zuletzt deshalb hat die libanesische Opposition gegen das Reformpaket von Premierminister Siniora protestiert. Libanesische Wirtschaftsexperten sind der Meinung, das vorgelegte Reformprogramm gehe nicht weit genug. Die libanesische Wirtschaft benötige eine grundsätzliche Umstrukturierung, und die sei sehr viel dringender als eine kräftige Finanzspritze in Milliardenhöhe.

    "Es ist eine Dosis Morphin, und es verschlimmert die Krankheit, wenn die Wirkung nachlässt, weil die Ursachen nicht behandelt wurden. Man hat nur die Symptome betäubt."

    Kein Geld der Welt, ob nun als Vorzugskredit oder als Zuschuss, werde die libanesischen Schuldenproblematik lösen, so Corm. Die libanesische Regierung, vor allem unter Ex-Premierminister Rafic Hariri, habe nach dem Bürgerkrieg systematisch den Banken- und Immobiliensektor favorisiert. Beide Wirtschaftszweige boomen nach wie vor, trotz Krieg und politischer Krise.

    Auch Marwan Iskander, langjähriger Vertrauter des ermordeten Ex-Premiers Rafic Hariri und Unterstützer der Regierung Siniora, kritisiert das vorgelegte Reformprogramm als unzureichend. Um mehr Glaubwürdigkeit zu erreichen, empfiehlt er der Rumpf-Regierung zudem, in der Verwaltung gründlich aufzuräumen. Das Informationsministerium habe sich zwar von 1000 Angestellten getrennt, die würden aber noch immer, ohne jemals dafür zu arbeiten, vom Premierminister jeden Monat bezahlt.

    "Noch überraschender ist die Bahnbehörde im Libanon. Dort arbeiten 930 Angestellte, aber wir haben überhaupt keinen Zugverkehr. Das kann nicht so weitergehen, wenn die Regierung wirklich Reformen will."

    An der Entschlossenheit der libanesischen Regierung, grundsätzliche Wirtschafts- und Verwaltungsreformen ernsthaft anzugehen, zweifeln libanesische und ausländische Beobachter. Ein europäischer Diplomat sagte, es sei kontraproduktiv, den Libanesen Geld zu geben, ohne es an klare Bedingungen zu knüpfen. Doch in der gegenwärtigen politischen Krise im Libanon geht es einigen internationalen Akteuren offensichtlich mehr um eine Stärkung der Regierung Siniora als um langfristige wirtschaftliche Entwicklungsziele.

    Der amerikanische Unterstaatssekretär für politische Angelegenheiten, Nicholas Burns, erklärte, die amerikanische Hilfe solle Premierminister Siniora gegenüber solchen Kräften stärken, die, so wörtlich, eine demokratisch gewählte Regierung durch den Mob auf der Straße stürzen wollten. Auch die Hast, mit der die Paris-Konferenz anberaumt wurde, zeige, dass es sich dabei um eine politische Geste handelt, so Georges Corm:

    "'Paris II' ist vor allem eine politische Veranstaltung, um die libanesische Regierung zu unterstützen, die ihre schiitischen Mitglieder und noch einen weiteren Minister verloren hat und in den Augen vieler Libanesen illegitim ist."

    Paul Salem von der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden bestätigt die starke politische Komponente der Paris-III-Konferenz. Er betont aber auch, die Finanzhilfe sei wichtig für den Libanon, denn sie mindere den Druck der hohen Verschuldung und damit auch den Druck auf die libanesische Währung und Wirtschaft. So trage die Geberkonferenz der Sorge Rechnung, dass der libanesische Staat bald finanziell kollabieren könnte. Die dringend notwendigen Reformen könne der Libanon ohnehin erst angehen, wenn er wieder eine funktionstüchtige Regierung hat.

    "Für solche Reformen braucht man eine Regierung, die sich breiter Unterstützung aller Bevölkerungsschichten erfreut, ein funktionierendes Parlament und wahrscheinlich einen neuen Präsidenten, damit sie auch rechtskräftig werden."

    Deshalb habe eine Lösung der innenpolitischen Krise oberste Priorität. Im Augenblick deutet aber nichts darauf hin, dass eine solche Lösung unmittelbar bevorsteht. Weder die Rumpf-Regierung Siniora, die von den USA, von Frankreich und Saudi-Arabien unterstützt wird, noch die von Iran und Syrien unterstütze Hisbollah und ihre christlichen Verbündeten scheinen zu ausreichenden Zugeständnissen bereit.

    Die Demonstranten, die im Zentrum Beiruts kampieren, zeigen Langmut. Sie wollen so lange bleiben, bis Premierminister Siniora den Hut nimmt. Die Hisbollah hat mit brennenden Straßenblockaden und einem Generalstreik deutlich gemacht, dass der Einfluss der Schiitenpartei im Zedernstaat nicht zu unterschätzen ist. Der libanesische Regierungschef wird seinerseits gestärkt und voller Selbstbewusstsein aus Paris zurückkehren. Viel helfen wird es nicht.

    "Wir befinden uns in einer Pattsituation mit ausgeglichenen Machtverhältnissen, keiner verliert und keiner gewinnt. Das kann noch lange so weitergehen, und die Opposition kann das noch lange aushalten. Die Hisbollah ist sehr mächtig, die können Monate oder auch Jahre warten. Das bringt die Regierung unter Zugzwang: Wie will sie das Land weiterhin managen, wenn sie nicht über die vollständige Autorität verfügt?"

    Eines ist klar: Es muss einen Kompromiss geben, eine andere Lösung ist unter libanesischen Verhältnissen nicht denkbar. Die Hoffnungen der Libanesen liegen nun auf regionalen Vermittlern. Die schwarzen Rauchschwaden der brennenden Barrikaden sind abgezogen, doch die Angst vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen wabert wie ein dunkler Schatten durch die Straßen Beiruts.