Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Himmelsmärchen
Wenn der Mond die Sterne frisst

Viele Märchen beschreiben in ihrem Kern astronomische Zusammenhänge und dienten so der Weitergabe eines frühen Wissens um kosmische Abläufe.

Von Hermann-Michael Hahn | 17.02.2019
    Wenn der Mond die Plejaden bedeckt, bleibt immer mindestens einer der sieben helleren Sterne dieses Haufens "verschont"
    Wenn der Mond die Plejaden bedeckt, bleibt immer mindestens einer der sieben helleren Sterne dieses Haufens „verschont“. (Stellarium)
    So lässt sich Schneewittchen auf den jahreszeitlichen Wechsel zwischen Sonne und Vollmond bei der höchsten Südstellung zurückführen: Im Sommerhalbjahr steht die Sonne höher am Himmel als der Vollmond, im Winterhalbjahr ist es umgekehrt.
    Schneewittchen – die Sonne –, die von der Stiefmutter – dem Vollmond – verbannt wird, verbringt das Winterhalbjahr bei den Sieben Zwergen – dem Siebengestirn, das früher einmal die Lage des Frühlingspunktes markierte.
    Wenn im Herbst der Vollmond das Siebengestirn passierte, betrat die Stiefmutter die himmlische Bühne. Deren Schreckensherrschaft endete erst, wen zum nächsten Frühjahr die Sonne dort vorbei zog.
    Der Rollenwechsel zwischen Sonne und Vollmond im Sommer- und Winterhalbjahr wird im Märchen Schneewittchen in die Spieglein-Frage "Wer ist die Schönste im ganzen Land" übersetzt
    Der Rollenwechsel zwischen Sonne und Vollmond im Sommer- und Winterhalbjahr wird im Märchen Schneewittchen in die Spieglein-Frage "Wer ist die Schönste im ganzen Land" übersetzt (Stellarium)
    Mond übernimmt die Rolle des Hasen
    Auch das Märchen vom Hasen und dem Igel beschreibt den Wettstreit zwischen Sonne und Mond. Diesmal übernimmt der Mond die Rolle des Hasen, während die Sonne den Igel verkörpert.
    Der Mondhase startet seinen Lauf über den Acker als schmale Sichel am Abendhimmel neben der Sonne, und wenn er nach fast einem Monat wieder als schmale Sichel am Morgenhimmel ankommt, ist die Sonne "schon da".
    Dagegen verweist das Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein vermutlich auf eine Besonderheit von Sternbedeckungen des Siebengestirns durch den Mond.
    Bei solchen Sternbedeckungen kann der Mond nämlich im günstigsten Fall sechs der sieben Sterne bedecken beziehungsweise fressen – das siebte Geißlein bleibt, im Märchen wie am Himmel, verschont.