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"Hilfe, mein Campus stürzt ein!"

Marode Gebäude, Schimmelbefall und Einsturzgefahr: Im ganzen Bundesgebiet verrotten Hochschulen, weil das Geld zur Sanierung fehlt. Deshalb fordern das "Bildung braucht"-Bündnis und der studentische Dachverband "fzs" vom Bund ein Soforthilfepaket für Bildungsinfrastruktur.

Von Benedikt Stubendorff | 07.08.2013
    Claudia Eulitz hat Mühe, die große Glastür zu öffnen. Eine dicke Schraube klemmt zwischen Türblatt und Fußboden. Nicht ganz gerade hat jemand einen kopierten DINa4 Zettel auf das Glas geklebt: "Der Betrieb in diesem Gebäude wird zum 01.10.2012 eingestellt" steht auf dem Blatt. Als die Tür aufgeht,

    "Das sieht schon lecker aus hier."

    schlägt uns ein Schwall staubig, feucht-abgestandener Luft entgegen:

    "Also man riecht es auch schon, dass das hier ein bisschen muffig ist. Das ist einfach dieser Schimmelzustand in einigen Räumen. Die Nässe dringt ein, und deshalb ist es auch insgesamt kaum noch bewohnbar."

    Vor über einem Jahr haben die Geowissenschaftler hier ausziehen müssen. Das Gebäude ist dringend sanierungsbedürftig, durch die alten Holzfenster dringt Feuchtigkeit in die alten Räume und lässt in den Ecken die Schimmelpilze wachsen:

    "Da besteht durchaus an einigen Stellen Gesundheitsgefährdung. Deswegen wurden die Räume ja auch geschlossen."

    Die sogenannten "Anger-Bauten" sind nicht die einzigen maroden Gebäude an der Kieler Christian-Albrechts-Universität. Steffen Regis, Sprecher des bundesweiten Studentenbündnisses "Bildung braucht" skizziert die Lage an der fast 350 Jahre alten Universität folgendermaßen:

    "Wir merken jeden Tag, dass es schlimmer wird, was den baulichen Zustand der Uni so angeht. Das fängt an bei kaputten Sitzreihen, fehlende Tische, fehlende Stühle. Inzwischen ist es aber auch so schlimm, dass wegen Schimmel dann einzelne Räume geschlossen werden. Es kursieren an anderen Hochschulen Gerüchte über einsturzgefährdete Gebäude."

    Die Kieler Universität ist bundesweit bei Weitem nicht die Einzige, deren Gebäude langsam aber sicher verrotten. In Dresden muss eine Mensa schließen, weil die Sanierung zu teuer ist. In Erlangen wurde ein fünfstöckiges Gebäude wegen "Gefahr für Leib und Leben" vor Kurzem komplett dichtgemacht. Es muss was passieren, betont Katharina Mahrt, die Sprecherin des fzs, des Dachverbandes der Studierendenvertretungen in Deutschland:

    "Also, wir kennen jetzt nicht alle Einzelfälle, wir haben gerade selbst eine Umfrage gestartet und lassen uns dann auch von den jeweiligen Studierendenschaften unterrichten, an welchen Hochschulen es besonders schlimm ist. Ein wunderschönes Beispiel dafür, abgesehen von Kiel, wo es eben auch besonders schlimm ist, ist dann – das habe ich persönlich gesehen – Regensburg. Wo man schon auch mit Regenschirm durchgehen müsste, und Regengummistiefeln, da sind an allen Ecken und Enden die Problempfützen deutlich zu sehen."

    Auf die Frage, wie das soweit kommen konnte, wird mit Schulterzucken reagiert, der Schwarze Peter durchgeschoben bis zur Bundesregierung. Zu viele Verantwortliche haben zu lange die baulichen Mängel nicht gesehen, nicht sehen wollen oder deren Beseitigung aufgeschoben. Unter Strich fehlt vor allem: Geld, ein Argument, dass der Kieler Steffen Regis schon lange nicht mehr hören kann:

    "Die Ausrede hören wir seit 40 Jahren ungefähr. Und zwar nicht nur bei Hochschulen, auch nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern bundesweit. Und deswegen fordern wir ganz klar: Der Bund muss in die Finanzierung von Bildungseinrichtungen einsteigen. Und zwar nicht nur mit Exzellenzinitiativen und ähnlichem Brimborium, sondern ganz klar in die Grundfinanzierung. Und zwar von Kindertagesstätten über Schulen bis hin zu den Hochschulen. Denn die Länder werden sich das nicht leisten können, aber Fakt ist auch: Das Bildungssystem ist eben unterfinanziert, und das kann so nicht weitergehen."

    Die Aufgabe ist gigantisch. Allein in Kiel fehlt "Baugeld" in dreistelliger Millionenhöhe, erklärt Claudia Eulitz mit Blick auf die Objekte, die am dringendsten saniert werden müssen:

    "Oh, da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Aber der aktuellste Handlungsbedarf besteht in der Schwimmhalle, in den Fakultätsblöcken, im Sportzentrum, und die Tierhaltung. Das sind so die größten Baustellen. Dazu kommen die 'Anger-Bauten', wo wir gerade drin stehen. Die gröbsten Maßnahmen über die nächsten zehn Jahre würden 150 Millionen brauchen."

    Bundesweit betrug der Investitionsstau im deutschen Bildungssystem - nach Berechnungen der GEW – schon vor zwei Jahren 45 Milliarden Euro. Wenn das so weiter geht, werden Forschung und Lehre demnächst wieder unter freiem Himmel stattfinden müssen, so Katharina Mahrt:

    "Wir brauchen ganz, ganz dringend einen Investitionspakt zwischen Bund und Ländern, beziehungsweise die Aufhebung des Kooperationsverbotes, um dem Bund zu ermöglichen, wieder mitzufinanzieren im Hochschulbau. Und dann müssen die Hochschulen auch befähigt werden, die Baumaßnahmen so schnell wie möglich umsetzen zu können."

    In Kiel gibt es bereits Pläne, die Universität als "Bauherren" einzusetzen. Als Sofortmaßnahme hat das Land ein "Sondervermögen für Hochschulsanierung" mit einem Volumen von 30 Millionen Euro eingerichtet. Wo der Rest herkommen soll, das müsse man abwarten, heißt es aus dem verantwortlichen Bildungsministerium und hofft auf eine Aufhebung des Kooperationsverbots. Bis dahin bleiben vermutlich einige Hochschultüren verschlossen. Aus Sicherheitsgründen.