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Hilfsfonds wird aufgestockt
Mehr Geld für West-Heimkinder

Kinder, die bis 1975 in Kinderheimen der Bundesrepublik Unrecht erfahren haben, können Unterstützung aus einem Fonds erhalten. Der soll nun um 182 Millionen Euro aufgestockt werden, hat das Kabinett beschlossen. Doch viele Betroffene kritisieren die Gestaltung des Fonds.

Von Gundula Geuther | 08.07.2015
    Hinter dem Guckloch einer Tür zu einer Arrestzelle steht im Heimkinder-Erinnerungsort im Halfeshof in Solingen ein Mann.
    Erinnerungsort im Solinger Halfeshof informiert über die Heimerziehung der 1950er- bis 70er-Jahre: hier der Blick auf eine Arrestzelle (picture alliance/dpa/Oliver Berg)
    Um 182 Millionen wird der Fonds Heimerziehung West aufgestockt, auf insgesamt gut 300 Millionen Euro. Schon vor Monaten war das Geld knapp geworden. Beratungen, Therapien, konkrete Hilfeleistungen, Sachmittel sollte er zur Verfügung stellen - Linderungen der Folgeschäden von Heimerziehung in der Bundesrepublik bis Mitte der 70er-Jahre. Über die rund 800.000 Betroffenen sagt Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig:
    "Kinder und Jugendliche, die in den Heimen in Westdeutschland waren zwischen 1949 und 1975 haben nicht nur Gutes erlebt. Viele von ihnen haben Unrecht erlebt. Sie wurden schlecht behandelt, haben Gewalt erlebt, wurden als Arbeitskräfte benutzt, wurden ausgebeutet."
    Ein Runder Tisch hatte sich mit den vielfach gewaltgeprägten, traumatisierenden Lebens- und Erziehungsverhältnissen beschäftigt. Auf seine Empfehlung hin soll seit 2012 der Fonds helfen. Bis zu 10.000 Euro kann ein ehemaliges Heimkind beim Nachweis erlittenen Unrechts bekommen. Dazu kommen Einmalzahlungen als Rentenersatzleistungen für die, die zur Arbeit gezwungen wurden: 300 Euro pro Arbeitsmonat im Heim.
    Mehr als neun Monate Warten auf die Antragsstellung
    Rund 20.000 Personen meldeten ihren Bedarf an. 13.000 von ihnen haben Leistungen bekommen. Die meisten anderen warten noch auf die Beratungsgespräche, in denen sie erst die konkreten Anträge stellen können; wie die Familienministerin einräumt, teilweise seit mehr als neun Monaten. Grund für die langen Bearbeitungszeiten sei auch, dass man bis jetzt in den Beratungsstellen nicht gewusst habe, ob noch Geld da sei. Vor diesem Hintergrund sagt Dirk Friedrich:
    "Ich finde das einerseits positiv, dass die, die jetzt schon seit neun Monaten oder länger warten, endlich mal zum Zuge kommen."
    Friedrich ist Vorstandsmitglied des Vereins ehemaliger Heimkinder. Er fügt hinzu: "So wie die ganze Sache gelaufen ist - das hatten wir niemals im Sinn. Das ist ja auch keine Entschädigung, es ist eine Hilfsleistung."
    Kritik an Ausschlussfrist
    Auch die konkrete Ausgestaltung nehmen Betroffene unterschiedlich auf. Viele sind froh um praktische Hilfen, andere kritisieren etwa den Umgang mit dem Zwang zur Arbeit. Berücksichtigt für die Rentenersatzleistung wird nur Arbeit ab dem 14. Lebensjahr. Auf Kritik stößt bei Betroffenen vor allem eine Ausschlussfrist. Ansprüche konnten nur bis Ende vergangenen Jahres angemeldet werden.
    "Wir bekommen mindestens zweimal die Woche einen Anruf, wo jemand nachfragt", sagt Friedrich. Die Frist sei zu kurz, die Möglichkeit der Leistungen sei zu wenig bekannt gemacht worden. "Wir hören dann die Lebensbiografie. Und dann müssen wir sagen, dass leider diese Befristung bis zum 31.12.2014 gegriffen hat, das ist dann immer eine Riesen-Enttäuschung und auch mit Wut verbunden."
    Für Betroffene, die in Heimen der DDR Unrecht ausgesetzt waren, gibt es einen eigenen Fonds. Er war schon früher aufgestockt worden. Keine Leistungen bekommen bisher Kinder und Jugendliche, die - teilweise zu Unrecht - in Behinderteneinrichtungen oder Psychiatrien untergebracht waren, unter oft unmenschlichen Bedingungen. Das Sozialministerium stellte für sie heute eine Entscheidung bis zum August in Aussicht.