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Hilfesystem ist "im Dickicht zwischen Bund und Ländern versackt"

Bund, Länder und Kirchen hätten bei der Aufarbeitung des Missbrauchskandals versagt, sagt Matthias Katsch, Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch". Es gebe bis heute keine adäquaten Hilfsangebote. Zudem ließe die Politik das neue Gesetz zum Opferschutz "totlaufen".

Matthias Katsch im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 20.02.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Mehr als ein Jahr ist es bereits her, dass der Runde Tisch gegen sexuellen Missbrauch seine Arbeit abgeschlossen hat und dessen Teilnehmer sich auf Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal verständigt hatten. Heute kommen die Teilnehmer erneut zusammen, um eine Bilanz zu ziehen. Bereits im Vorfeld wurde deutlich: Viele Betroffene sehen Anlass für heftige Kritik, denn auf Hilfe warten viele heute noch. Matthias Katsch ist ehemaliger Schüler am Berliner Canisius-Kolleg und jetzt Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch". Unter anderem ihm ist es zu verdanken, dass der Skandal überhaupt öffentlich wurde, und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Katsch.

    Matthias Katsch: Schönen guten Morgen.

    Heckmann: Herr Katsch, was ärgert Sie besonders?

    Katsch: Da muss ich überlegen, ob es da ein Ranking gibt. Tatsächlich die fehlende Hilfe für die Betroffenen, die 2010 sich auf den Weg gemacht haben, das ist das größte Ärgernis. Man hatte damals am Runden Tisch nach langen Verhandlungen begriffen, dass man den Menschen ein Angebot machen muss zur Unterstützung, zur Hilfe, die ja den Mut gehabt haben, nicht nur ihre eigene Lebensgeschichte aufzuarbeiten, sondern auch uns wertvolle Hinweise zu geben, wie Präventionsarbeit aussehen soll, indem sie über die Vergangenheit sprechen, und die lassen wir jetzt seit drei Jahren auf diese Hilfe warten und verweisen sie in der Zwischenzeit an ihren Hausarzt und an ihren Apotheker, wenn es ihnen schlecht geht. Das ist wirklich das größte Ärgernis, dass dieses Hilfesystem im Dickicht zwischen Bund und Ländern versackt ist und nicht vorankommt.

    Heckmann: Für diese Hilfen sollte ja der erwähnte Entschädigungsfonds von Bund und Ländern sorgen. Der ist immer noch nicht aufgelegt. Welche Folgen hat das konkret für die Betroffenen?

    Katsch: Das heißt, dass es entweder gar keine adäquaten Hilfsangebote für erwachsene, ältere Menschen, Männer wie Frauen, gibt auf dem Markt, wenn man Traumata bearbeiten will, wenn man sein Leben neu ordnen will, in den Griff kriegen will, und wenn man sich an die Institutionen etwa wendet, muss man sich an den Orden, an den Bruder Ökonomen wenden der Einrichtung, in der man früher Opfer geworden ist. Die Clearing-Stelle, die ja mit diesem Hilfesystem verbunden sein sollte, arbeitet ja ebenfalls noch nicht. Das ist sehr beschwerlich, das macht wütend und produziert eine große Enttäuschung und Verbitterung.

    Heckmann: Es gibt einen anderen wichtigen Punkt, nämlich das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte. Da geht es unter anderem um die Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch. Und dieses Gesetz, dieser Gesetzentwurf liegt seit Monaten im Rechtsausschuss fest. Wie kommt das bei Ihnen an?

    Katsch: Mit großem Unverständnis. Es ist wohl so, dass irgendwelche fundamentalistischen Juristen, denen die ganze Richtung nicht passt, die Geschäftsordnung des Bundestages missbrauchen, einen Gesetzentwurf, der ihnen nicht in den Kram passt, einfach am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. Und die Ministerin ist nicht in der Lage, gegenüber ihren eigenen Parteifreunden und ihrer eigenen Koalition dafür zu sorgen, dass hier nun mal klar entschieden wird: Wollen wir diese Stärkung der Opferrechte, wollen wir diese Verlängerung der Verjährungsfristen, oder wollen wir es nicht? Der jetzige Zustand ist einfach nur unwürdig, dass man das durch Nichtbehandlung sich einfach totlaufen lässt.

    Heckmann: Wir sprechen ja gleich auch mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über das Thema. Sie hört uns gerade auch schon zu. Aber ich wollte Sie noch fragen, Herr Katsch: Ingo Fock vom Verein gegen Missbrauch, der hat jetzt dieser Tage gesagt, die Bundesregierung verschleppe Fortschritte, und spricht von einem Versagen der Bundesregierung. Das sehen Sie demnach dann genauso?

    Katsch: Ja, ich würde nur halt auch die Länder mit in den Blick nehmen, denn für das ergänzende Hilfegesetz sind die Bundesländer die Bremser. Da wären mal die Ministerpräsidenten gefragt, dass sie für Entscheidungen sorgen. Und der dritte große Punkt, der auch genannt werden muss, sind die Institutionen selbst, die Kirchen, denn auf dem Gebiet der Aufarbeitung sind sie auch noch längst nicht am Ende, sondern haben noch nicht mal richtig angefangen, wie wir gerade am Scheitern dieser Pfeiffer-Studie gesehen haben. Das heißt, es ist Zeit, dass alle Beteiligten, die an diesem Runden Tisch mitgewirkt haben, jetzt noch mal nachdenken und sagen, wir brauchen einen neuen Aufschlag, wir brauchen einen neuen Anlauf, und die Aufgabe ist eben tatsächlich noch längst nicht bewältigt.

    Heckmann: Der Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch" war das, Matthias Katsch, live hier im Deutschlandfunk. Herr Katsch, danke Ihnen für das Gespräch.


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