Donnerstag, 28. März 2024

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Hilfskonvoi für Ostukraine
"Es gibt einen Propagandakrieg"

Die Ukraine mache sich zu Recht sorgen wegen des Hilfskonvois aus Russland, sagte der Politikwissenschaftler Andreas Umland im Deutschlandfunk. Es sei schwer zu sagen, was Moskau vorhabe. Fest stehe, dass es im Fall der Hilfslieferung keine hinreichende Abstimmung auf internationaler Ebene gegeben habe.

Andreas Umland im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 13.08.2014
    Ein russischer Hilfskonvoi macht sich in der Nähe von Moskau auf dem Weg in die Ostukraine.
    Mit dem Hilfskonvoi in die Ostukraine wolle sich Russland als Problemlöser darstellen, vermutet der Politikwissenschaftler Andreas Umland im Interview mit dem Deutschlandfunk. (dpa / picture-alliance / Maksim Blinov)
    Die Ukraine sei offen gegenüber internationalen Hilfslieferungen, der russische Konvoi jedoch offenbar nicht richtig koordiniert worden, sagte der Politikwissenschaftler Andreas Umland von der Universität Kiew im Deutschlandfunk. Angesichts der verschiedenen Zeichen, die Moskau bisher in Richtung Ostukraine gesendet habe, sei zu vermuten, dass Russland sich nun als Problemlöser darstellen wolle. "Wenn es tatsächlich ein Problemlöser wäre, würde Russland die Unterstützung für die Separatisten einstellen", sagte Umland im DLF.
    Aus Sicht des Politologen verfolgen die pro-russischen Separatisten in den umkämpften Städten eine ähnliche Strategie wie die Hamas in Nahost. Sie würden sich in Wohnungen verschanzen, um eine Gegenreaktion der ukrainischen Truppen zu provozieren und auf den Beschuss von Wohnvierteln verweisen zu können. In dem Propagandakrieg sei es schwer, zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden, so Umland. Im Hinblick auf die russischen Gegensanktionen sagte er, kurioserweise bekämen nun die Russen die Folgen eines Handelskrieges zu spüren.

    Das Interview mit Andreas Umland in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon ist jetzt ein profunder Kenner der russischen und der ukrainischen Politik, Andreas Umland, Politikwissenschaftler an der Universität Kiew, dort begrüßen wir ihn. Schönen guten Morgen, Herr Umland!
    Andreas Umland: Guten Morgen!
    Heckmann: Lassen Sie uns vielleicht folgende Frage zunächst klären: Geht es Moskau bei den Hilfslieferungen um die notleidende Bevölkerung im Osten der Ukraine oder möglicherweise um etwas ganz anderes?
    Umland: Das ist schwer zu sagen, weil es ja eben verschiedene Zeichen gegeben hat während der letzten Monate, was die Einstellung Moskaus gegenüber der Ostukraine betrifft. Es hat zwar immer Separatismus gegeben in der Ostukraine, allerdings nie diesen Gewaltausbruch, und man vermutet eben, dass Moskau dahintersteht. Und wenn dem tatsächlich so ist, dann hat man natürlich Zweifel, dass nun diese Hilfe tatsächlich ernst gemeint ist oder vielleicht nicht eher so eine Art Trojanisches Pferd sein könnte.
    "Hilfe nur das sekundäre Ziel"
    Heckmann: Kiew fürchtet ja, dass Moskau versucht, mithilfe dieses Lkw-Konvois einen Fuß in der Tür zu haben im Osten der Ukraine. Ist diese Befürchtung aus Ihrer Sicht berechtigt?
    Umland: Ja, die muss wohl als berechtigt betrachtet werden, weil es eben betreffs dieses Konvois keine, zumindest bisher keine hinreichende Abstimmung gegeben hat. Die Ukraine ist ja offen gegenüber Hilfslieferungen der internationalen Hilfsorganisationen, und bisher ist dieser Konvoi offenbar nicht richtig koordiniert worden mit dem Roten Kreuz oder mit anderen Hilfsorganisationen. Da vermutet man eben, dass die Hilfe eigentlich nur das sekundäre Ziel ist.
    Heckmann: Obwohl Lawrow ja behauptet hat, dass es eben alles abgestimmt sei, dass das Rote Kreuz informiert sei. Das Rote Kreuz aber wusste von nichts, ist mittlerweile allerdings informiert worden. Das heißt also, um diesen Konvoi wird auch ein regelrechter Propagandakrieg geführt?
    Umland: Ja, man muss vermuten, dass es vielleicht genau darum geht, dass Russland sich darstellen will als nicht Problemerzeuger, sondern Problemlöser. Und es wäre eben ... Wenn es tatsächlich ein Problemlöser wäre, dann würde Russland die Unterstützung für die Separatisten einstellen und die Hilfslieferungen mit den internationalen Organisationen koordinieren.
    Heckmann: Aber aus Polen beispielsweise haben wir gerade von unserem Korrespondenten auch gehört, da gibt es durchaus die Interpretation, dass man sagt: Möglicherweise rückt Moskau wirklich ab von der Unterstützung der pro-russischen Separatisten, und dieser Konvoi sei möglicherweise ein Beleg dafür.
    Unterstützung der Separatisten: "Falsche Strategie für Moskau"
    Umland: Das könnte durchaus sein, dass die Bewaffnung und Unterstützung dieser Separatisten sich als falsche Strategie für Moskau dargestellt hat. Es geht ja nicht so sehr darum, die Ukraine zu erobern oder eine neue militärische Annektion durchzuführen, wie das im Fall der Krim passiert ist, sondern es geht eben tatsächlich darum, dass Moskau hier eine Art Erfolg erzielen möchte in der Ostukraine. Der kann eben verschieden aussehen und muss nicht unbedingt durch die Separatisten erreicht werden.
    Heckmann: Gehen Sie denn jetzt davon aus, dass Kiew diesen Konvoi, wenn er denn heute mittag wie geplant an der Grenze ankommt, dass er dann durchgewunken wird?
    Umland: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, es wird auf jeden Fall eine Grenzkontrolle geben, wenn dieser Konvoi tatsächlich an einem ukrainischen Grenzpunkt ankommt, der von der Ukraine vollständig kontrolliert wird, also eine Art Entzollung. Das wäre das Mindeste. Womöglich wird dann der Konvoi durchgelassen, das ist aber sehr schwer – aus meiner Sicht – zu sagen.
    Heckmann: Die Regierung in Kiew stellt ja Bedingungen. Dass eben diese Hilfsgüter erst mal untersucht werden, ist eine Bedingung. Aus Moskauer Sicht steht die Regierung in Kiew da als erbarmungsloser Haufen da, der in die Städte schießt, die Zivilbevölkerung trifft und jetzt auch noch humanitäre Hilfe verhindert oder blockiert.
    Propagandakrieg: "Schwer, zwischen Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden"
    Umland: Ja, das ist das Bild, was in den russischen Massenmedien gezeichnet wird, und da muss man halt immer fragen, inwieweit das tatsächlich zutrifft. Also es gibt eben von ukrainischer Seite Berichte, dass nun ausgerechnet die Separatisten die Wohnviertel in Donezk und Luhansk beschießen. Es scheint auch eine Taktik gegeben, dass sich die Separatisten in den Wohnvierteln verschanzen, ähnlich wie das die Hamas im Nahen Osten tut, um dann eben eine Gegenreaktion zu provozieren und auf diesen Beschuss dann von Wohnvierteln verweisen zu können. Also es gibt einen Propagandakrieg und da ist oft sehr schwer, zwischen Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden.
    Heckmann: Das ist sehr schwer zu unterscheiden von hier aus, offenbar auch aus Kiew. Aber Faktum ist ja, dass die ukrainische Armee jetzt diese Städte, Luhansk beispielsweise, Donezk, umstellt hat ja sozusagen, quasi die Bevölkerung dort abgeschirmt hat von dem Rest der Umgebung, und das Beschießen dieser Städte, das Schießen in die Städte herein, da kann man doch auch nicht davon ausgehen, dass das mit dem Völkerrecht konform geht, oder?
    Umland: Hm, wie gesagt, das ist für mich sehr schwer einzuschätzen, was da nun genau passiert, weil die Informationen sehr widersprüchlich sind. Also eine Abschottung, eine Isolation dieser Städte gibt es, glaube ich, nicht für die Zivilbevölkerung, die werden militärisch abgeschottet, dass da keine militärischen Lieferungen hin- und hergehen. Aber was nun die Zivilbevölkerung betrifft, ... also sicher, es ist ja – das kann man, glaube ich, vermuten – überhaupt nicht im Interesse der ukrainischen Regierung, dort die Zivilbevölkerung gegen sich aufzubringen. Deswegen sollte man vermuten, dass eben die Regierung versucht, da die zivilen Opfer, die Zahl der zivilen Opfer so gering wie möglich zu halten.
    "Lösung nur auf dem Verhandlungsweg"
    Heckmann: Jetzt ist ja die Frage, wie das jetzt weitergeht auch grundsätzlich. Der Westen, der hat ja bisher immer auf eine Politik der Sanktionen gegen Russland gesetzt. Das hat bisher nicht wirklich erkennbar zu einem Kurswechsel geführt. Führt denn an Verhandlungen mit Moskau überhaupt ein Weg vorbei?
    Umland: Natürlich müssen Verhandlungen geführt werden, und letztlich wird es nur auf dem Verhandlungsweg eine Lösung geben. Allerdings muss man auch sagen, dass die Sanktionen bis vor Kurzem nicht sehr weitreichend waren und nur sehr selektiert getroffen haben und nur bestimmte Personenkreise in gewisser Hinsicht eingeschränkt haben, temporär auch nur eingeschränkt haben.
    Die Sanktionen sind jetzt erst in den letzten zwei, drei Wochen ernsthafter geworden, sind aber meiner Ansicht nach immer noch nicht so, dass sie jetzt die große, breite Bevölkerung treffen. Kurioserweise kommt es nun dazu, dass die Gegensanktionen Russlands, also dieser Einfuhrstopp für eine ganze Reihe von Lebensmitteln aus westlichen Staaten, dazu führt, dass die Russen erstmals spüren direkt im Kaufhaus beziehungsweise in den Lebensmittelläden, dass es also einen Handelskrieg gibt zwischen dem Westen und der Ukraine.
    Heckmann: Und das Ganze könnte zu was führen? Wirklich dann doch zu einem Besinnungswechsel in Moskau?
    Umland: Das ist schwer einzuschätzen, weil die Politik, der politische Prozess in Moskau sehr undurchsichtig ist, die Machtverteilung. Es ist ja kein wirklich demokratischer Prozess, in dem die Institutionen eine große Rolle spielen, Parlament, Parteien, Regierung und so weiter, sondern es gibt eher informelle Machtstrukturen. Und was sich da genau tut, das ist von außen her sehr schwer einzuschätzen.
    Heckmann: Der Politikwissenschaftler Andreas Umland war das live hier im Deutschlandfunk, er war uns aus Kiew zugeschaltet, wo er an der Universität Kiew lehrt. Herr Umland, danke Ihnen für das Gespräch!
    Umland: Ja, vielen Dank Ihnen auch!
    Heckmann: Und schönen Tag noch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.