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"Hillarys Hand"
Ein Foto, das Geschichte machte

Von Katharina Hamberger | 29.12.2014
    "Good evening. Good night I can report to the American people and to the world, that the United States has conducted an operation that killed Osama bin Laden, the leader of Al Kaida and a terrorist that is responsible for the murder of thousends of innocent men, women and children."
    Diese Worte sprach der amerikanische Präsident Barack Obama am 1. Mai 2011 - er verkündete, dass amerikanische Navy Seals in der Nacht zuvor den Al-Kaida-Chef Osama bin Laden in Abbotabad aufgespürt und getötet hatten. Einige Stunden vorher war das wohl berühmteste Bild dieser Nacht entstanden: Es zeigt den Situation Room im Weißen Haus, am Tisch unter anderem Obama und die damalige Außenministerin Hillary Clinton: Sie schlägt sich die Hand vor den Mund.
    "Well that's the way I usually look, when my husband drags me to an action movie", sagte Clinton selbst dazu in einer NBC-Reportage. Genau dieses Foto ist der Aufhänger für das von Michael Kauppert und Irene Leser herausgegebene Buch. Es nähert sich dem Bild aus verschiedenen Blickwinkeln. Zum einen über soziologische Perspektiven, zum anderen über kunst- und kulturwissenschaftliche.
    Zunächst aber lernt der Leser alles zur Entstehungsgeschichte des Bildes, das der Hausfotograf des Weißen Hauses, Pete Souza gemacht hatte. Zum Beispiel erschließt sich Herausgeber Kauppert aus Interviews, Berichten und einer exakten minutengenauen Dokumentation des Geschehens durch den History Channel den wohl wahrscheinlichsten Moment der Foto-Aufnahme:
    "Die Akteure im Situation Room haben nicht die Erschießung Bin Ladens (oder den toten Bin Laden), sondern die Sprengung des Hubschraubers durch die Seals kurz vor ihrem Abflug vor Augen gehabt."
    Das Bild das im Situation Room gemacht wurde, verbreitet sich rasend schnell:
    "Um 18:30 Uhr des 2. Mai wurde das Bild auf flickr.com 390.000 Mal angesehen, um 20 Uhr sind es bereits 600.000, 25 Stunden nach der Veröffentlichung hat es 1,4 Millionen Views. Am 5. Mai ist das Situation-Room-Foto das meist angesehene Bild auf Flickr."
    Kurz danach zierte es Titelseiten von Zeitungen, war der Aufmacher von Online-Medien und ist oftmals analysiert worden. Dass es aber nach wie vor nicht seinen Reiz verloren hat, zeigt allein folgender Effekt: Wenn das Buch von Kauppert und Leser - dessen Titel das Foto zeigt - auf einem Tisch liegt, kann man sich sicher sein kann, dass so einige, die mit am Tisch sitzen, es sich genauer anschauen werden. Herausgeberin Leser kommt zu dem Schluss:
    "Ähnlich der Bilder der am 11. September 2001 einstürzenden Twin Towers hat es sich in das kollektive Gedächtnis 'des westlichen Kulturraumes, wie auch seine ideologischen und politischen Kontrahenten' eingebrannt."
    Das Foto liefert viele beachtenswerte Facetten: sei es die Konstellation der Personen, der Umgang der Medien und der Öffentlichkeit mit dem Bild, die Wirkung einzelner Personen, die Einordnung in den historischen Kontext, usw. Es sind zahlreiche Aspekte, die sich hier nur an Beispielen beschreiben lassen. So beschäftigt sich im ersten, dem soziologischen Teil des Buches zum Beispiel Ulrich Oevermann mit der Frage nach einer bewussten Inszenierung und analysiert das Bild zunächst nur nach dem, was darauf zu sehen ist, um anschließend das Foto mit dem Kontext, in dem es entstanden ist, zu verknüpfen.
    "Man muss in dieses Foto nicht viel Mysteriöses hineininterpretieren. Es ist ein vergleichsweise banales Dokument - für sich genommen jedenfalls. Aber wegen der historischen Bedeutung des Ereignisses, die dem Gegenstand der Liveübertragung und damit auch dessen offizieller Rezeption zukommt, wird es zwingend zu einem historischen Dokument", schreibt Oevermann.
    Auch Ruth Ayaß beschäftigt sich mit dem, was auf dem Foto dargestellt wird. Allerdings diskutiere ihr Beitrag nicht, was das Bild zeige, sondern, was es nicht zeige, so Ayaß. Die Fotografie aus dem Situation Room wird von ihr als ein Bild der Abwesenheiten beschrieben, weil der Betrachter des Fotos die eigentliche Hauptsache, um die es im Bild geht, nämlich den Videostream von der Operation in Abbotabad nicht sehen kann. Sie stellt das Bild auch einem Foto aus der Zeit von Obamas Vorgänger George W. Bush gegenüber.
    "Die Fotografie, die Bush zeigt, achtet sorgsam auf Sichtbarkeit relevanter Symbole und Embleme."
    Der Vergleich mit der Bush-Administration gibt dem Leser die Möglichkeit, seinen Blick auf die Bildsprache zu richten und in Erwägung zu ziehen, ob es sich bei dem Bild, das so zufällig wirkt, auch um ein ganz bewusst gesetztes Symbol handelt. Interessant sind auch Einschätzungen der Autoren, in Bezug auf die Veränderung von Kriegsfotografie. Ein Thema, das immer wieder auftaucht. So schreibt Susann Neuenfeld:
    "Damit kommt es zu einer grundlegenden Verschiebung einer wesentlichen ikonografischen Performanz der traditionellen Kriegsfotografie. An Stelle des nationalen Spektakels vom toten (und damit besiegten) Körper des Kriegsgegners tritt der sublime Blick auf das Schauspiel der Betrachterfiguren, die auf den toten Körper des Gegners blicken, während der tote Körper fotografisch nicht gezeigt wird."
    Während einige der Beiträge sich mit der Bildkomposition und allen darauf abgelichteten Personen beschäftigen, richten andere Autoren den Fokus ausschließlich auf Hillary Clinton und ihre Geste. Diese würde, so Neuenfeld in ihrem Text, die widersprüchlichsten Emotionen auslösen.
    "Clinton verkörpert das emotionalisierte, das affektive Zentrum des Fotos, das als ein ikonografischer Ersatz für das Totenporträt von Osama bin Laden von der US-amerikanischen Regierung zu sehen gegeben wird."
    Angesprochen wird auch immer wieder der Umgang der Öffentlichkeit mit dem Foto. So greifen sich einige Autoren sogenannte Mashups heraus - also jene ironischen Fotomontagen, die zum Beispiel jeden auf dem Originalbild zu sehenden Kopf mit dem von Obama ersetzt - oder auch die im Situation-Room anwesenden Personen gegen Figuren von Comic-Superhelden austauscht. Auf den ersten Blick einfach ein humorvoller Umgang mit diesem Foto, der aber auch einiges über dessen Wirkungsgeschichte erzählt.
    Da sich alle Beiträge in dem Buch mit einem einzigen Bild beschäftigen, kommt keiner der Autoren und Autorinnen um eine Beschreibung des Bildes in mehr oder weniger ausführlicher Form herum. Das aber führt zwangsläufig zu Wiederholungen, zum Beispiel bei der Beschreibung der Personengruppierung. Sieht man darüber hinweg, dann ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild. Denn die Analysen aus unterschiedlichsten Perspektiven erlauben dem Leser manchmal überraschend neue Zugänge zu diesem Foto aus dem Situation Room, das Geschichte machte.
    Michael Kauppert/ Irene Leser (Hrsg.): "Hillarys Hand. Zur politischen Ikonografie der Gegenwart",
    Transcript Verlag, 278 Seiten, 29,99 Euro, ISBN: 978-3-8376-2749-7